Mensch, Jesus!

Von Andreas Malessa · 18.07.2009
Bücher über die Geschichte des Christentums haben Konjunktur. Doch der Tonfall mancher Autoren hat sich in den vergangenen Jahren deutlich geändert. Der religiöse Stoff wird nicht selten sexuell aufgeladen, zum Thriller dramatisiert oder zur Klamotte zerkleinert.
"Sie ließ seine Finger sanft und beruhigend in ihre feuchte Möse gleiten und dann seinen Phallus in sie eindringen. Ein schmerzhafter Stich, warmes Fliessen einer Flüssigkeit. Er hielt ganz still in ihr, bis sich der Krampf zu lösen begann. Dann schob sich sein Glied ganz tief in sie und sie hörte sich stöhnen. Selig glühend, ein feuchtes Bündel aus Fleisch, Sperma, Blut, Speichel und Schweiß auf dem Strohlager."

"Sie", das ist die 16-jährige Maria aus Nazareth. "Er", das ist Johannes der Täufer. Von ihm lässt sich die zwangsverheiratete Maria gerne entjungfern, denn ihr Josef daheim ist schwul. So beginnt der erste Roman des Tübinger Professors für Literaturwissenschaft, Jürgen Wertheimer. Er heißt "Als Maria Gott erfand".

Am zerfledderten Leichnam einer gesteinigten Ehebrecherin schwört Maria, das Kind als "Sohn Gottes" auszugeben und Gatte Josef muss mitlügen, sonst kommt sein Schwulsein raus. Jesus wird, Zitat,"ein verzogenes Gör" , sammelt als Erwachsener eine Schauspielertruppe um sich, heilt keine Kranken, sondern tröstet Trauernde, indem er sie zum Selbstmord animiert. Paulus stößt schon recht früh zu den Jüngern, mit der Kreuzigung sind alle ganz einverstanden, nach Jesu Tod werden drei Prostituierte, darunter Maria Magdalena, mit Geld und Prügel dazu gezwungen, ein leeres Grab zu bezeugen. Als Mutter Maria, inzwischen knapp 50, den ganzen Schwindel auffliegen lassen will, wird sie vom Jünger Thomas und den vier Evangelisten gefesselt.

"'Ihr dreckigen, stinkenden Judensäue!' Plötzlich brüllte sie vor wildem, bösen, spastischem, berstendem, ordinärem Gelächter. Wieherndes, röchelndes, ausgespienes Lachen. 'Ihr sollt wenigstens eine Gefesselte vergewaltigen, das könnt Ihr doch noch hinkriegen, Ihr heiligen Wichser!' Mit gespreizten Schenkeln bot sie sich wimmernd und fluchend an: 'Damit Ihr mir wieder einen Gottesbastard in den Schoß stecken könnt!'"

Auf Tabubruch kalkulierte Umdichtungen der Evangelien hat es seit dem zweiten Jahrhundert viele gegeben. Nur waren die meisten stilistisch besser. Professor Wertheimer greift tief in die unterste Schublade der Vulgär- und Fäkalsprache , um die Feuchtgebiete einer Charlotte Roche auch in den Körperöffnungen der biblischen Maria zu entdecken. Das sei "wunderbar blasphemisch", findet der Verlag, es ist aber strapaziös langweilig, denn 440 Seiten lang bleibt die Tonlage dieselbe: Übelgelaunt, hasserfüllt, hämisch und von einer Art misanthropischen Knarzigkeit. Maria, Josef, Johannes, Jesus und Paulus dürfen nichts anderes als bösartig oder debil sein, sie können kaum anderes als die Welt zu verachten. Ihre Motive sind stets niederträchtig, ihr Tun ist immer Täuschung, ihre stärksten Gefühle sind Rache und Schadenfreude. Subtilere Regungen oder gar heitere Momente werden vom schrill antikkirchlichen Dauerpfeifton des Autors übertönt.

"Das Marienbild, das man uns seit 2000 Jahren mit wechselnden Akzentuierungen immer wieder anbietet, ist eine Ikone. Natürlich geht es darum, dass ab einer gewissen Phase eine kleine Clique, das die aus der Geschichte mehr machen wollte als nur eine heilige fromme Legende, sondern damit Realpolitik gegen Rom etablieren wollten und gegen andere etablierte Systeme ! Ich hab – und insofern ist das Buch naiv, aufklärerisch - ich hab Maria jetzt mir mal gedacht, als eine Frau, die sich wieder ins Spiel bringt, und zwar auf Gedeih und Verderb. Und es kommt zum Verderb."

Jürgen Wertheimer leiht sich also die Stimme der Maria, die als rationale Naturalistin das Christentum hätte verhindern können?

