Medizinische Implantate

Herzpatienten kämpfen mit Ängsten – auch vor Hacks

07:11 Minuten
Auf einem Monitor ist ein Röntgenbild eines Medtronic-Defibrillators zu sehen, der einem Mann, Charlie Russell, vom Herzchirurgen Adrian Almquist implantiert wird, aufgenommen 2005 in Minneapolis
Wenn Medikamente Herzpatienten nicht mehr ausreichen, dann wird ein Defibrillator implantiert. © picture-alliance/dpa/ZPress/Keystone Jim Gehrz
Von Carina Fron · 28.03.2019
Audio herunterladen
Defibrillatoren helfen, Herzrhythmusstörungen auszugleichen - auch durch kleine Elektroschocks. Doch für viele Patienten stellen sie eine psychische Belastung dar. Hinzu kommt, dass die Implantate gehackt werden können. Wie lebt es sich damit?
Zwei Stunden. Mehr Zeit bekommt Detlef Günther nicht, um eine Entscheidung zu treffen, die sein Leben verändert.
"Dann hat die Klinik gesagt: ‘Wir müssen sofort machen. Das ist zu viel’ und mit der Kompromisse ‘Wenn sie entlassen werden, können wir da nichts machen. Wenn Ihnen da etwas passiert. Ansonsten kriegen sie einen Defibrillator und dann geht es ihnen relativ wieder gut. Mehr wurde mir erst einmal nicht gesagt."
Detlef Günther leidet unter einer hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie. Die Mittelwand seines Herzens ist stark verdickt. Das verengt das Blutgefäß zwischen rechter und linker Kammer. Und das Herz versucht, das alles durch übermäßiges Pumpen auszugleichen.
"Das heißt, wenn der Muskel nicht schnell genug schließt, dann könnte das zum schnellen Herztod führen."
Wenn Medikamente Menschen wie ihm nicht mehr ausreichen, dann wird ein Defibrillator implantiert. Das Gerät stimuliert bei Bedarf das Herz, bringt es quasi wieder in den richtigen Takt. Reicht das nicht aus, kann es auch einen richtigen elektrischen Schock auslösen, um die Rhythmusstörungen zu beenden.
All das wusste Detlef Günther nicht, als er entscheiden muss. Bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus 2006 bekommt er lediglich eine Broschüre in die Hand gedrückt. Nachträglich. Als die Operation vorbei und der Defibrillator längst in ihm war.

Kleine elektrische Schockmaschine

"Danach habe ich mich natürlich bemüht zu wissen: Was trägst du da drinnen und was kann man alles damit machen? Oder wie verhält es sich überhaupt im Leben, mit diesem Gerät weiterzuleben?"
Ohne Einschränkungen ist das nicht möglich. Er darf nicht Autofahren, Arbeiten über Kopf sind tabu. Aber das Schlimmste für Detlef Günther: Er muss seinen Beruf als Veranstaltungstechniker an den Nagel hängen, mit gerade einmal 45 Jahren. Wegen der kleinen elektrischen Schockmaschine in ihm.
"Weil der Defi ja mit gewissen Magnetfeldern zu tun hat und mein Beruf ja sozusagen als Veranstaltungstechniker ebenfalls mit Magnetfeldern zu tun hat, hat man mir nahegelegt, diesen Beruf nicht mehr auszuführen. Bin natürlich zwei Jahre in ein tiefes Loch gefallen. Ich war meinen Traumjob los."
Günther gründet eine Selbsthilfegruppe. Bis heute lädt er regelmäßig Ärzte und Hersteller von Defibrillatoren ein, schließt Wissenslücken für andere Menschen. Doch auch für die psychische Belastung kann so eine Gruppe ganz wertvoll sein, betont Günther. Sein Gerät musste noch nie einen richtigen Schock auslösen.
"Es gibt zum Beispiel Patienten bei mir in der Gruppe, die empfinden das, als wenn dir ein Pferd vorne mit einem Hufeisen auf die Brust tritt. Andere Leute sagen, du fasst mit zwei Fingern in die Steckdose und kommst nicht mehr weg. Obwohl der Schock ja eigentlich nur 13 Millisekunden ist, also eigentlich gar nicht gar nicht fassbar von der Länge her."
Einige wünschen sich nach dem ersten Schock, dass das Gerät sofort wieder entfernt wird, würden lieber sterben, als das noch einmal spüren zu müssen.
"Je nachdem nach welchem psychischen Faktor wir schauen, ob nach Depressionen oder nach Angst- und Panikzuständen, sehen wir bei über einem Drittel der Patienten solche Auffälligkeiten."
Ingrid Kindermann ist Kardiologin am Universitätsklinikum des Saarlandes.
"Wir haben das am Anfang unterschätzt und es kommt häufiger vor, als wir initial dachten."

