Meister der bedrohten Idylle

14.11.2013
"Oh What a Paradise It Seems" ist der letzte Roman des großartigen John Cheever, der 1982 starb und als bissiger Porträtist der amerikanischen Vorstadt-Hölle gilt. Er zaubert darin kleine Vignetten der Paradies-Sehnsucht und kippt sie im nächsten Satz ins Abgründige.
Leichtfüßig und kraftvoll zieht dieser Roman seine Bahnen und prägt uns seine Geschichte ein: die Geschichte von Lemuel Sears, einem alternden Computerspezialisten, der in New York City wohnt und es liebt, im Winter auf dem zugefrorenen See einer Kleinstadt in Connecticut Schlittschuh zu laufen.

Dort lebt seine Tochter, die ihm mit freundlicher Skepsis begegnet, auch er selbst ist ein freundlicher Mensch. Er verteidigt die unschuldigen Freuden, die letzten Vergnügungen, bei denen noch nicht die Banken ihre Hände im Spiel haben. Er liebt die Weite, das Zugfahren und Spazieren, aber er hasst Flughäfen, diese ruhelosen Orte hysterischer Mobilität.

"Ach, dieses Paradies" ("Oh What a Paradise It Seems") ist der letzte Roman des großartigen John Cheever, der 1982 mit 70 Jahren an Krebs starb und als bissiger Porträtist der amerikanischen Vorstadt-Hölle gilt. Sein Werk ist von Ambivalenz durchdrungen, einer grundsätzlichen Zweideutigkeit, die seinen Stil prägt und womöglich mit seiner lange verdrängten Bisexualität zu tun hat. In seinem letzten Roman erleben wir ihn als einen Meister der bedrohten Idylle und des allerfeinsten Pinselstrichs, der mit kühner Eleganz seine Figuren aufs Papier wirft.

Auf gerade einmal 120 Seiten erzählt er die Geschichte eines Umweltskandals. Der Beasley’s Pond, so nennt er den Ort der winterlichen Freuden von Lemuel Sears, wurde im Handstreich zur Mülldeponie erklärt. Der Held läuft Sturm. Er beauftragt einen Anwalt, der die Sache stoppen soll, aber bald ermordet wird. Ein Umweltexperte namens Horace Chisholm tritt an seine Stelle, auch mit ihm geht es nicht gut aus.

Der Friseur, die Maklerin und der Psychiater
Ein halbes Dutzend Figuren sammelt sich um den elegant gespannten Handlungsbogen, eine wahre Fundgrube von Charakteren, die stets so eingeführt werden, als hätten sie nichts mit der Geschichte zu tun und auf verschlungenen Wegen zu ihrem Fortkommen beitragen: ein aus Italien stammender Friseur, der eines Tages den Hund erschießt, um seiner vor dem Fernseher dahin dösenden Familie klar zu machen, wie ernst es um ihre finanzielle Lage steht. Eine ihre Familie inbrünstig liebende Hausfrau, der es mit höchst zweifelhaften Mitteln gelingt, den See am Ende doch noch zu retten. Eine undurchschaubare Immobilienmaklerin, die dem Helden sexuelle Wonnen beschert und ihn schließlich im Regen stehen lässt. Ein Fahrstuhlführer, der ihn tröstet, und ein abgehalfterter Psychiater, der sich seine eigenen homosexuellen Neigungen nicht eingesteht.

John Cheever zaubert anheimelnde Atmosphären, kleine Vignetten der Paradies-Sehnsucht, und kippt sie im nächsten Satz ins Abgründige. So entsteht eine Behaglichkeit mit angehaltenem Atem. Durch die stets überraschenden Wendungen – Glück und Unglück lauern nie dort, wo man sie vermutet – prägen sich die Figuren und das Geschehen umso stärker ein. Dieser Roman hinterlässt eine Leuchtspur, Abglanz des Glücks, das man bei seiner Lektüre empfindet: auch eine Art von Paradies.

Besprochen von Meike Feßmann

John Cheever: Ach, dieses Paradies. Roman
Mit einem Nachwort von Peter Handke. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel
DuMont Verlag, Köln 2013
128 Seiten, 17,99 Euro
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