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Ausbildungsförderung
"So eine BAföG-Antragstellung ist eben nicht leicht"

2016 gab es 5,5 Prozent weniger BAföG-Empfänger in Deutschland als im Vorjahr. Ein Grund könne die "nicht allzu große Verlässlichkeit" der Förderung sein, sagte Friedhelm Hartmann vom Studentenwerk Göttingen im Dlf. Das BAföG sei in den letzten sechs Jahren nicht mehr an die Preissteigerungen angepasst worden, erklärte er.

Friedhelm Hartmann im Gespräch mit Benedikt Schulz | 04.08.2017
    Studierende sitzen in einem Hörsaal.
    Friedhelm Hartmann: "Wenn man wüsste, dass das BAföG zum Beispiel um die Preissteigerungsrate jährlich erhöht wird, dann wüsste man auch sein Studium über fünf Jahre zu planen." (Jan Woitas, dpa)
    Benedikt Schulz: Regelmäßig gibt das Statistische Bundesamt die Zahlen der BAföG-Empfänger in Deutschland heraus. Und sie sind wieder gesunken. Nennen wir mal die harten Zahlen: 823.000 Geförderte gab es 2016, das sind 5,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Und nach unterschiedlichen BAföG-Formen einmal aufgeschlüsselt heißt das: 7,6 Prozent weniger geförderte Schülerinnen und Schüler beziehungsweise 4,5 Prozent weniger Studierende. Das sind also die Zahlen, die vorliegen, aber was sagen die aus? Warum sinkt die Zahl der BAföG-Empfänger, das ist die große Frage. Über das BAföG spreche ich jetzt mit einem, der sozusagen an der Basis arbeitet. Friedhelm Hartmann ist Leiter der Abteilung Studienfinanzierung beim Studentenwerk in Göttingen. Herr Hartmann, hallo!
    Friedhelm Hartmann: Hallo!
    Schulz: Ja, die Frage gebe ich an Sie weiter: Warum sinkt die Zahl der BAföG-Empfänger, während die Zahl der Studierenden weiter hoch ist?
    Hartmann: In der Tat beobachten wir das in Göttingen auch, dass die Zahl der Studierenden etwa konstant bleibt. Wir hatten hier einen Antragsrückgang von fünf Prozent, hatten uns eigentlich mehr erwartet, weil ja der Bund davon ausgegangen ist, dass sich auf der Basis der 25. Gesetzesnovelle die Zahl der Geförderten um 110.000 erhöht und nicht etwa im Jahr, wie es jetzt eingetreten ist, vermindert. Ja, warum geht die Antragszahl zurück? So genau wissen wir das auch nicht, wir wüssten es gern. Die Antragsteller, die ausbleiben, die verraten uns nicht, warum sie keinen Antrag mehr stellen, und insofern hab ich dazu keine konkrete Antwort.
    Schulz: Können Sie denn zumindest eine Idee formulieren davon ausgehend, was Studierende Ihnen erzählen, die einen Antrag stellen, dass es da Probleme gibt oder Ähnliches?
    Hartmann: Ja, also ich würde zwei Ursachen als vorrangig ansehen. Das eine ist die nicht allzu große Verlässlichkeit des BAföG. Es ist ja jetzt sechs Jahre nichts passiert, die Bedarfssätze blieben gleich, die Freibeträge vom Einkommen der Eltern insbesondere blieben gleich, und in dieser Zeit hat die Preissteigerung natürlich schon dazu geführt, dass das BAföG materiell immer weniger wert wurde. Wir glauben, dass sich Studierende dann doch auch anders einrichten – und die aktuellen Untersuchungen lassen das ja auch erkennen –, dass eben der immer geringere Elternunterhalt durch das zunehmende Verdienen der Studierenden selbst ersetzt wird. Ja, und so eine Antragstellung ist eben nicht leicht, also für uns Sachbearbeiter vielleicht schon, aber eben für diejenigen, die den Antrag stellen müssen, die mit diesen Vordrucken, erstmals im Leben ja häufig überhaupt mit staatlichen Antragsvordrucken in Berührung kommen, die empfinden das doch als kompliziert, das Antragsverfahren, und sind ja vergleichsweise verwöhnt, wenn man das mal mit einem Bestellvorgang vergleicht, der heute im Internet stattfindet.