Psychische Belastungen bei Herzpatienten

Kindermann ist mittlerweile sensibel für die psychischen Folgen nach einer Implantation. Noch lange keine Selbstverständlichkeit unter Kardiologen. Vor einigen Jahren hat sie Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei einer ihrer Patientinnen bemerkt. Sie ging nicht mehr raus, erlebte den Schock im Traum immer wieder, hatte starke Angststörungen durch das Implantat.
Seitdem beschäftigt sich Kindermann mit "Psychokardiologie", also der psychischen Belastung von Herzpatienten.
"Meine Arbeit bereichert das ganz extrem. Zum einen hilft mir das im Umgang mit den Patienten. Zum anderen sind die Patienten wahnsinnig dankbar dafür, wenn man sie auch darauf anspricht."
Ingrid Kindermann führt mit Kollegen gerade eine Studie durch. Sie vergleichen dabei die psychische Belastung vor und nach dem Eingriff eines Defibrillators miteinander. Wissen, das tatsächlich noch fehlt.
Auch Psychotherapeuten hätten lange Zeit Berührungsangst mit Herzpatienten gehabt, meint Jonas Jordan. Er hilft seit bald 20 Jahren dabei, die Psychokardiologie in Deutschland zu etablieren. Obwohl er mittlerweile im Ruhestand ist, hilft er weiterhin Patienten mit Angststörungen nach der Defibrillator-Implantation.
"Es sind ungefähr fünf bis acht Sitzungen von 1,5 Stunden, in denen man dann ganz vorsichtig in kleinen Schritten diese Schockerlebnisse auch wieder aufruft, wieder erinnert, um sie dann wieder abzubauen."

Unzureichend erforschte Implantate

Präsenter als die psychische Belastung ist in der öffentlichen Wahrnehmung eher die Zuverlässigkeit solcher Geräte. Die "Implant Files" vom November 2018 und die dazugehörigen Recherchen, haben gezeigt wie nachlässig die Zulassung von Medizinprodukten ist, wie häufig Patienten durch unzureichend erforschte Implantate zu Schaden kommen.
Als Konsequenz möchte Gesundheitsminister Jens Spahn in Zukunft ein Register für Implantate aufbauen, für Hüft- und Kniegelenke und Brustimplantate. Weitere Schritte, wie industrie-unabhängige Prüfstellen, sind aber nicht geplant.
Dabei ist zum Beispiel bereits seit 2008 bekannt, dass Herzschrittmacher und Defibrillatoren gehackt und auch manipuliert werden können. Das haben US-Forscher der Universitäten Washington und Massachusetts gezeigt. Die Sicherheit von Medizingeräten lässt den Professor für Informatik an der Hochschule Luzern, Peter E. Fischer, seit Jahren nicht los.
"Der Grund, weshalb die Geräte schwieriger zu schützen sind, ist weil sie halt klein sind, wenig Speicher, wenig Rechenleistung haben. Das hat vor allem mit dem Batterievergleich zu tun und deshalb kann man da etwas schwieriger verschlüsseln."
Gerade erst haben Forscher der Purdue University in den USA ein neues Gerät entwickelt. Bei dem werden die Funkwellen der Implantate mit Hilfe von einer Art Uhr im Körper transportiert und können nicht nach außen gelangen. Was nicht nach außen dringt, kann auch nicht gehackt werden. Trotzdem sieht Fischer hier eher ein grundsätzliches Problem:
"Dass in der Industrie, aber generell auch im Medizinbereich, so ein Bewusstsein, dass man das stark schützen muss, so nicht vorhanden ist. Der Fokus im Gesundheitswesen geht ja darauf, Menschen zu heilen. Und Sicherheitsaspekte, im Sinne von Hacking, werden dort als nicht so als wichtig wahrgenommen."
Defibrillatorträger Detlef Günther möchte sich damit lieber nicht beschäftigen. Es bleibt ihm auch kaum eine Wahl: Er muss auf die Ärzte und Hersteller vertrauen. Denn trotz aller Einschränkungen, trotz der psychischen Belastung: Ohne den Defibrillator könnte er nicht überleben.
Mehr zum Thema