Mehr Mann geht nicht

Von Michael Laages · 17.10.2010
Nie schrieb Thomas Mann für das Theater, und doch gehören die Werke des Nobelpreisträgers seit einigen Spielzeiten zu den beachtlichsten Novitäten auf den Spielplänen deutscher Bühnen. Und dieser ist beinahe exklusiv dem Bemühen des Dramaturgen und Dramatikers John von Düffel geschuldet, Mitte 40 inzwischen und aus Göttingen – er hatte sich zunächst "Die Buddenbrooks" vorgenommen, uraufgeführt in Hamburg und nachgespielt landauf-landab, später auch "Joseph und seine Brüder" (erstmals gezeigt in Düsseldorf). Jetzt ist von Düffels Fassung vom Kunst-und-Macht-Roman "Doktor Faustus" bei den Manns zu Hause vorgestellt worden, am Theater in Lübeck.
Von Düffel ist übrigens nicht der einzige Mann-Interpret: "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" reüssierten in unterschiedlichsten Versionen; und auch der hochkomplexe "Doktor Faustus"-Roman war vor geraumer Zeit schon die Vorlage für eine Wiener Inszenierung, in der Friederike Heller das Material eher als Steinbruch benutzte. Nun, in Lübeck, ist nachzuvollziehen, warum das keine gar so schlechte Idee war – denn hier nun soll es sozusagen "der ganze Mann" sein. Von Düffel will möglichst viele der verschlungenen "Faustus"-Fäden miteinander in Handlung versetzen. Das bleibt ein risikoreiches Stück Arbeit.

Denn deutlicher als selbst beim ähnlich mäandernden "Joseph"-Roman muss das Bemühen um "Faustus" fragmentarisch bleiben, bruchstückhaft; selbst unter den Bedingungen eines Dreieinhalb-Stunden-Abends und eines höchst flexiblen Ensembles. Viel Personal schwebt mäßig profilstark um die wenigen Zentralfiguren herum – um Adrian Leverkühn, den talentierten Komponisten, der den faustischen Pakt mit der Hölle eingeht, um als Musiker immerzu Erfolg zu haben; genauer: 24 Jahre lang.

So wird er der Liebling der Mächtigen, auf den Jubel um ihn ist Verlass. Er ist verführbar, darf aber selber nicht verführen – das ist der Preis, den er zahlen muss in diesem Geschäft. Auf jede Form von Liebe muss er verzichten. Der Künstler, dessen frühe Erfahrungen mit gekaufter Liebe ihm im Nachhinein auch schon recht teuflisch erscheinen, bleibt im Erfolg unnahbar, für Frauen wie für Männer – wie etwa den Freund und Geiger Schwertfeger, der ihn beharrlich umschmeichelt. Liebe ist verboten – und zwar generell und fundamental. Selbst als ein Kind all seine Zuneigung auf sich zieht, muss es sterben.

All dies erzählt Mann aus der Perspektive des lebenslangen Leverkühn-Freundes Serenus Zeitblom; und als der dessen Geschichte von Leben zum Sterben hin erzählt, ist Deutschland selber gerade erstorben – Ausgangspunkt ist die totale Niederlage, die der deutsche Nationalsozialismus nach sich zog – Pit Holzwarths Lübecker Uraufführungsinszenierung setzt gewaltige Bilder der letzten Tage der Katastrophe als Dekor für das Künstler-Drama. Werner Brenners Bühne ist Gralsburg und Reichsparteitagskulisse in einem, mit Bunker-Türen rechts und links und hinten; davor lauern Wasser-, später Feuer-Löcher mit sterbensmüden Toten drin, und ein Klavier versinkt gerade in der Erde. Vier Kontrabassisten stiften finstre Stimmungen, und die Bühnen-Sounds von Achim Gieseler, einem der interessantesten Theater-Musiker im Land, markieren (unter Zuhilfenahme von Beethoven, Wolfgang Rihm und "Lili Marleen" von Norbert Schultze) eindringlich eine sehr eigenständige Klangfarbe für das fatale Bündnis von Musik und Macht.

Das Ensemble schlägt sich beachtlich, Andreas Hutzel als Leverkühn und Götz van Ooyen mit Zeitbloms Part vorneweg. Und das Lübecker Publikum bereitet dem Theater ein lokalpatriotisches Jubel-Fest von beträchtlichem Ausmaß. Aber weniger als fast immer bislang hat der Nach-Dichter von Düffel in diesem Fall beweisen können, warum die Romane von Thomas Mann mit zwingender Notwendigkeit auf die Bühne müssen.

Lesen ist anstrengend genug.

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