Mehr Kegelrobben an der Ostsee

Vorsicht, bissige Robbe!

10:06 Minuten
Eine Robbe am Strand mit geöffnetem Maul und scharfen Zähnen.
Der Bestand der Kegelrobben erholt sich langsam. An der Ostseeküste waren sie einmal beinahe ausgestorben. © picture alliance / blickwinkel / McPHOTO
Von Silke Hasselmann · 19.04.2021
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Robben sind Raubtiere und können beißen. Tierschützer warnen davor, den Kegelrobben an der Ostseeküste zu nahe zu kommen. Dabei haben sie das Wohl von Mensch und Tier im Kopf. Denn die Robben brauchen Ruhe, damit sich ihr Bestand an der Küste erholt.
"Was wir vermeiden wollen, ist, dass es ohne, dass es es möchte, ins Wasser geht. Es soll da liegen bleiben, wenn es liegen möchte", sagt die Meeresbiologin Susanna Knotz und meint mit "es" das größte Raubtier, das auf dem Gebiet von Mecklenburg-Vorpommern anzutreffen ist: die Kegelrobbe.

Tiere müssen sich ausruhen

"Die Tiere brauchen Ruhe. Es sind schließlich keine Wale, die ständig im Wasser sind. Und wir hatten schon den Fall, dass die Leute dachten, eine Robbe, die an Land liegt, liegt da nicht richtig und muss ins Wasser rein."
Das Gegenteil sei richtig: Die Tiere wollen und müssen sich ausruhen – erst recht ab dem späten April, wenn sich die Tiere im Fellwechsel befinden, ergänzt Susanna Knotz. Die Wahl-Rostockerin ist Projektleiterin bei "Schatz an der Küste". Das ist ein Verbundprogramm für die biologische Vielfalt, das von der Bundesregierung finanziert wird. Zu diesem "Küstenschatz" zählt auch die Kegelrobbe, die vor 100 Jahren in der Ostsee als so gut wie ausgerottet galt.
"Die gesamte Population in der Ostsee beträgt im Moment wieder über 30.000 Tiere. Das ist ein schöner Erfolg des Artenschutzes. Wir hatten in den 1980er-Jahren einen Tiefststand von rund 2500 Tieren in der gesamten Ostsee."

Der Bestand wächst

Fachleute des Meereskundemuseums Stralsund behalten die Ostsee-Kegelrobben im Blick und gehen von derzeit 60 bis 80 Tieren aus, die an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern leben. Die genaue Zahl kennt niemand, denn ohne Markierung ist es nicht einfach, die gesichteten Tiere stets eindeutig auseinanderzuhalten und zuzuordnen. Doch eines lässt sich sagen: Der Bestand wächst zusehends, denn vor zwei Jahren lag die geschätzte Zahl der beobachteten Dauerbewohner noch bei 40.
Dann sind da auch noch die zeitweiligen Besucher. Sie kommen, wenn die Frühjahrslaichzeit der Heringe beginnt. Dann ziehen die Fische aus der westlichen Ostsee zur Fortpflanzung in ihre Hauptlaichgebiete Greifswalder Bodden und Strelasund vor Rügen – sehr zur Freude nicht nur der Angler, sondern auch der Kegelrobben.
"Die folgen den Schwärmen. Robben sind Allesfresser. Die nehmen, was kommt. Und wenn gerade viele Heringe da sind, dann gehen sie auf Hering."

Die Tiere in Ruhe lassen

Schon bald werden die bis zu drei Meter langen Tiere ihr Fell wechseln und selbst in die Paarungs- und Wurfzeit kommen. April, Mai, Juni – das sei üblicherweise die Zeit, in der entlang der deutschen Ostseeküste die meisten Kegelrobben zu beobachten sind.
Ein gelbes Schild markiert Orte, wo Robben Ruhe suchen. Vorsicht rastende Robbe, steht auf dem Schild.
Kegelrobben am Strand brauchen Ruhe und Schutz. Hinweisschilder machen darauf aufmerksam.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Treffen Strandbesucher auf eines dieser schläfrig-träge wirkenden Raubtiere, dann heißt es "Ruhe bewahren, die Tiere in Ruhe lassen und, wenn möglich, die Nummer des Robbentelefons wählen!" sagt Susanna Knotz. Im Internet finde man rasch die Nummer, die den Anrufer direkt zur Robbenschutzbeauftragten vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) führe.
Tatsächlich meldet sich am anderen Leitungsende Nicola Boll. Auch sie ist eine Diplom-Biologin mit dem Schwerpunkt Meereskunde. Seit diesem Januar zeichnet Nicola Boll beim BUND für den Robbenschutz in der Ostsee verantwortlich. Zu ihren Kernaufgaben zählt es, die Ordnungsämter, Bauhöfe und Freiwilligen Feuerwehren entlang der Küste dafür zu sensibilisieren, dass die Kegelrobbe immer häufiger auch am Ostseestrand auftauchen wird und dann zu schützen ist.

Ein Schnappschuss ist in Ordnung

25 Bauhöfe sind bislang mit einer Absperrausrüstung aus dem Programm "Küstenschatz" versorgt. Andere Absperrsets habe man bei Freiwilligen Feuerwehren oder privat deponiert, weil man auch am Wochenende oder nach Feierabend einen schnellen Zugriff brauche, wenn Folgendes passiere, erzählt Nicola Boll:
"Es kommt eine Robbe an den Strand und möchte sich dort ausruhen. Das passiert tatsächlich regelmäßig, die brauchen diese Pausen. Und die liegen dann am Strand und schlafen zwei Tage, wenn´s hochkommt."
Eine Kegelrobbe liegt mit erhobenem Kopf am Strand.
Kegelrobben kehren an die Ostseestrände zurück. Touristen sind begeistert. Aber die Tiere sind nicht nur niedlich.© picture alliance / Zoonar / Marlene Cleven
Einen Schnappschuss von den Raubtieren aus der Ferne machen, das sei in Ordnung, sagt Nicola Boll. Ansonsten solle man unbedingt Abstand und Hunde an der Leine halten. Übrigens auch im eigenen Interesse.

