"Mein Kampf"

Hitler wollte damit vor allem Geld verdienen

Der Buchrücken einer Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" vor einem unscharfen Porträtbild Hitlers.
Derzeit kommen geballte Neuerscheinungen zu Hitlers "Mein Kampf" auf den Markt. © picture alliance / dpa / Sepp Spiegl
Von Rainer Volk · 14.11.2015
Zum Jahreswechsel ist es soweit: Die Urheberrechte an Adolf Hitlers "Mein Kampf" laufen aus. Der Journalist Sven-Felix Kellerhoff sowie die Filmemacher Matthias Kessler und Antoine Vitkine setzen sich auf jeweils eigene Art mit der Geschichte des Textes auseinander.
Es ist erstaunlich, unter welchen Gesichtspunkten man sich die "Bibel des Nationalsozialismus", wie "Mein Kampf" oft genannt wurde, aus heutiger Sicht ansehen kann. Ein Ansatz ist der nüchterne: Sven-Felix Kellerhoff unternimmt ihn sehr kompetent und vielfältig – zum Beispiel zur Akten- und Literaturlage:
Sven-Felix Kellerhoff: "Die Quellen zu 'Mein Kampf' sind verstreut. Zunächst sind die Akten des Franz-Eher-Verlages bei einem Luftangriff auf München 1944 wahrscheinlich verbrannt, sodass es nur ganz, ganz wenige Splitter gibt. Allerdings hat man in vielen Aktenbeständen kleinere 'Büschel' zu 'Mein Kampf' gefunden – in den Akten der Reichskanzlei, in den Akten des Auswärtigen Amtes und in allgemeinen NS-Akten natürlich. Man muss sich viel zusammensuchen."
Übliche Verdächtige als Hitlers Koautoren
Und das beherrscht der Redakteur für zeithistorische Themen der Springer-Mediengruppe. Wie Kellerhoff fragt der französische Dokumentarfilmer Antoine Vitkine in seinem Buch, wer das Skript des Autodidakten Hitler in eine publikationsfähige Form brachte. Seine Antwort endet jedoch bei den "üblichen Verdächtigen".
"Rudolf Heß ist dank seiner höheren Bildung dabei, ebenso wie Ernst Hanfstaengl, der Deutsch-Amerikaner mit Harvard-Diplom ...
Doch hauptsächlich wird diese mühsame und wichtige Aufgabe von zwei eher ungewöhnlichen Persönlichkeiten besorgt: Joseph Stolzing-Cerny, Musikkritiker des Völkischen Beobachters, und der ehemalige Priester Bernhard Stempfle, aktuell politischer Redakteur und Herausgeber eines Provinzblattes." (Vitkine, Seite 32/33)
Parallel gelesen kommt der Leser zur Schlussfolgerung: Vitkine und Kellerhoff sind nicht deckungsgleich – und: Kellerhoff hat die besseren Argumente, zum Beispiel bei Hanfstaengl und dem 1934 bei der Niederschlagung des Röhm-Putsches ermordeten Stempfle:
Cover von Sven Felix Kellerhoffs "Mein Kampf. Die Karriere eines deutschen Buches"
Cover von Sven Felix Kellerhoffs "Mein Kampf. Die Karriere eines deutschen Buches"© Klett-Cotta
"Hitlers zeitweiliger Berater Ernst Hanfstaengl nahm zwar später für sich in Anspruch … als erster klar gesagt zu haben: 'Herr Hitler, so geht das nicht!', doch dürfte es sich hier um eine Selbststilisierung handeln. Der ehemalige Ordenspater und antisemitische Publizist Bernhard Stempfle … trug just zur Zeit der Fahnenkorrekturen einen heftigen öffentlichen Streit mit der NSDAP aus … Es ist kaum anzunehmen, dass Hitler einen erklärten Gegner in die Arbeit an seinem Buch einbezog." (Kellerhoff, Seite 60)
Gewissensbisse bei verbotener Lektüre
Der Verdacht, dass Antoine Vitkine sorgfältiger hätte recherchieren müssen, kommt auch an anderen Stellen auf. Vielleich erklären sich die Defizite aber auch durch die Tatsache, dass das französische Original des Buches bereits vor gut fünf Jahren erschien. Lesenswert ist Vitkines Studie indes, weil der Autor griffig formuliert. Ein Beispiel:
Cover von Antoine Vitkines Hitlers "Mein Kampf". Geschichte eines Buches
Cover von Antoine Vitkines "Hitlers Mein Kampf. Geschichte eines Buches"© Hoffmann und Campe
"In Landsberg hat sich Hitler schließlich – theoretisch – selbst davon überzeugt, dass er der Führer ist, … dass er selbst dazu da ist, Deutschland zu retten. Er glaubt daran, die Eigenschaften des 'Theoretikers' und des 'Mannes der Tat' in sich zu vereinen. Hitler hat 'Mein Kampf' genauso gemacht, wie 'Mein Kampf' Hitler gemacht hat. (Vitkine Seite 56/57)
