Medizin

Organspende in der Vertrauenskrise

Ein Mann in grüner OP-Kleidung trägt einen Styropor-Behälter für den Transport von Spenderorganen an einem Operationssaal vorbei.
Ein Spenderorgan wird in einem keimfreien Behälter in ein Transplantationszentrum zum Patienten transportiert. © dpa / Soeren Stache
11.10.2014
876 Organspender wurden 2013 in Deutschland registriert – so wenige wie nie zu vor. Werden wir zum Entwicklungsland der Organspende? Axel Rahmel von der Deutschen Stiftung Organspende und Johann Pratschke von der Charité über die Vertrauenskrise der Transplantationsmedizin.
Seit den Skandalen an deutschen Transplantationskliniken im Sommer 2012 ist die Spendenbereitschaft auf ein historisches Tief gesunken. Wurden 2011 noch 1200 Organspender registriert, waren es laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) 2013 nur noch 876. Das ist der niedrigste Wert seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997. Dementsprechend verringert sich auch die Chance der erkrankten Patienten, ein lebenswichtiges Organ zu erhalten. Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, die auf der Warteliste für ein neues Organ standen. Und er Negativtrend hält an.
Warum sind immer weniger Menschen bereit, Organe zu spenden?
Wie kann das verlorene Vertrauen wieder hergestellt werden?
Wie läuft eine Organspende überhaupt ab?
"Ich sehe mit Sorge, dass wir uns zum Entwicklungsland der Organspende entwickeln",
sagt der Kardiologe Dr. Axel Rahmel. Der Mediziner ist seit April dieses Jahres Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organspende. Sie koordiniert deutschlandweit die Organspenden. Von 2005 an war er Medizinischer Direktor der Vermittlungsstelle Eurotransplant im niederländischen Leiden.
"Derzeit stehen 11.000 Patienten auf der Warteliste, die durch eine Organspende eine neue Lebenschance erhalten. Für diese Menschen ist die Entscheidung für Organspende lebenswichtig."
Auch für die Angehörigen sei es entlastend, wenn ein Organspende-Ausweis vorliege, "sie sind oft überfordert, diese Entscheidung zu treffen."
"Knapp 50 Prozent erklären, ihr Vertrauen sei erschüttert"
Der Mediziner, der selbst am Universitätsklinikum Leipzig Herztransplantationen begleitet hat, weiß, dass der Vertrauensverlust in das Transplantationssystem nur mühsam zu beheben ist:
"Laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sehen drei Viertel der Bevölkerung Organspenden positiv. Nur elf Prozent geben an, sie würden nicht transplantiert werden wollen, wenn sie selbst bedürftig wären. Umfragen sagen leider auch, dass gegenüber der Organspende und ihren drei Säulen – Spende, Verteilung, Transplantation – Misstrauen entstanden ist. Knapp 50 Prozent erklären, ihr Vertrauen sei erschüttert."
"Die Skandale waren nur das Tüpfelchen auf dem i", sagt Prof. Dr. Johann Pratschke, seit Juni 2014 Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Charité Berlin. Zuvor leitete er die Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Innsbruck.
"In Deutschland waren wir nie Weltmeister, das sind die Spanier, die Kroaten oder die Österreicher."
Ihn beschäftigt der Vertrauensverlust in Deutschland sehr, denn er wird täglich mit Patienten konfrontiert, die auf der Warteliste stehen.
"Ich denke, wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion, inwieweit die Akzeptanz vorhanden ist für dieses System."
Und er spitzt die Frage zu:
"Wollen wir die Transplantationen überhaupt?"

Organspende in der Vertrauenskrise – darüber diskutiert Klaus Pokatzky am 11. Oktober von 9:05 Uhr bis 11 Uhr mit den Medizinern Axel Rahmel und Johann Pratschke. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen und Fragen zur Organspende stellen unter der Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de.
Mehr Informationen im Internet:
über  Prof. Dr. Johann Pratschke
über Dr. Axel Rahmel
zur Organspende auf der Webseite der Deutschen Stiftung Organtransplantation und bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Mehr zum Thema