    "Es bleibt eben kompliziert, einen Antrag online zu stellen"
    Schulz: Ja, Stichwort Internet: Es gibt ja inzwischen auch Online-basierte Lösungen, e-BAföG. Klappt das oder klappt das nicht?
    Hartmann: Ja, wir haben hier in Göttingen inzwischen einen Online-Antrag seit August 2016 bekommen. Sie sehen ...
    Schulz: Einen einzigen.
    Hartmann: ... dass das offenbar nicht funktioniert, also das Ergebnis jedenfalls ist niederschmetternd. Und woran das liegt – es bleibt eben kompliziert, einen Antrag online zu stellen. Man müsste entweder selbst die formalen Anforderungen des guten alten Signaturgesetzes erfüllen oder per eTan des Personalausweises den Antrag stellen oder – in Niedersachsen einzig möglich – das per De-Mail tun, und die wenigsten Studierenden haben ein De-Mail-Konto und können deshalb diese seit August 2016 vom Bund ja verpflichtend neu geschaffene Möglichkeit zur Onlineantragstellung gar nicht nutzen. Und wer sie nutzt, dem begegnen auch bei der Onlineantragstellung grundsätzlich die Formblätter, wie er sie auch in Papier vorfinden würde. Das heißt, das Erleben dieses Ausfüllens ist nicht gerade einfacher.
    Schulz: Jetzt sind 735 Euro maximal drin, zumindest wenn eine eigene Wohnung mit dabei ist. Wenn Sie mit Studierenden sprechen, ist das überhaupt ausreichend – jetzt mal konkret in einer Universitätsstadt wie Göttingen?
    Hartmann: Ja, also der größte Posten sind immer die Mieten, und in Göttingen werden wie überall 250 Euro für die Miete in Bedarf geleistet, eingeschlossen in diesen 735 Euro. Übrigens, um den Betrag mal klarzustellen: Eigentlich gibt es nur 649 Euro für das reine Studium und das Wohnen. Die 735 Euro kommen nur zustande, wenn man das 25. Lebensjahr erreicht hat, selbst kranken- und pflegeversichert ist und nicht mehr bei den Eltern mitversichert ist, also die 86 Euro reicht man einfach an die Versicherer durch. Man muss also letztlich mit 649 Euro auskommen, und wer Hochschulstädte kennt, der weiß, dass man für 250 Euro nur ganz ausnahmsweise dort eine Unterkunft findet.
    Schulz: Die Gewerkschaften fordern, aber die Oppositionen fordern das erneut, dass das BAföG auch automatisch erhöht werden muss. Sehen Sie das auch so?
    Hartmann: Ja, das würde ja dieses Verlässlichkeitsproblem, das ich eingangs schon erwähnt habe, ein wenig mildern. Wenn man wüsste, dass das BAföG zum Beispiel um die Preissteigerungsrate jährlich erhöht wird, dann wüsste man auch sein Studium über fünf Jahre zu planen. So war es aber zwischen 2010 und 2016 ja so, dass Studierende, die heute drei Jahre für den Bachelor benötigen und zwei Jahre für den Master, in der hier betroffenen Generation vielleicht nicht eine einzige BAföG-Anpassung miterlebt haben.
    Schulz: … sagt Friedhelm Hartmann, er ist Leiter der Abteilung Studienfinanzierung beim Studentenwerk in Göttingen, und das heißt, er ist ganz konkret mit der Beratung von Studierenden beschäftigt, was das Thema BAföG angeht. Herzlichen Dank für die Informationen und Einschätzungen, Herr Hartmann!
    Hartmann: Ja, gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.