"Ich hab mit so vielen Theologen gesprochen - mit ausgeschaltetem Mikrofon! – und jeder, je höherrangiger, umso deutlicher, sagt: Natürlich, wir sind alles nur Philologen, das sind Texte über Texte über Texte, die haben nichts mit einer Wirklichkeit zu tun! Und auf der anderen Seite Millionen Gläubige, die das Gegenteil glauben! Und ich finde diesen Widerspruch, diese Unausgesprochenheit, einen Skandal. Das wird aufrechterhalten wider besseres Wissen und keiner ist willens und in der Lage, diese Grauzone einmal auszuleuchten und zu sagen – und das gilt für die Offenbarung des Koran genauso! – wir haben es mit einer Art literarischem Text-Palympsest zu tun, in dem zitiert wird, gespielt wird, erfunden wird. Dass der Mensch Gott erfunden hat!"

Würde der wackere Deutschlehrer einer Realschule ein Buch schreiben mit dem Titel "Heisenberg und Einstein irrten. Wider die Lügen der Max-Planck-Gesellschaft" - niemand müsste ihn ernst nehmen. Für das Fachgebiet Theologie gilt das offenbar nicht, im Gegenteil: Dass Paul Verhoeven kein Theologe ist, sondern Filmregisseur – er drehte u.a. "Basic Instinct" , - das macht ihn laut Verlagswerbung besonders kompetent, Zitat, "die jahrhundertalten Lügen der christlichen Kirchen über Jesus" aufzudecken. Sein Buch heißt "Jesus, die Geschichte eines Menschen" und weil das Wort "Menschen" fett gedruckt ist, ahnt der Leser : Es geht um die Widerlegung seiner Göttlichkeit. Das ist natürlich nicht verboten, das haben hunderte Autoren vor Paul Verhoeven auch schon getan; neu und verblüffend aber ist die fröhliche Unbekümmertheit, mit der Verhoeven seine Vermutungen daherplaudert:

"Johannes der Täufer hatte ein ziemlich aufgeblasenes Ego. Nur wenn Ihr von mir getauft werdet, könnt Ihr gerettet werden. Aber wenn Jesus sich von diesem Egotripper taufen ließ, muss er wohl davon überzeugt gewesen sein. Alle Getauften mussten ihre Sünden bekennen, also auch Jesus. Daraus folgern wir, dass Jesus sich als einen sündigen Menschen betrachtete, der sich bessern wollte. Welche Sünden es waren, lässt sich nicht mehr in Erfahrung bringen. Vielleicht ging er zu Huren, denn später lud er ja gern Huren zu den gemeinsamen Mahlzeiten ein. Oder er war ein Bauführer im Nachbarort Sepphoris, der sich auf Kosten der schlecht bezahlten Arbeiter bereichert hatte."

Ja ja, wer weiß, wer weiß. Man muss Paul Verhoeven zugute halten, dass er ehrlich ist: Zitat: "Ohne einen Beweis zu haben, bin ich der Meinung …" oder "ich könnte mir gut vorstellen, dass" – so beginnen viele seiner Thesen. Und wer seine Filme kennt, liest mit Staunen:

"Ich glaube nicht an eine sexuelle Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena. Jesus war so besessen vom kommenden Gottesreich, dass er all seine Libido darauf verwandte. Als Che Guevara versuchte, seine kubanische Revolution nach Bolivien zu exportieren, hatte er ja auch keine Freundin dabei."

Na dann! Unfreiwillig komisch wird das - obendrein schlecht übersetzte – Jesus-Buch, wenn Paul Verhoeven nobel selbstbescheiden vorausschickt:

"Ich kann nur mithilfe von Spekulationen versuchen, eine logische Geschichte herauszuschälen."

Ob eine solche spekulationsgestützte Logik all die -Zitat - "Verzerrungen aufdecken" kann, "die die Sachwalter des Christentums fast 2000 Jahre lang zum Machterhalt pflegten"? Der Vorwurf tut so, als wären 2000 Jahre Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments nur von Päpsten und Bischöfen betrieben worden und nicht auch von Wissenschaftlern an Universitäten. Einer von ihnen, Martin Luther z.B., hat damit die Macht der katholischen Kirche gebrochen. Ein anderer, Albert Schweitzer z.B., hat das Jesusbild des 19.Jahrhundert revolutioniert. Ein dritter, Karl Barth z.B., hat die protestantische Kirche gegen Hitler in Stellung gebracht. Doch wen kümmert`s! Die Pose des kirchenkritischen Enthüllungs-Autors ist da lukrativer, erst recht, wenn`s ein prominenter ist. Mehr als 60 Seiten Quellenverweise und Textapparat am Ende von Paul Verhoevens Werk suggerieren Wissenschaftlichkeit, wo schlichtes Fabulieren herrschte.

