"Mein wichtigster Markt ist Deutschland"

Tim Parks im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.11.2011
Der Autor schreibe immer mehr für eine internationale Leserschaft und nicht mehr für sein nationales Publikum, meint der Schriftsteller Tim Parks. Dadurch fehle dem Leser die Möglichkeit einer "Art exotischen Erfahrung", denn die globale Literatur werde immer gleichförmiger.
Liane von Billerbeck: Wer als Schriftsteller berühmt, also weltberühmt werden möchte, der muss in möglichst viele Sprachen übersetzt sein, auf jeden Fall aber ins Englische. Wer einen Literaturnobelpreis bekommt, der verwandelt sich vom Zeitgenossen zum Klassiker, also zum globalen Autor. Aber wird dadurch auch die globale Literatur immer gleichförmiger? Werden die Klischees verstärkt?

Das jedenfalls behauptet der Schriftsteller und Übersetzer Tim Parks, er ist Jahrgang 1954, geboren in Manchester, lebt seit 30 Jahren in Italien, lehrt an der Universität Mailand literarische Übersetzung, also genau das, was er neben dem Schreiben eigener Bücher auch selber macht: Bücher übersetzen - von Moravia und Calvino beispielsweise. Tim Parks schreibt auch für die "New York Review of Books". Tim Parks, herzlich willkommen im Deutschlandradio Kultur!

Tim Parks: Hello!

von Billerbeck: Schiller hat in einem Streit mit Goethe gesagt: Mein Publikum sei mir der einz'ge Maßstab. Also schon Schiller, der bekanntlich anders als Goethe von seinen Werken leben musste, hat Publikum gesagt, aber wohl Markt gemeint. Welche neuen Zwänge bringt denn der globalisierte Literaturmarkt für die Autoren?

Parks: Nun, wissen Sie, das ist ein ziemlich komplizierter und vielschichtiger Fall. Ich habe Schriftsteller überhaupt nicht kritisiert, auch nicht den Inhalt oder den Stil ihrer Arbeiten. Es gibt nur fundamentale Unterschiede heute zu vor 50 Jahren. Vor 50 Jahren war es noch so, dass vielleicht, wenn Sie in einen Buchladen gegangen sind, zehn Prozent aller Bücher übersetzt worden sind. Heute ist es so, dass in Ländern wie Italien und den Niederlanden - für Deutschland habe ich da keine aktuellen Zahlen, sie sind wohl etwas niedriger -, aber in diesen beiden Ländern, Italien und den Niederlanden, sind mittlerweile 70 Prozent aller Bücher, die Sie in einem Buchladen finden, übersetzte Romane.

Und das ändert natürlich vollkommen für einen Schriftsteller die Art, wie er schreibt, weil es ist auch so, dass Bücher viel schneller zirkulieren. Noch vor drei, vier oder zehn Jahren war es vielleicht so, dass ein gutes Buch eine gewisse Zeit brauchte, bis es sich literarisch rumgesprochen hatte, bis es von der Kritik anerkannt war, bis man der Meinung war, dieses Buch verdient es jetzt, übersetzt zu werden. Heute ist es zum Beispiel so, zumindest in einigen sehr populären Genres, dass ein Buch bereits in 20 Sprachen übersetzt wird, während der Autor noch an diesem Buch schreibt.

Also da geht das alles unglaublich schnell. Und selbst wenn Geld nicht eine primäre Rolle spielt - aber welcher Schriftsteller möchte nicht Geld verdienen und möchte nicht bekannt werden: Es ist einfach so, dass man dann als Schriftsteller vielleicht ein bisschen weniger Wert darauf legt, aus welcher Kultur man herkommt, weil das auch nicht unbedingt diese ganzen Leser verstehen, und dass auch nicht alle Leser verstehen, in welchem Stil und mit welchen Sprachtricks ein Autor arbeitet. Also ganz egal, wie bewusst oder wie unbewusst es letztendlich für die einzelnen Autoren ist - da hat sich glaube ich bei vielen Schriftstellern auch die Einstellung geändert, jedenfalls bei den meisten. Es mag immer noch welche geben natürlich, die genau dagegen rebellieren.

von Billerbeck: Beim Film gibt es ja den Ausdruck Blockbuster, so nennt man einen Film, der in allen Ländern und in allen Kulturen oder jedenfalls in vielen Ländern und vielen Kulturen funktioniert, in Anführungsstrichen. Welche Zutaten muss denn ein Roman haben, damit er ein weltweiter Blockbuster wird?