Robben können beißen

"Die Robben können durchaus beißen, und die sind erstaunlich schnell auch an Land. Vor allem mit Hunden hatten wir diese Auseinandersetzung schon. Es gibt sowohl Hunde, die von Robben gebissen wurden als auch Robben, die von Hunden gebissen wurden, was wir natürlich beides gern verhindern würden. Wir wünschen uns dann von den Strandbesuchern, dass sie uns Bescheid sagen über das Robbentelefon. Und wir würden dann veranlassen, dass ein Schutzzaun aufgebaut wird, wenn es ein belebterer Strand ist."
Und zwar über die örtliche Polizei oder das Ordnungsamt samt Gemeindebauhof, denn natürlich dürfen auch Naturschützer nicht ohne Weiteres Bereiche des öffentlichen Strandes absperren. Auch die freiwilligen Helfer kommen nun ins Spiel, ergänzt die hauptamtliche Robbenschützerin des BUND:
"Unsere Freiwilligen würden dann diesen Schutzzaun und die Badegäste betreuen, ihnen erklären, was sie über Kegelrobben gern wissen möchten und darauf achten, dass man sich vielleicht ein bisschen ruhig verhält, wenn man da am Zaun vorbeigeht."

Immer mehr Touristen

Gudrun Wilke ist so eine freiwillige Robbenschützerin geworden, nachdem sie vor drei Jahren aus Bayern nach Wismar gezogen war. Eines Tages habe sie den Aufruf des BUND Mecklenburg-Vorpommern gesehen, sich zu einem praktischen Seminar am Strand zu treffen und sich zeigen zu lassen, wie ein Schutzzaun um eine rastende Kegelrobbe aufzubauen ist und wie sie mit den wissbegierigen Strandbesuchern umgehen sollte.
"Ich komme aus Regensburg. Da war ich auch im Tierschutz tätig. Robben gibts bei uns unten in Regensburg nicht", lacht sie, "aber hier oben habe ich einfach nach einer neuen Betätigung gesucht."
Wenn man die Kegelrobben sehe, werde einem schon warm ums Herz, sagt sie.
"Aber ich habe mich eben auch belesen und weiß, dass die Kegelrobbe erst seit 2005 wieder hier ist. Das erste Junge war 2015, und deshalb sollte man sie auch schützen. Es kommen immer mehr Touristen hierher, und das passt wieder nicht zusammen. Wir brauchen den Tourismus. Und so muss eben eine andere Idee her, die Tiere dann, wenn sie da sind am Strand, zu schützen."
Ein Mädchen sitzt mit einem Fernglas am Strand und beobachtet Kegelrobben.
Zum Schutz der Kegelrobben sollte man die Tiere nur aus der Entfernung beobachten.© picture alliance / blickwinkel / F. Hecker

Fischer fürchten um Netze

Was Gudrun Wilke einst direkt am Strand lernte, erfahren heutige freiwillige Robbenschützer coronabedingt nur per Online-Schulung: Wie ist die Strandabsperrung im Mindestabstand von 100 Metern um das Tier zu bewerkstelligen? Und wie geht man am besten auf neugierige Strandbesucher ein? Fest steht, so sagt es Susanna Knotz vom Projekt "Schätze der Küste":
"Man soll die Robbe auch erleben können. Also, man soll die Leute nicht komplett ausschließen, wenn das irgendwie möglich ist. Denn das verärgert die Leute eher und verführt sie womöglich dazu, den Zaun zu ignorieren. Nach Möglichkeit lässt man immer einen Blick auf die Robbe zu."
Während nun Kegelrobben und menschliche Strandbesucher durchaus friedlich koexistieren können, sieht das mit Blick auf die letzten noch verbliebenen Fischer etwas anders aus. Vor allem Stellnetzfischer, die in Küstennähe auf Hering gehen, können ein Lied von beschädigten Netzen und herausgefressenen Heringen singen. Wer sich im Schweriner Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt umhört, wird auf eine mehrjährige Studie verwiesen, laut der die Fischer im Durchschnitt sechs Prozent ihrer Heringsfänge an Kegelrobben verlieren.

Fischer werden entschädigt

Um die Akzeptanz der Fischer für die rasante Verbreitung der streng geschützten Kegelrobbe entlang der mecklenburgischen Ostseeküste zu steigern, können sie seit dem vorigen Jahr bis zu 80 Prozent der nachgewiesenen Fraß- und Netzschäden geltend machen. Der Schadensersatz kommt aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie vom Land Mecklenburg-Vorpommern. Dass bislang insgesamt 13.500 Euro beantragt worden sind, lässt aus Sicht der BUND-Robbenschutzbeauftragten Nicola Boll den Schluss zu:
"Das Problem scheint aus unserer Sicht gar nicht so groß zu sein. Es ist nicht so, dass die Robben jetzt den Fisch wegfressen. Sondern es ist so, dass die Fische – vor allem die Heringe – durch die Erwärmung des Ostseewassers Schwierigkeiten haben mit dem Laichen, die Ernährung der Fischlarven ist nicht so einfach. Das geringere Fischaufkommen hat im Grunde mit den Robben nichts zu tun."
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