Meisterstück à la Stephen King

21.01.2008
Als Enkel von Alfred Kerr und Sohn von Bestsellerautorin Judith Kerr ist der britische Autor Matthew Kneale mehr als literarisch vorbelastet. In seiner Heimat ist der 47-Jährige ein Kultautor. Sein neues Buch "Als wir Römer waren" handelt von einem englischen Jungen, der mit seiner Mutter, die vor dem Vater flieht, und seiner Schwester für mehrere Wochen in Rom lebt.
Englische Tageszeitungen brechen regelmäßig in Beifallsstürme aus, wenn ein neuer Roman des britischen Schriftstellers Matthew Kneale erscheint. Der "Independent" nennt ihn "schwindelerregend", die "Times" "meisterhaft" und "subversiv".

Vielleicht ist literarisches Talent erblich, denn Kneales Großvater war Alfred Kerr, vor und nach der Nazi-Zeit einer der bekanntesten Literaturkritiker Deutschlands, und Kneales Mutter Judith Kerr schrieb den Weltbestseller "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl".

Im Jahr 2000 erschien Kneales Debütroman "Englische Passagiere", in Großbritannien mit Preisen überhäuft; die Originalausgabe blieb in Deutschland weitgehend unbeachtet, die Taschenbuchausgabe 2005 hingegen bekam hymnische Kritiken. Zwei bis dahin entstandene Romane von Kneale, einer war für den Booker Preis nominiert, sind allerdings bisher nicht in Deutschland erschienen, dafür nun aber sein neuer: "Als wir Römer waren".

Der Roman spielt zwar über weite Strecken in Rom, aber im Rom heutiger Zeit: die Hauptfigur, der Ich-Erzähler, ist ein zirka 10-jähriger Junge, Lawrence, der mit seiner kleinen Schwester in der Nähe von London bei seiner Mutter lebt, die Literaturkritikerin ist; die Eltern leben getrennt.

Der Vater, so klingt es durch, scheint gewalttätig zu sein, ein Stalker, vielleicht mit islamischem Hintergrund. Aus Angst vor ihm flieht die Mutter mit ihren Kindern im Auto für mehrere Wochen nach Rom, weil sie die Stadt aus ihrer Studentenzeit gut kennt, - beschrieben von dem 10jährigen Lawrence als jene Zeit, "als wir Römer waren".

Freunde seiner Mutter schenken Lawrence drei Bücher einer historischen Jugendbuch-Reihe namens "Geile Geschichte": "Krasse Kaiser", "Krasse Päpste" und "Fetzige Faschisten", Historie voller Wahnsinn und Gewalt, blutrünstiger als jedes Computer-Killer-Spiel, die Lawrence nun in seiner unbekümmerten, höchst witzigen Kindersprache nacherzählt.

"Als wir Römer waren" vereint britischen Humor bzw. Sarkasmus vom Feinsten mit einer höchst dramatischen Handlungsführung, die zunehmend Thriller-Dimensionen annimmt, - ein psychologisches Meisterstück á la Stephen King. Kneale ist, wie die "Times" schrieb, immer "subversiv", indem er mit grandioser Leichtigkeit Vorurteile, Ideologien und Wahrnehmungsgewohnheiten zerstört.

Kneales kleiner Held Lawrence erinnert kongenial an die großen Romane, in denen Heranwachsende die Hauptrolle spielen wie in Mark Twains "Tom Sawyer" oder in "Oliver Twist" von Charles Dickens oder in den Büchern von Erich Kästner.

Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb über Kneale: Er lese sich wunderbar leicht, trotz seiner gewichtigen Botschaften. In diesem Punkt kann man der "NZZ" nur recht geben. Denn das können nur wenige.

Matthew Kneale ist in seinem eigenen Land ein Kult-Autor; er scheint den salopp-frechen Ton seines Großvaters Alfred Kerr geerbt zu haben wie auch die Sensibilität seiner Mutter Judith Kerr.

"Als wir Römer waren" ist das, was man einen Kult-Roman nennt; was kann man mehr erwarten, Welt-Literatur als Taschenbuch zu einem bezahlbaren Preis, und die große Tragödie der Menschheit, aus Erfahrungen nichts zu lernen, vorgeführt mit bezaubernd amüsanter Leichtigkeit. Zum Heulen schön!

Rezensiert von Lutz Bunk

Matthew Kneale: "Als wir Römer waren".
Übersetzt von Regina Rawlinson.
Sammlung Luchterhand 2007, 253 Seiten, 8.50 €.