Mehr als ein Trip in die Vergangenheit

26.03.2010
Ein Blick aus dem Fenster bildet den Rahmen für eine Reise in die Vergangenheit, die vom Pakistan der 90er-Jahre erzählt und dabei Historisches mit den Erlebnissen dreier Generationen verbindet.
Lahore, Januar 2003: Zaki Shirazi, Anfang 20 und Ich-Erzähler in Ali Sethis Familiensaga "Der Meister der Wünsche", kommt zu Besuch in die Stadt, in der er geboren ist – der Grund: seine innig geliebte Cousine Samar, mit der er die Kindheits- und Jugendjahre geteilt hat, heiratet. Für Zaki, der zwei Jahre zuvor, kurz nach dem 11. September, in die Staaten ging, um dort zu studieren, ist es die erste Rückkehr in die Heimat. Während er in Samars Zimmer am Fenster steht und mit ihr auf den Bräutigam wartet, holen ihn die Erinnerungen ein. Ein Panorama öffnet sich, das den Leser mitnimmt auf eine Reise durch das Leben dreier Generationen und damit durch die wechselvolle Geschichte Pakistans.

Wie viele andere der meist generationsübergreifenden Familien-Romane des indischen Subkontinents umspannt auch "Meister der Wünsche" die Jahre von der Teilung des Landes 1947 bis in die Gegenwart, geprägt von der historischen Chiffre 9/11. Doch Sethis Schwerpunkt bilden die 90er-Jahre, als der Stern von Benazir Bhutto am hellsten leuchtet, die ersten freien Wahlen des Landes stattfinden und die Menschen in Pakistan für kurze Zeit von der Hoffnung auf eine demokratisch befriedete Zukunft des Landes beflügelt sind. In dieser Zeit wächst auch der junge Zaki heran – allerdings ohne seinen Vater, der als Angehöriger der pakistanischen Luftwaffe kurz vor der Geburt des Sohnes bei einem Einsatz gegen Indien ums Leben kommt.

Dieser vaterlose Erzähler ist ein kluger Trick des Autors, um den Fokus der Wahrnehmung plausibel aber folgenreich zu verschieben. Denn Zaki wächst in einem von Frauen geprägten Haushalt auf; Frauen prägen seinen Blick auf die Welt – und bestimmen daher auch Handlung und Perspektive des Roman: allen voran Zakis furchtlose Mutter, Gründerin eines Frauenmagazins, das politisch kein Blatt vor den Mund nimmt; seine dominante, aber sehr konservative Großmutter; und nicht zuletzt Samars Mutter, die von ihrem Ehemann, einem tyrannischen Großgrundbesitzer, wie ein Stück Vieh behandelt wird.

In den Lebenswegen dieser Frauen – und ihrem Ringen in einer von Konventionen und Regeln diktierten Gesellschaft – spiegelt Sethi die politischen Umbrüche, von denen Pakistan seit über 40 Jahren heimgesucht wird. Die Politik selbst steht bei ihm an zweiter Stelle – Jahreszahlen und Namen bleiben eher vage, allein die Ära Bhutto ist kenntlich gemacht. Was ihn interessiert, ist das alltägliche Leben – und wie man das Wünschen meistert, in einem Land, in dem das Militär das Sagen hat.

Nebenbei wird man so Zeuge eines unbekannten Pakistans: das der aufbegehrenden Frauen – aber auch einer Jugend, die – wie Ali Sethi selbst – mit sex, drugs and rock’n roll groß geworden ist. Dieser fast "aufklärerische" Gestus des Buches, das sich trotz aller Nostalgie und Insider-Details deutlich an ein globales Publikum richtet, führt streckenweise allerdings dazu, dass der Autor immer mal wieder erklärt, statt zu beschreiben; Beweise liefert, statt Bilder zu schaffen. Dennoch macht "Meister der Wünsche" Hoffnung auf eine weitere, Erfolg versprechende Stimme in der englischsprachigen Literaturszene Pakistans.

Besprochen von Claudia Kramatschek

Ali Sethi: Meister der Wünsche
Aus dem Englischen von Claudia Wenner
dtv Verlag, München 2010
496 Seiten, 16,90 Euro
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