Dazu kommt: Vitkine erzählt in Reportage ähnlichen Abschnitten, wo und wen er für seinen Dokumentarfilm befragt hat – und wie seine Gesprächspartner reagierten. Dass er sich dieses Stilmittel für den Schluss versagt und stattdessen fragt, was ein Fortbestand des Verbots von "Mein Kampf" bringen würde, ist auch zu loben. Das Urteil lautet nämlich: Nichts.
Da scheint der Autor des dritten Buches skeptischer zu sein. Matthias Kessler ist – wie Antoine Vitkine – Filmemacher und nennt seinen Beitrag zur Debatte "eine Abrechnung". Ihm bereitete das Projekt, in das er sich dabei stürzte, offenbar Gewissensbisse:
"Darf ich das Buch überhaupt lesen? Bin ich dann ein Nestbeschmutzer? Nach so langer Zeit. Das ist doch alles vorbei. … Das macht doch keinen Sinn. Doch, es macht Sinn: nicht wieder den gleichen Fehler zu begehen. Nicht zu schweigen. Nicht durch Verbieten zu mystifizieren. Es geht ums Dekuvrieren: Entlarven, als das, was es ist." (Kessler, Seite 19)
Die knapp 300 Seiten in "Ich-Form" nach dem Motto: "Was richtet die Lektüre mit mir an?" geraten naturgemäß subjektiv, mitunter fast impressionistisch. Die kleinen Szenen, "Reenactments" genannt, die Kessler mit historischen Figuren wie Hitler, Himmler oder Röhm geschrieben hat, verlassen das Sachbuch-Genre. Auch stammt sein Fachwissen nur aus zweiter Hand.
Cover von Matthias Kesslers Eine Abrechnung. Die Wahrheit über Adolf Hitlers "Mein Kampf"
Cover von Matthias Kesslers "Eine Abrechnung"© Europa Verlag
Kriminalpsychologin: Hitler war ein Narziss
Originell ist dagegen der Gedanke, eine Kriminalpsychologin anzusetzen. Die bewährte Gerichts-Gutachterin enthüllt am Ende, was der Hitler-Text über dessen Autor verrät:
"Wenn ich sein Buch lese, dann springt mir da ein absolut narzisstisches Wesen entgegen.
Im Buch schreibt er vom aristokratischen Grundgedanken der Natur: Indem das parlamentarische Prinzip der Majoritätsbestimmung die Autorität der Person ablehnt … sündigt es wider den aristokratischen Grundgedanken der Natur.
Im Grunde beschreibt er da seinen Narzissmus. Die Autorität der Person, damit meint er sich. Er ist die Person. Er ist der Führer. Das sieht er als aristokratischen Grundgedanken der Natur." (Kessler, Seite 292)
Mich hat das mehr amüsiert, als dass ich den Inhalt ernst nahm. Dafür enthielt er nach meinem Geschmack zu viel von Matthias Kesslers Lebensverarbeitung.
Als Künstler und Putschist stilisiert
Wobei: "Mein Kampf" ist kein Buch, bei dem Privates und Politisches klinisch rein zu trennen ist. Das zeigt am besten Sven-Felix Kellerhoff, indem er darauf hinweist: Der Häftling Hitler nutzte die Monate in Landsberg nicht nur, um sein Leben als gescheiterter Künstler und Putschist zu stilisieren. Vor allem schrieb er das Buch, weil er das Autoren-Honorar brauchte.
Sven-Felix Kellerhoff: "Es gibt Aussagen von späteren engen Vertrauten. Es gibt eine Notiz des Gefängnisdirektors von Landsberg – und all das zusammen macht doch sehr, sehr deutlich, dass es Hitler vor allem darum ging, eine finanzielle Basis für seine Zukunft zu haben.
Denn bis zur Haft in Landsberg war er nahezu zu 100 Prozent abhängig von der Unterstützung einiger reicher Münchner und eines Berliner Förderers – und aus dieser Situation wollte er heraus."
Das banale Geschäft mit Hitler, das sich in den geballten Neuerscheinungen zu "Mein Kampf" zeigt, bietet aber auch dem Leser Profit: Er kann Kellerhoffs Beitrag als Basis nehmen – und die Lektüre der beiden anderen Werke von Vitkine und Kessler als Anregung begreifen, was das Pamphlet heute noch zu sagen hat.

Sven Felix Kellerhoff: "Mein Kampf". Die Karriere eines deutschen Buches
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015
367 Seiten, 24,95 Euro, auch als ebook

Matthias Kessler: Eine Abrechnung. Die Wahrheit über Adolf Hitlers "Mein Kampf"
Europa Verlag, Berlin 2015
320 Seiten, 22,90 Euro, auch als ebook

Antoine Vitkine: Hitlers "Mein Kampf". Geschichte eines Buches
Übersetzt von Sabine Hedinger, Sabine Schneider und Christian Stonner
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015
320 Seiten, 16,99 Euro

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