Mediziner-Sprech, leicht erklärt

Von Sigrun Damas · 24.04.2012
Sie kommen vom Arzt, haben einen Befund in der Hand, wollen den noch einmal nachlesen – und verstehen nur Bahnhof. Nicht verzweifeln, denn auch hier hilft das Internet: Auf der Website washabich.de können Nutzer ihre Befunde einreichen und erhalten diese in übersetzter, allgemein verständlicher Sprache zurück. Dahinter steckt ein Netzwerk von Medizinstudenten.
"Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung (88.7 G). Benigne, essentielle Hypertonie ohne Angaben. Eine in Klammern Groß I Punkt 00G. Dann: Palpitationen in Klammern R00 Punkt 2 G. Das weiß ich dann nicht, was das heißt: Palpitationen und Palpitationen cordis weiß ich auch nicht. Ich kann ja kein Latein."

Elisabeth Behrendt sitzt zuhause am Wohnzimmertisch und blättert ratlos durch ihren Arztbefund. Die 73-Jährige war bei ihrer Hausärztin, wegen ihres erhöhten Blutdrucks. In der Praxis hat sie noch alles verstanden. Aber jetzt, im Nachhinein, würde sie die Diagnose gern noch einmal nachlesen können:

"Vielleicht in einer übersetzten Form noch mal. Ich weiß ja dann, weswegen ich zum Arzt gegangen bin und was da festgestellt worden ist. Aber trotzdem können die mir hier wer weiß was hinschreiben und ich müsste das so glauben – zumal ich Selbstzahler bin und die Rechnung erst mal im Vorhinein begleichen muss."

Elisabeth Behrendt kann geholfen werden bei washabich.de. Seit gut einem Jahr gibt es das Internetportal für Patienten, die ihre Arztbefunde nicht verstehen und sich eine allgemeinverständliche Übersetzung wünschen. Drei Studenten der Universität Dresden haben das Portal ins Leben gerufen. Einer von ihnen ist Johannes Bittner, 27 Jahre alt, Medizinstudent im neunten Semester. Ihm war aufgefallen, dass zwischen Arzt und Patient oft eine große Verständigungslücke klafft:

"Die Arztbriefe an sich dienen ja in erster Linie dem Austausch und der Kommunikation zwischen den Ärzten. Das ist auch wichtig, dass es die Fachsprache gibt, man kann auch mit ganz wenigen Worten ausdrücken, was man meint, und es treten keine Missverständnisse in der Kommunikation auf. Aber für den Patienten ist das sehr ungeeignet."

Was hab ich eigentlich? Wer sich das nach einem Arztbesuch fragt, kann seinen Befund hier anonym hochladen oder auch per Fax senden. Ein Medizinstudent übersetzt ihn innerhalb weniger Tage. Die Macher haben damit offensichtlich einen Nerv getroffen, denn die Nachfrage ist enorm. Weil sie von eingereichten Arztbefunden überschwemmt wurden, mussten Johannes Bittner und seine Mitstreiter sogar ein virtuelles Wartezimmer einrichten. Aber auch das platzt inzwischen aus allen Nähten und wird phasenweise ganz geschlossen, damit die bestehenden Anfragen zeitnah bearbeitet werden können.

"Wir hatten mehr als 2000 Patienten sitzen in unserem Wartezimmer. Und wenn man sich das vorstellt in der Realität – dann ist das ganz schön voll. Das liegt aber auch daran, dass der Patient sich verändert hat in den letzten Jahrzehnten. Wenn man sich vorstellt, wie es vor 10 oder 20 Jahren war, dass der Patient zum Arzt gegangen ist, den als Halbgott in Weiß gesehen hat – da hat er nicht viel nachgefragt und musste auch gar nicht so viele Informationen über seine Krankeit haben. Er hat das gemacht, was der Arzt gesagt hat. Das ist inzwischen anders. Der Patient möchte mit entscheiden und braucht dafür eine vernünftige Information, um überhaupt gescheit mit dem Arzt reden zu können."

Inzwischen verzeichnet die Website fast 40.000 Zugriffe monatlich und ist vielfach ausgezeichnet worden. Ein soziales Engagement, das viele Patienten aus Ohnmacht und Ahnungslosigkeit befreit. Wer schließlich seinen übersetzten Arztbefund in Händen hält und auch versteht, ist dankbar:

"Es ist in der Tat so, dass viele Nutzer zurückmelden, dass es ihnen jetzt leichter fällt, Entscheidungen zu treffen, mit dem Arzt zu sprechen. Viele sehen das tatsächlich als Grundlage für das Arztgespräch. Das freut uns sehr, es ist genau das, was wir erreichen wollen."

Die Studenten ziehen aber eine klare Grenze: Therapieempfehlungen geben sie nicht, eine medizinische Beratung findet nicht statt. Was als studentische Initiative begonnen hat, ist innerhalb eines Jahres zum sozialen Netzwerk gewachsen. Heute helfen über 400 Medizinstudenten aus ganz Deutschland beim Übersetzen von Ärztelatein. Unklarheiten diskutieren sie über ein offenes Forum, und zur weiteren fachlichen Unterstützung stehen ehrenamtlich 93 Ärzte und zwei Psychologen bereit.

Die meisten Mediziner haben große Sympathien für die Studenteninitiative. So wie Matthias Brüwer, der als Chirurg das Darmzentrum am Universitätsklinikum Münster leitet:

"Anscheinend verstehen die Patienten den Arzt während eines Gesprächs oft nicht. Obwohl wir uns natürlich die Mühe geben, diese Arztsprache in ein natürliches Deutsch zu bringen. Der Patient befindet sich in einer emotional sehr belastenden Situation und vergisst oder verdrängt auch viele Dinge. Insofern ist dieses washabich.de eine gute Plattform, da die Patienten dann schriftlich in gut verständlicher Sprache zuhause sich das Ganze noch mal durchlesen können."

Aber nicht nur der Patient profitiert von washabich.de, sondern auch die Medizinstudenten selber, sagt Mitbegründer Johannes Bittner.

"Man lernt mit jeder Übersetzung Fachwissen an einem realen Praxisfall und kann sich sicher sein, dass man dieses Wissen auch gebrauchen kann und die sozialen skills, die man bei uns lernt, ein Problem im Team zu lösen. Und natürlich können die Studenten auch Feedback von den Nutzern erhalten. Und da kommt sehr viel Schönes zurück."

Dankbarkeit, aber gelegentlich auch Geldspenden. Denn die Übersetzung ist kostenlos, aber viele Nutzer wollen sich trotzdem dafür erkenntlich zeigen. Jeder Dritte spendet, im Durchschnitt sind es 20 Euro. 80% der Spende gehen direkt an den Medizinstudenten, der den Befund übersetzt hat. Der Rest kommt den Organisatoren von washabich zugute. Bisher finanzieren sie sich außerdem aus Preisgeldern, und bauen derzeit einen Förderverein auf. Kommerziell werden und das große Geld verdienen wollen die Gründer vorerst nicht. Vor kurzem haben Johannes Bittner und seine Kommilitonen deswegen eine GmbH gegründet.

"Wir haben uns dafür entschieden, weil wir merken, dass man das Gefühl entwickelt, gemeinsam ein gesellschaftliches Problem zu lösen, ohne dass die Rendite im Vordergrund steht. Und das ist eine Begeisterung, die sich auch gut auf das ganze Team überträgt."