Menschenrechte

Folter, Folter über alles

Häftlinge im US-Gefangenenlager Guantanamo
Auch im US-Gefangenenlager Guantanamo werden Häftlinge gefoltert. © dpa / picture alliance / epa afp Mccoy
Von Peter-Alexis Albrecht · 16.12.2014
Folter ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch wenn die Europäer nun schockiert in die Staaten schauen: Auch in Europa, und ja, auch in Deutschland arbeiten wir an der Aufweichung des Prinzips, Folter rigoros abzulehnen, meint der Jurist Peter-Alexis Albrecht.
Die USA nutzen nun nachweislich Folter als Alltagsmethode zur Schaffung einer Welt der Sicherheit. Aber: Das alles soll nicht mehr vorkommen, dafür will Obama sorgen. Wer das glaubt, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.
Von Strafverfolgung dieser weltweit – formell – geächteten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über die man 1946 in Nürnberg international zu Gericht über Nazi-Verbrecher saß, hört man kein Wort. Warum wohl weigern sich die USA beständig, dem Internationalen Strafgerichtshof beizutreten? Feine Voraussicht der US-Administration zu jeder Zeit!
Wir haben indes kein Recht auf andere mit dem Finger zu zeigen. Wir, die Deutschen, tun vieles, Folter als Produkt rechtsstaatlicher Sicherheitsgesellschaft salonfähig zu machen. Unter dem Begriff "Präventivfolter" hatte es in der Daschner-Affäre, also der polizeilichen Nutzung der Androhung von Folter, schon traurige Versuche gegeben, das Strafrecht zur Folterbegrenzung zu bemühen. Einem Mordverdächtigen wurde Folter angedroht, um ein Menschenleben – vermeintlich – zu retten. Die strafrechtliche Folge für den polizeilichen Androher: Verurteilung zu einer Geldstrafe zur Bewährung und anschließende Beförderung vom stellvertretenden Polizeipräsidenten in eine gesicherte Position im Innenministerium. Nur ein Justizausrutscher? Bei weitem nicht.
Folter unter Kontrolle des Völkerrechts erlauben?
Die juristische Fach-Literatur ist randvoll mit abwägenden Erörterungen, wann Folter zum Schutze von irgendetwas straflos möglich sein soll. Niklas Luhmann, der weltweit geschätzte System-Soziologe, hat 1993 in den Heidelberger Universitätsreden Folter treuherzig empfohlen. Folter solle in Ausnahmefällen – wie der ticking bomb in der Hand von Terroristen – erlaubt sein, unter Kontrolle des Völkerrechts "durch international beaufsichtigte Gerichte, Fernsehüberwachung der Szene in Genf und Luxemburg, telekommunikative Fernsteuerung."
Das alles sind nur noch graduelle Wertungsprozesse, keine prinzipiellen Begrenzungen mehr. Recht wird grenzenlos oder – juristisch vornehmer – verhältnismäßig abgewogen. Mit dieser Formel ist alles möglich und alles unmöglich. Wer aber Schneisen der Verhältnismäßigkeit in das Prinzip der Strafgesetzlichkeit einschlägt, geht im Strudel gut gemeinter Präventionsorientierung unter, wird sein eigenes Opfer. Der gute Glaube an Sicherheit zulasten des Rechts, der Freiheit und der Strafgesetzlichkeit schlägt um in eklatantes Staatsunrecht.
Symbolbild Waterboarding: Als "Waterboarding" wird ein simuliertes Ertränken bezeichnet.
Symbolbild Waterboarding: Als "Waterboarding" wird ein simuliertes Ertränken bezeichnet.© Imago/ Rüdiger Wolk
Nicht nur auf den Westen beschränkt
Und ist das alles auf den Westen beschränkt? Bei weitem nicht. Nur sind der Osten und der Ferne Osten geschickter in der Verdeckung von unmittelbar angewandter Gewalt bei Polizei- oder Geheimdienstverhören. Man möchte auch dort nicht dabei sein, wenn Russen in der Ukraine verhören oder wenn Ukrainer gefangene Separatisten oder Russen einvernehmen oder chinesische Polizisten uigurische Aufständische. Das Ausmaß an Staatsbrutalität, nennen wir es berechtigt Staatsterrorismus, ist international legitimiert durch den sogenannten weltweiten Kampf gegen den Terror. Da finden sich alle ein und toben sich aus.
Und die Zukunft? Kann das Recht, das Völkerrecht, das internationale Strafrecht hier Perspektiven vermitteln? Auch nur als Karikatur, als Lachvorlage für Kabarettisten. Das clevere China, das traurige Russland und die scheinheiligen USA kämpfen um die Weltherrschaft. Dabei wird alles untergepflügt, trotz Nürnberg 1946, trotz französischer und russischer Revolutionen, die auch Menschlichkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit auf ihre Fahnen geschrieben hatten.
Die größten Katastrophen beim Kampf um die Weltherrschaft hat die moderne Menschheit noch vor sich. Ob mit dem Rest der Welt danach noch etwas anzufangen ist? Wohl kaum. Aber wen stört das in der Unendlichkeit und der Ewigkeit des Universums? Frohe Weihnachten!
Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und emeritierter Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Bezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems. Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).
Peter-Alexis Albrecht
Peter-Alexis Albrecht© Gisèle Zandel
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