Manchmal aber wandelt sich nassforsches Fabulieren auch zu staunendem Interesse :

"Mir ging es hundeelend. Anstatt im Flieger zu den Flitterwochen zu sitzen, lag ich in meinem ehemaligen Kinderzimmer und starrte auf den vom durchsickernden Regen immer größer werdenden Fleck an der Decke. Ich faltete meine Hände. "Lieber Gott im Himmel, bitte mach`, dass alles wieder gut wird. Irgendwie, keine Ahnung. Wenn Du das tust, gehe ich auch jeden Sonntag in die Kirche. Was hältst Du von dem Deal ? Wenn Du dafür bist, gib` mir ein Zeichen … oder halt, halt, nein, nein! Wenn Du dafür bist, gibst Du mir einfach KEIN Zeichen. Amen." In diesem Augenblick fiel der vom Regen durchtränkte Putz von der Decke."

Marie , Mitte 30, Lokalreporterin im norddeutschen Malente, hatte sich gestern vor dem Traualtar in ein Bild des gekreuzigten Christus vertieft und dann, im entscheidenden Moment, "Nein" gesagt. Nein zur Ehe mit Sven. Ihr geschiedener alter Vater hingegen will hier bald Ja sagen. Zur weißrussischen Prostituierten Swetlana.

Der Roman "Jesus liebt mich" des Grimmepreis-geehrten Drehbuchautors David Safier beginnt wie ein billiger Fernsehklamauk. Den undichten Dachstuhl über ihrem Zimmer repariert nämlich ein gutaussehender Palästinenser namens Joshua, der beim Arbeiten hebräische Psalmen singt, der beim ersten Date in der Pizzeria einen Obdachlosen mit an den Tisch bittet, der das epileptische Kind der verhassten Heiratsschwindlerin heilt und der schließlich Marie vor dem Ertrinken rettet, indem er auf dem Plöner See wandelt.

"Am Anfang des Schreibens vom Roman war ich genauso wie Marie: Ich bin auch ein Mensch, der eher selten in die Kirche geht, ich bete auch nur, wenn der Flieger startet oder landet. Aber dann, dadurch dass Marie sich ja in Jesus verliebt, lernt sie mehr über das Christentum. Ich habe, natürlich das erste Mal seit dem Konfirmandenunterricht wieder lange in der Bibel gelesen, ich hab mir die Bergpredigt zu Gemüte geführt und geguckt, was für Interpretationen es dafür gibt und bin nach dem Schreiben dieses Romans sehr viel bibelfester geworden als ich es vorher war und das war für mich eine unglaublich spannende Reise. Humor entsteht ja nicht nur aus Klamauk, sondern Humor entsteht daraus, dass man sich mit menschlichen Fragen beschäftigt. Besonders guter Humor besteht auch aus Tragik."


David Safier nimmt in seiner charmant lakonischen Komödie den Leser mit auf seine bibelkundliche Reise. Zimmermann Joshua alias Jesus ist nämlich nur deshalb auf Erden, weil Gott den Weltuntergang auf kommenden Dienstag terminiert hat. Marie holt Rat ein bei Kumpel Michi, der alle Jesusfilme kennt.

"Die Menschen werden vor Gott treten müssen und nach ihren Taten beurteilt", sagte Michi, "wer gut war, kommt ins Himmelreich." "Und der Rest?" fragte ich. "Laut Offenbarung des Johannes: für ewig ab in den Feuersee!" "Aber Gott ist doch der Gute, oder ?" fragte ich zögerlich. "Hm, es ist der gleiche Gott, der zu Noahs Zeiten die Erde flutete und Sodom und Gomorrha kurz und klein gehauen hat." "Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Gott mag" sagte ich traurig. "Wenn es das sogenannte Buch des Lebens tatsächlich gibt, dann steht jetzt auch drin, dass Du diesen Satz gesagt hast" entgegnete Michi."

Als die Ich-Erzählerin erkennen muss, dass ihr sanfter Joshua tatsächlich Jesus und der Gehirntumor ihrer Schwester Kata nach fünf Jahren wieder ausgebrochen ist – da gewinnt der Roman "Jesus liebt mich" eine unerwartete Tiefe und behandelt die ganz großen Fragen. Ist Gott gut ? Was nützt der freie Wille, wenn er Böses gebiert ? Womit begründet man menschliche Moral ? Am Ende feilscht Marie mit Gott um Gnade für die Welt – eine Szene aus der jüdischen Abrahamstradition. Aber : Vertragen solche Themen die Form der Slapstick-Komödie, des schwarzen Humors ? Dazu David Safier:

"Ob es die Verspaßung an sich braucht, um diese Themen weiter zu bringen? Na ja, auch die Geschichten der Bibel sind ja große unterhaltende, teilweise seifenopernhafte Geschichten. Vielleicht brauchen die religiösen Inhalte eine neue Sprache. Das muss nicht zwingend meine sein. Die Ansprache wandelt sich, die Inhalte eher nicht."

"Aber – warum hat Gott das jüngste Gericht abgeblasen?", fragte ich Gabriel. "Deine Liebe hat Gott noch mal von den Menschen und ihrem Potenzial überzeugt," antwortete er.