Medizin

Hilfe gegen Hautkrebs

Von Michael Engel · 03.05.2014
Die Haut ist mit fast zwei Quadratmetern das größte Organ des Körpers und extrem anfällig für Erkrankungen. Im Kampf gegen Hautkrebs gibt es nun neue Hoffnung: Medikamente und Ganzkörperscanner können helfen.
Sommer, Sonne, Strand – "braun gebrannt" – für viele Menschen sieht so ein gelungener Urlaub aus. Doch zu viel Sonne zwischen "Malle" und den Malediven kann auch sehr gefährlich werden: Mit Hautkrebs ist nicht zu spaßen! Das Tückische daran: Maligne Melanome bilden sich häufig erst Jahrzehnte nach dem Sonnenbad.
Universitätsmedizin Göttingen. Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Sarah Schmitt hat hier heute einen Termin. Einmal im Jahr kommt sie zur "Muttermalsprechstunde":
"Ich habe sehr viele Muttermale auf meiner Haut und bin vom Typ her auch sehr hell. Deswegen besteht bei mir immer die Gefahr, dass sich Hautkrebs entwickelt. Einige Muttermale waren tatsächlich schon Vorstufen von Hautkrebs und wurden rechtzeitig entfernt. Und deswegen komme ich jedes Jahr zum Screening hier nach Göttingen, weil ich weiß, die passen hier gut auf mich auf."
Seit 1998 existiert die Muttermalsprechstunde. Mittlerweile sind es 800 besonders empfindliche und hellhäutige Menschen aus Deutschland, die sich hier Jahr für Jahr untersuchen lassen. Manche – so wie Sarah Schmitt – haben mehrere hundert Muttermale auf der Haut. Entsprechend hoch ist das Risiko, an dem schwarzen Hautkrebs zu erkranken: Kritische Muttermale sehen asymmetrisch aus, mit unscharfer Begrenzung, ungleichmäßiger Färbung. Mehr als 200 mal wurde bei den Patienten Hautkrebs entdeckt, sagt Dr. Holger Hänßle.
"Unsere Muttermalsprechstunde, die wir hier in Göttingen durchführen, die fokussiert sich ganz stark auf die Hochrisiko-Patienten. Und dann werden diese Menschen mit einem sehr hohen zeitlichen, und auch apparativen und personellen Aufwand sehr gründlich untersucht. So eine Sprechstunde für einen Patienten dauert dann ein halbe Stunde in der Regel, wo auch die ganze Zeit der Arzt dann eins zu eins mit dem Patienten die Untersuchung dann auch vornimmt."
Größte Datenbank in ganz Europa
Holger Hänßle nimmt ein "Auflichtmikroskop" in die Hand und legt es direkt auf ein Muttermal. Eine Lampe im Gerät leuchtet die Hautpartie optimal aus. Neben der Begutachtung durch den Arzt entsteht von jedem Muttermal aber auch ein Foto mit 18-facher Vergrößerung, das via Kabel im Computer landet. Mittlerweile umfasst die Datenbank weit mehr als 100.000 solcher Aufnahmen – so viele wie nirgendwo sonst in Europa. Prof. Steffen Emmert will auf dieser Grundlage ein Gerät entwickeln, dass künftig automatisch – ohne Arzt – die Muttermale bewertet.
"Und wenn das Gerät ein Muttermal erkannt hat, auch entscheiden kann – automatisiert mit einer Software – ist dieses Muttermal eher gutartig oder eher bösartig? Und das ist die wichtige Entscheidungshilfe auch für den Facharzt, hier die Aufmerksamkeit durch diese Technik auf nur ganz wenige, aber dann hoch auffällige Muttermale gelenkt zu bekommen."
Ein sogenannter "Ganzkörperscanner" mit Patientenliege und Schwenkarm soll die Begutachtung der Patienten automatisieren. Die Kamera im Schwenkarm erfasst die Muttermale, die Software im Gerät analysiert die Aufnahmen. Vorteil: Binnen weniger Minuten sind alle Muttermale erfasst, bewertet für notwendige Folgeuntersuchungen in Zukunft abrufbar gespeichert. Nach der erfolgreichen Erprobungsphase in Göttingen rechnen die Forscher in spätestens zwei Jahren mit dem klinischen Einsatz des Ganzkörperkanners.
HOT - Hannoversches Zentrum für Optische Technologien. Ein Laser erzeugt zehn Lichtpulse pro Sekunde. Dr. Bernhard Roth prüft den Laserstrahl, justiert die Umlenkspiegel, damit eines Tages auch eine Dickenbestimmung der malignen Melanome möglich wird, noch bevor der Operateur einen ersten Gewebeschnitt macht.
"Wenn dieses Melanom eine bestimmte Größe hat, beispielsweise von zwei Millimetern, dann muss ringsherum ein Sicherheitsbereich von zwei Zentimetern in jeder Richtung entfernt werden. Das kann für die Patienten sehr schmerzhaft und sehr belastend sein. Das heißt, es kommt darauf an, Methoden zu entwickeln, wie man diese Melanome frühzeitig, nicht invasiv, erkennen kann."
