Mehr Rummel als Literatur

Moderation: Gabi Wuttke · 13.09.2005
Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler hat den internationalen Buchpreis Corine, der am heutigen Abend unter anderen an Walter Kempowski, Eva Menasse und Per Olov Enquist verliehen wird, als Münchner Medienrummel abgelehnt. Der undotierte Preis sei in der Branche nie ernst genommen worden, sagte sie gegenüber Deutschlandradio Kultur.
Wuttke: Preisträger sind unter anderem Per Olov Enquist, Helma Sanders-Brahms, Eva Menasse, Cecelia Ahern und Kurt G. Blüchel. Gesponsort wird Corine unter anderem vom Heine-Verlag, der "Zeit", "Focus" und "Weltbild", übertragen auch vom Bayrischen Fernsehen. Siegrid Löffler, die Chefin der Zeitschrift "Literaturen", ist jetzt im Studio. Frau Löffler, was halten Sie vom Corine-Preis?

Löffler: Ehrlich gesagt, gar nichts. Das ist ein Münchener Medienrummel, hat aber eigentlich mit der Dignität eines wirklichen Literaturpreises gar nichts zu tun. Der größte Schwachpunkt scheint mir der zu sein, dass ich noch nie etwas von einer unabhängigen Jury gehört habe, die diesen Preis vergeben würde. Man hat eigentlich als Außenstehender den Eindruck, dass es vielleicht die Sponsoren selber sind, die dann auch gleich die Preisträger ausrufen.

Wuttke: Aber dass dabei auf Erfolg beziehungsweise Erfolgsaussichten eines Buches geschaut wird, also mal auf den Leser, das ändert an Ihrer Meinung nichts?

Löffler: Ja, ich weiß nicht, ob sich die Leute, die da zu dieser Gala gehen, wirklich dann dazu hinreißen lassen, einen Roman von Per Olov Enquist zu lesen. Man hat eher den Eindruck, dass die armen Autoren da vorgeführt werden wie die Pfingstochsen und dass es eigentlich eher um den Drumherumrummel geht als um die Literatur.

Wuttke: Ist Walter Kempowski auch jemand, der da einfach vorgeführt wird?

Löffler: Ja, wenn er sich gerne von der bayrischen Staatskanzlei auch noch beloben lässt und Schulter klopfen lässt, dann sei ihm das unbenommen, aber ich denke nicht, dass einer der Autoren, die dort ausgezeichnet werden, diesen Preis wirklich in ihre Biografie als große Auszeichnung hineinschreiben können, denn sie wissen ja gar nicht, wer ihnen diesen Preis verliehen hat.

Wuttke: Sie sind nun Fachfrau. Welche Diskussion hat es denn eigentlich im Vorfeld dieses Preises gegeben? Es ist ja jetzt sozusagen erst das dritte Mal.

Löffler: Ja, dieser Preis ist eigentlich in der Branche nie wirklich ernstgenommen worden. Man hält das für so ein bayrisches Medienevent und geht eigentlich darüber hinweg, aber jedenfalls dort, wo es um deutsche Literaturpreise geht, dort spielt dieser Corine-Preis überhaupt keine Rolle.

Wuttke: Die USA haben den Pulitzer-Preis, die Briten haben den Booker-Preis, Frankreich hat den Prix Goncourt.

Löffler: Schweden hat den Nobelpreis.

Wuttke: Ja, den könnte man an dieser Stelle auch mal erwähnen. Aber warum steht in Deutschland immer nur eine kleine Gemeinde Kopf, wenn der Büchner-Preis vergeben wird?

Löffler: Ja, das habe ich mich auch oft gefragt. Es gibt ja den Büchner-Preis , und der ist nun unbestritten der sozusagen deutsche Nobelpreis. Er ist der angesehenste Preis, er ist auch sehr gut dotiert. Er wird schon sehr lange vergeben, also er hat schon eine lange Reihe von durchaus würdigen Preisträgern, und er wird von einer sehr renommierten Jury, nämlich von der Darmstädter Akademie vergeben. Gleichwohl hat er nicht diese Publicity - und ich denke, es hängt auch damit zusammen, dass halt diese Akademie natürlich sehr nobel-zurückhaltend ist, und dieses Publicity-Spiel nicht wirklich mitspielt. Aber trotzdem ist der Büchner-Preis innerhalb der literarischen Gemeinde hochbegehrt und auch hoch angesehen.

Wuttke: Ja, aber sollte sich die Akademie vielleicht dann doch ein Scheibchen von den Veranstaltern des Corine-Preises abschneiden, um tatsächlich auch die Wichtigkeit und die Seriosität dieses Preises zu unterstreichen?