Parks: Nun, es hat schon viele Studien darüber gegeben, welcher Mythos letztendlich dahintersteckt, dass man einen Blockbuster-Roman schreiben kann, wie das zum Beispiel Dan Brown tut mit "Da Vinci Code" oder aber Umberto Eco mit seinen Büchern, und vielleicht in nicht ganz so starker Weise auch Autoren wie Pamuk, oder noch vor wenigen Jahren waren es ja die lateinamerikanischen Schriftsteller wie Gabriel García Márquez, die einen globalen Erfolg hatten. Und es fällt einem auf, dass immer, wenn diese Bücher oder diese Romane nicht aus den USA kommen, dass die Autoren dann nicht so ganz mit ihrer eigenen Kultur verbunden sind, und wenn sie es sind, also wenn das lokal eine Rolle spielt, dann hat das immer eine Art pittoresken Charakter.

Und wenn man sich die Verschwörungstheorien anschaut oder die Dramaturgie der Verschwörung in Büchern von Dan Brown oder auch von Umberto Eco, dann ist das auch ein Ausdruck einer gewissen globalisierten Angst, die davon ausgeht, dass es schon immer eine Verschwörung gegeben hat seit dem Beginn unserer Zeit, und dass wir Menschen sozusagen Gefangene sind und da auch gar nicht wirklich herauskommen. Es gibt aber gewisse Genres, die einfach besonders gut funktionieren, und ein Genre sind eben Detektivgeschichten, Detektivromane. Da weiß man als Leser eigentlich auch, wie diese Geschichten abzulaufen haben, was da so die eingeschlagenen Pfade sind, und da wiederum spielt das lokale Kolorit dann eine wirklich große Rolle, weil die Geschichte an sich, in diesen Detektivgeschichten, die hat man ja schon 100 Mal gelesen.

von Billerbeck: Herr Park, Sie lehren ja auch literarische Übersetzung und übersetzen selber Bücher, Romane. Welche Folgen hat denn die Dominanz des Englischen und der englischsprachigen Literatur für die kleineren Sprachen, für die kleineren Literaturen?

Parks: Ich möchte jetzt mal eher von ernsthafterer, seriöser Literatur sprechen, nicht von populärer Literatur. Auch da ist es so, dass Schriftsteller immer bewusster sich auf einen internationalen und multilingualen Ort sozusagen begeben, und dass es sehr viel weniger Sprachexperimente, linguistische Experimente gibt als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, oder als noch in den 1960er- oder in den 1970er-Jahren. Und im Fall von Peter Stamm beispielsweise, diesem deutsch-schweizerischen Autor, da stellt man eine sehr clevere Vereinfachung der Sprache fest, als gäbe es dort eine Angst vor einem gewissen Reichtum, vor einem gewissen sprachlichen Reichtum, vor Dichte.

Und es fällt ebenso auf, dass es unglaublich wenig kulturelle Referenzen gibt in seinen Büchern, da gibt es dieses schöne Beispiel, wo die eine Figur die Hauptfigur fragt, erzähl mir doch bitte etwas über die Schweiz, und der Protagonist antwortet ihm dann, darüber habe ich nichts zu sagen. Und das ist diese einfache, übertragbare Sprache, die jetzt nicht leicht zu übersetzen ist, weil nichts ist wirklich leicht zu übersetzen, aber es ist übersetzbar.

von Billerbeck: Nun könnte man ja auch sagen, Globalisierung heißt auch, man kann alles erfahren, alles lesen, bekommen. Auch Literaten, die in kleinen Sprachen schreiben, haben unter anderem durch die neuen Medien viel bessere Chancen, nicht gleiche, aber viel bessere Chancen. Wie sehen Sie das?

