Mehr als nur archäologische Fundstätte

Rezensiert von Astrid Kuhlmey · 14.07.2006
Das Thema Pompeji ist wahrlich nicht neu - schon fast 2000 Jahre alt. Aber es ist für jeden faszinierend, der sich erstmalig genauer damit beschäftigt. Für den italienischen Autor Sergio Rinaldi Tufi bedeutet Alltagsbeschreibung, dass er nicht nur die Architektur und die Technologie der Baukunst beschreibt, sondern das Leben zwischen diesen Gebäuden in einer höchst lebendigen Stadt.
Der kleine Parthas Verlag hat aktuell ein schmales Buch vorgelegt, dass durch seinen Titel neugierig macht: Alltagsleben in Pompeji. Das Thema ist wahrlich nicht neu - schon fast 2000 Jahre alt - aber für jeden, der sich erstmalig genauer damit beschäftigt, faszinierend: eine Stadt hört mitten im Leben auf zu existieren. 79 n. Chr,, am 24. August in der Hitze des Mittags erreichten die ersten Lavamassen die römische Kolonie und bedecken sie in wenigen Stunden unter Steinen und Asche. Der Dichter Plinius beschrieb dieses vernichtende Naturereignis mit den Worten, dass nun "die letzte und ewige Nacht" über Pompeji hereingebrochen war. Dabei war die Stadt schon 16 Jahre zuvor durch ein großes Erdbeben erschüttert worden, hatte ihre wirklich beeindruckende Struktur in großen Teilen wiederhergestellt – nun das vernichtende Drama.

Allein die Fülle der kleinteiligen Abbildungen, die den gut lesbaren Text des 126 Seiten starken Buches begleiten, lässt die lebhafte und kulturell inspirierte Atmosphäre in Pompeji ahnen. Der Leser wird wirklich in das Stadtgeschehen hinein gezogen und nicht durch verstaubtes Archäologen-Insiderwissen abgeschreckt.

Nachdem sich über hunderte von Jahren eigentlich niemand mehr für Pompeji interessierte, wurden Mitte des 18. Jahrhunderts einige Zufallsfunde in der Gegend zur Initialzündung für Ausgrabungen, die seit 1738 bis zum heutigen Tag in der unterschiedlichsten Intensität und Qualität fortgesetzt worden. Goethes faszinierte Schilderung wird natürlich auch in diesem Buch zitiert.
Neben wissenschaftlich intendierten Forschungen fand auch damals schon die gierige Wühlerei nach Schätzen statt, die erst seit kurzem durch High-Tech- Überwachungen weitgehend verhindert werden können. Und das Pompeji Interesse hatte immer Hoch- und Tiefpunkte.

Wer zufällig schon einmal das berühmte Getty Museum in Los Angeles besucht hat, bekommt eine Ahnung von Kultur und Reichtum dieser Stadt, die noch in ihren Überresten eine überwältigende Aura hat. Denn Getty hat sich in der Architektur seines Museums von Pompeji inspirieren lassen.

Und da das Leben in Pompeji wie in einem düsteren Dornröschenmärchen plötzlich , mitten im Dasein angehalten wurde, können die Forscher und kann damit auch dieses Buch genauer Auskunft geben über das Leben der Sklaven, der Freigelassenen und der Bürger dieser Stadt.

Allein die Funde zahlreicher Skelette in den Häusern können sehr präzise Auskunft geben: Das Durchschnittsalter der Pompeijaner war 41 Jahre, ungefähr die Hälfte der Bevölkerung waren Kinder. Die Durchschnittsgröße der Männer betrug 1,66 m, die der Frauen 1,53 m. Die modernen Forschungsmethoden können Auskunft über häufige Erkrankungen der Menschen in Pompeji geben Alltagsbeschreibung, das bedeutet für den italienischen Autor Sergio Rinaldi Tufi, dass er nicht nur die Architektur, die Technologie der Baukunst beschreibt, sonder das Leben zwischen diesen Gebäuden, die oft mit großzügigen, schatten spendenden Patios ausgestattet waren, durch parkähnliche Areale und sinnvolle Nutzgärten ergänzt wurden. Die mitunter üppigen malerischen Ausstattungen ließen häufig auf die ganz persönliche Lebenssicht der jeweiligen Besitzer der Häuser schließen.
Doch Alltag, das macht das Buch in mehreren Kapiteln anschaulich, bedeutete für die Bewohner von Pompeji: Konsum, Vergnügen, Essen, Kultur, Wissenschaft.

Für all diese Stichworte findet der Autor in diesem Buch über Pompeji anschauliche Belege. Die Bewohner produzierten und konsumierten wundervolle, teilweise nuanciert gefärbte Stoffe für ihre Kleidung oder phantasievollen Schmuck. Sie vergnügten sich im Theater oder bei Gladiatorenspielen - die Amphitheater waren für bis zu 1500 Besucher ausgebaut. 31 Bäckereien und Konditoreien sind für die Stadt bezeugt, eine Unmenge von Garküchen konnten belegt werden und Öl sowie Wein aus Pompeji hatten in ihrer Zeit einen großen Ruf. Die große Kunst der Chirurgie ließ sich an den sehr differenzierten chirurgischen Bestecken nachweisen, die an mehreren Orten der Stadt gefunden worden. Die raffinierte Wasserkultur der Römer ist ja in den jahrhunderten immer wieder gelobt und auch beneidet worden – auch Pompeji hat eine Fülle öffentlicher Brunnen , Schwimmbecken, die direkt den Häusern zugeordnet waren, öffentliche Wasserleitungen und Thermen, die zum großen Teil sogar mit Fußbodenbeheizungen ausgestattet waren.

In Pompeji gab es attraktive "Shopping Malls", Wellnessbereiche und es gab ein recht gut dotiertes Gewerbe für Frauen, die sich ihre Haare rot färben mussten und deren Toga - eigentlich ein männliches Kleidungsstück - ihre Knie nicht bedecken durfte. Wie freigelegte Sgrafittis in Pompeji dokumentieren, wurde auch unumwunden Werbung für die Bordelle gemacht, die Angebote der Mädchen dabei anschaulich angepriesen. Die detailreichen Bilder des Buches begleiten den Leser durch eine höchst lebendige Stadt, die auf einmal viel mehr als nur eine archäologische Fundstätte ist.


Sergio Rinaldi Tufi: Alltagsleben in Pompeji
Aus dem Italienischen von Katja Richter
Parthas Verlag, Berlin 2006, 126 Seiten.