Melancholische Helden

19.05.2009
Der norwegische Autor Kjell Askildsen ist hierzulande wenig bekannt. Zu seinem 80. Geburtstag ist nun ein Band mit einer Auswahl seiner Kurzgeschichten erschienen. Darin porträtiert Askildsen bizarre Typen mit zerklüfteten Biografien.
Kjell Askildsen, geboren 1929 in der südlichsten Stadt Norwegens, hat Abgründe und Untiefen der menschlichen Psyche früh kennengelernt. Die Normen waren streng im kleinen Küstenort Mandal; zwischen weißgetünchten Holzhäuschen regierte ein herber Pietismus. Frömmelei ist ihm seither ein Graus. Askildsen machte eine "Karriere", wie das Klischee des Dichters sie vorschreibt. Er war Hafenarbeiter, Pensionswirt, Journalist, ab 1950 dann Besatzungssoldat in Deutschland, Schleswig, wo er eine Deutsche heiratete. Im Jahr 53 debütierte der Norweger mit einem Band Kurzprosa und einem handfesten Skandal: In seiner engeren Heimat galt das erfolgreiche Buch als pornografisch. Der Pfarrer sprach den Bann, Bibliotheken liehen es nicht aus, eine Zeitung schrieb von Schmutz. Und der Vater des Verfassers, ein konservativer Beamter und Politiker, verbrannte das Werk.

Heute wird Askildsen, dieser schmale, stets schwarz gewandete Herr, in Norwegen als moderner Klassiker gefeiert. In Deutschland hingegen ist er kaum bekannt. Das wird sich jetzt hoffentlich ändern. Zum 80. Geburtstag des Erzählers erscheint eine Auswahl, die er selbst zusammengestellt hat. 18 wunderbare Storys, die älteste von 1966, die jüngste von 1999.

Askildsens "Helden", oft in Ich-Form präsentiert, sind bizarre Typen mit Allerweltsnamen, man erfährt wenig über sie, und doch glaubt man ihnen eine zerklüftete Biografie. (Der Leser fühlt sich an Faulkner erinnert, an Hemingway und Beckett.) Einzelgänger sind sie, gebildete, bisweilen betagte Misanthropen. Das Warten und Hoffen haben sie aufgegeben, nun kultivieren sie ihren Sarkasmus. "Wer nichts hat, für das er lebt, hat nichts, für das er sterben kann." Askildsen zeigt diese melancholischen "Helden" in der Konfrontation mit einer als feindselig empfundenen Gesellschaft. Oder im Clinch mit nahen Verwandten. Nach Jahren der Selbstisolation besucht ein Vater den Sohn, ein Mann seine Schwester, ein anderer seinen greisen Bruder, und immer werden Wunden geöffnet, geht das Sticheln und Verletzen wieder los. Man spürt Neid, die Lust an Demütigungen und Unterdrücktes, bisweilen inzestuöses Begehren. Ja, er interessiere sich für "verbotene Zonen im Menschen", bekannte der Autor. Und die finde man nicht in Worten, sondern in den Pausen dazwischen.

Seinen Stil hat Kjell Askildsen über die Jahre perfektioniert, er wurde zum Markenzeichen. Der Norweger schreibt verknappt, verdichtet, mit Auslassungen. Denn, so sagt eine Stimme, "es sind allzu viele Worte in Umlauf auf der Welt". Geheimnisse werden angedeutet, nicht mehr. Die Protagonisten zeigen sich maulfaul, im Wortsinn einsilbig ("Ja. Nein."). Immer wieder gibt es bedrückende Dialoge, aber häufig nur in indirekter Rede; der Autor, heißt das, wahrt dieselbe Distanz zu seinen Figuren, wie sie die Figuren auch untereinander wahren.

Die Mixtur aus Lakonik und Misanthropie in Askildsens Prosa-Kleinodien wäre mitunter schwer zu ertragen, gäbe es nicht trockene Komik, viel böse Ironie. Selbst der Titel der Sammlung entpuppt sich als ironisch. "Ein schöner Ort", die gleichnamige Geschichte, spielt in einem Sommerhaus am Fjord. Bei der Besitzerin weckt der Fleck süße Kindheitserinnerungen; für ihren Mann aber, einen dieser skurrilen Ich-Erzähler, ist dies nur ein Platz mehr, um wortlos an aufgezwungener Zweisamkeit zu leiden.
Rezensiert von Uwe Stolzmann

Kjell Askildsen: Ein schöner Ort. Kurzgeschichten
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Luchterhand Literaturverlag, München 2009
288 Seiten, 9,00 Euro