Parks: Nun, meine These, die ich da aufgestellt habe, die ist ja keineswegs kritisch gemeint. Alles, was ich sage, ist, dass ein intensiver Wandel stattgefunden hat, vor allen Dingen in der Literatur, und dass dieser Wandel vielleicht genauso wichtig und umgreifend ist wie zu Beginn der Renaissance, als man sich vom Lateinischen abgewendet hat, und in anderen Sprachen plötzlich anfing zu schreiben. Und es wäre sinnlos, diesen neuen Wandel zu kritisieren, weil man ihn ja auch nicht ändern kann.

Aber diese Illusion, die wir haben, dass jetzt alles erfahrbar ist, weil alles übersetzt ist, die stimmt aus mehreren Gründen so nicht ganz. Erstens mal ist nicht alles übersetzt, es gibt nach wie vor Länder und Sprachen, da wird überhaupt nichts übersetzt oder kaum etwas. Und das Zweite ist: Es ist natürlich auch eine Übersetzung - und das ist dann so eine Art dubiose Erfahrbarkeit, die dadurch entsteht, weil gerade wenn es sich um Übersetzungen aus weit entfernten Sprachen oder Kulturen handelt, dann ist die ja nicht unbedingt so akkurat.

Und dann kommt eben noch hinzu, dass Schriftsteller immer mehr für eine Art internationalen Ort, einen internationalen Raum, eine internationale Leserschaft schreiben und nicht mehr für ihr eigenes nationales Publikum, und dadurch fehlt uns auch eine Art exotische Erfahrung. Es war einfach so, dass ... Noch vor 100 Jahren, wenn ein russischer Autor ein Buch geschrieben hat, dann hat er es für das russische Volk geschrieben und hat nicht versucht, uns Russland zu erklären.

von Billerbeck: Der Schriftsteller und Übersetzer Tim Parks ist bei uns zu Gast, wir sprechen über die Zwänge durch einen globalisierten Literaturmarkt für die Schriftsteller. Wenn Sie an die Zeit zurückdenken, als Sie angefangen haben zu schreiben, auch zu übersetzen: Was hat sich geändert? Wie haben Sie damals geschrieben, wie schreiben Sie heute? Denken Sie heute an Leser anderswo in der Welt, in Schweden, in Singapur, in Deutschland?

Parks: Nun ja, das ist schon interessant: Also zu Beginn, als ich anfing, zu schreiben, da war ich etwa 25 Jahre alt, wir reden hier von 1980, und da habe ich für London geschrieben, für mein Publikum, auch für mich, und ich habe noch überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass dieses Buch, was ich da schrieb, relativ schnell übersetzt werden würde. Letztendlich wurden die Bücher dann relativ schnell übersetzt, aber wenn ich heute zum Beispiel morgens meinen Computer anmache - ich lebe in Italien, aber die Homepage, die als Erstes sich öffnet, die ist vom "The Guardian", ich beziehe Nachrichten aus verschiedenen Ländern, ich bekomme E-Mails aus verschiedenen Ländern.

Und es ist jetzt nicht so, dass ich an den Leser in Schweden denke, ob der das eine oder andere da versteht, und ich glaube, so ganz bewusst denke ich auch wirklich nicht an mein Publikum. Aber dann wiederum muss ich mir auch eingestehen: Mein wichtigster Markt ist Deutschland. Und bis zu einem gewissen Punkt bin ich mir dessen auch bewusst, und ich bin mir auch der Reaktionen bewusst. Und das abzustreiten, wäre jetzt auch falsch.

von Billerbeck: Der britische Schriftsteller und Übersetzer Tim Parks war unser Gast, seine Bücher wurden ins Deutsche übertragen, das soll hier gesagt worden sein, von Ulrike Becker. Ganz herzlichen Dank an Sie, Herr Parks, für Ihr Kommen, und auch an den Übersetzer Jörg Taszman.

Parks: Thank you very much!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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