Löffler: Ja, das hat man schon öfter gesagt. Ich glaube nicht, dass sie sich ändern werden. Andererseits ist genau diese Zurückhaltung ja ein Teil der Reputation des Büchner-Preis es. Es gibt ja andere Preise, die jetzt versuchen, etwas mehr in die Medien zu gehen, etwas mehr Reklamerummel um sich herum zu erzeugen. In diesem Jahr sind ja gleich zwei neue Preise gegründet worden, einer im Rahmen der Leipziger Buchmesse im Frühjahr und einer jetzt zum ersten Mal im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, die beide versuchen, etwas mehr Publicity zu erzeugen, schon allein deshalb, weil sie im Rahmen der jeweiligen Buchmessen vergeben werden, wo natürlich auch schon die Aufmerksamkeit etwas gesteigert ist, und beide versuchen ein bisschen den englischen Booker-Preis nachzuahmen, der ja bekanntlich in drei Stufen vergeben wird: Zuerst gibt es eine Long-List, eine lange Liste der möglichen Preisträger, die bekannt gegeben wird, dann wird die Jury noch einmal zusammengerufen, dann muss sie eine Short-List, also eine kurze Liste da herausfiltern von sechs Autoren, die in Frage kommen, und zum Schluss dann der Preisträger. So hat man für einen Vorgang praktisch drei Mal Publicity. Das freut natürlich den Buchhandel und das freut noch viel mehr die Verleger. Das wird versucht auch in Deutschland etwas abzukupfern. Mal sehen, ob das in Deutschland diese Wirkung haben wird. Ein Preis bekommt nicht von heute auf morgen eine Dignität. Da muss man schon ein paar Jahre lang daran arbeiten, ehe der sich durchsetzt. Die Dignität kommt eigentlich durch die Namen und die Reputation der Preisträger. Erst daraus entsteht eigentlich auch die Reputation eines Preises.

Wuttke: Bei den neuen Preisen kennen Sie sich so gut aus, weil Sie in der Jury für den Leipziger Preis sitzen. Gibt es aber trotzdem - man fragt ja immer mal wieder gern danach - ein deutsches Spezifikum, warum man sich auch mit diesen Preisen letztlich immer so schwer tut, also geht es jetzt leichter, was ist das Neue, was tatsächlich mit angeschoben wird, um Öffentlichkeit zu erzeugen?

Löffler: Ja, ich denke, es wird zum Beispiel bei dem Frankfurter Preis sehr davon abhängen, wer der erste Preisträger ist, ob sich so ein Preis durchsetzt. Bei aller Befangenheit, weil ich in der Jury des Leipziger Preises bin, denke ich, dass es im ersten Jahr gut gelungen ist, weil wir sehr würdige Preisträger hatten, die Terézia Mora und der Rüdiger Safranski mit ihren jeweiligen Werken. Aber man kann es in der Tat erst nach ein paar Jahren absehen. Es geht jetzt eigentlich darum, die Verantwortlichen zu ermutigen, dass sie da auch durchhalten und mehrere Jahre hinweg auch da das Geld dafür zur Verfügung stellen, damit der Preis sich überhaupt durchsetzen kann in der Öffentlichkeit. Die Schwierigkeit noch bei dem Frankfurter Preis scheint mir zu sein, es wird ja ein Preis für ein Deutsches Buch dieses Jahres vergeben, einen deutschen Roman, dass vielleicht die Auswahl nicht so groß und auch nicht so berühmt ist. Der englische Booker-Preis hat ja den riesigen Vorteil, er wird ja vergeben jeweils für den besten Roman englischer Sprache, das heißt, sie können zurückgreifen auf australische Autoren, auf kanadische Autoren, auf südafrikanische Autoren, auf schottische, auf irische, das ganze Commonwealth ist da mit beteiligt, das heißt ein unglaubliches Einzugsgebiet, und da einen hervorragenden Autor zu finden mit einem tollen neuen Roman, ist da nicht ganz so schwer, verglichen mit dem doch vergleichsweise kleineren Einzugsgebiet eines deutschsprachigen Preises.

Wuttke: Bei all den Problemen, die Sie auch schildern, was glauben Sie, wie lange, wie viel Jahre wird es brauchen und wie viel geballten Atem, bis wir sagen können: Es gibt in Deutschland einen großen literarischen Buchpreis?

Löffler: Ja, den Büchner-Preis wird es immer geben, und an dessen Reputation heranzukommen, wird allen Neugründungen schwer fallen, da müssen sie noch eine Reihe von Jahren daran arbeiten. Es geht um die beiden Dinge: die Dauer eines Preises, wie lange es ihn schon gibt, und die würdige Preisträgerliste. Man kann einen Preis sehr schnell ruinieren, wenn man ein oder zwei Jahre sich verhaut und einen falschen Autor nimmt. Die Branche passt sehr genau auf, und die weiß auch sehr genau, ob jemand einen Preis verdient oder nicht. Man kann sehr schnell die Reputation verspielen, wenn man den falschen Autor wählt.

Wuttke: Reputation und Literaturpreise - vielen Dank für das Gespräch!
Corine 2005
Corine 2005© Corine 2005
Mehr zum Thema