40 Jahre gab es keine Entwicklungen im Kampf gegen Hautkrebs
Bislang wird die Frage nach dem Sicherheitsbereich in zwei Schritten beantwortet. Zuerst entnimmt der Chirurg das Melanom, der Pathologe untersucht die Gewebeprobe, dann erst wird entschieden, wieviel von dem scheinbar gesunden Gewebe entfernt wird. Würde es ein Gerät geben, das durch das Melanom hindurch bis auf den "Grund" schauen kann, wäre die Operation schneller, schonender und auch sicherer, sagen die Entwickler in Hannover. Dr. Merve Wollweber gehört dazu:
"Es gibt eine optische Methode, die optische Kohärenztomographie, die hat eine sehr gute Auflösung – 20 Mikrometer vielleicht – die kann aber nur in die obersten Hautschichten reinschauen. Deswegen kombinieren wir es mit Optoakustik. Man erzeugt optisch ein Signal und bekommt das Schallsignal zurück. Und wir wissen alle aus Ultraschallbildgebung, da kann man tief reinschauen. Das heißt, hier können wir auch das Ende, die Tiefe des Melanoms detektieren, wenn es mehrere Millimeter tief ist."
Wann das Gerät zur "Melanomdickenbestimmung" funktionsfähig ist, lässt sich derzeit nicht sagen. Das Bundesforschungsministerium fördert das Vorhaben bis Ende 2016.
Innovationen gibt es aber nicht nur bei der Entwicklung diagnostischer Geräte, sondern erstmals auch in der Therapie des malignen Melanoms. Namen wie "B-Raf-Inhibitor" und "Epilimumab" sind bislang nur in Expertenkreisen bekannt, weil die Wirkstoffe immer noch erforscht werden. 40 Jahre lang hat es keine Neuentwicklungen im Kampf gegen Hautkrebs gegeben. Mit den neuesten Präparaten – so Professor Dirk Schadenkopf, Direktor der Dermatologischen Klinik des Universitätsklinikums in Essen – werden Erfolge im Kampf gegen Hautkrebs sichtbar.
"Das können wir bei unseren Patienten, wenn sie mit einem B-Raf-Inhibitor behandelt werden, quasi auch sehen. Der Patient kann das beobachten. Innerhalb von Tagen fangen seine Metastasen, die da sind, an zu schmelzen, und wir können das auch mit unseren modernen, radiologischen Methoden nachverfolgen, indem wir eine Computertomographie machen und sehen, wie die Tumoren innerhalb von zwei Wochen zu wachsen aufhören und schrumpfen."
Erprobt werden die neuen Wirkstoffe vor allem bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Melanomen, die nicht mehr operiert werden, weil sich schon Metastasen im ganzen Körper befinden. Gleichwohl profitieren die Betroffenen. Überlebenszeiten verlängern sich um Wochen, Monate, im Einzelfall sogar um Jahre. Nur leider lässt die Wirkung allmählich nach, weil die Tumorzellen gegenüber dem Wirkstoff resistent werden. Ein Wunder ist nicht zu erwarten, wohl aber Verbesserungen, urteilt Dr. Peter Mohr vom Hautkrebszentrum Buxtehude.
Melanom-Sterblichkeit hat sich in wenigen Jahren halbiert
"Das sehen wir insbesondere bei fortgeschrittenen Patienten, also bei Patienten, die beispielsweise schon Schmerzen haben aufgrund der Streuung des Tumors. Dass der innerhalb von 14 Tagen deutlich schmerzfreier ist, manchmal sogar ganz schmerzfrei, weil die Tumoren schrumpfen."
Fortschritte auch auf einem anderen Gebiet - der Prophylaxe und Aufklärung. Als in einer Modellregion von Schleswig-Holstein nach der Jahrtausendwende das Hautkrebsscreening testweise eingeführt wurde, ging die Zahl der Todesfälle erheblich zurück. Zwischen 2000 und 2009 hatte sich die Melanom-Sterblichkeit nahezu halbiert. Prof. Ralf Gutzmer – Dermatologe an der Medizinischen Hochschule Hannover – über diesen erfreulichen Effekt:
"Die plausibelste Erklärung dafür ist halt, dass durch diese Vorsorgemaßnahme verdächtige Stellen frühzeitig entfernt wurden, und dass durch die Beratung der Patienten sich hier das Freizeitverhalten und auch die Aufmerksamkeit der Patienten für Hautveränderungen geschärft wurde. Das ist die plausibelste Erklärung dafür."
Die positiven Ergebnisse haben dazu geführt, dass die Krankenkassen seit 2008 die Hautkrebsuntersuchungen nun auch bundesweit finanzieren. Niedergelassene Dermatologen, aber auch Internisten und Allgemeinmediziner mit spezieller Zusatzausbildung bieten die Vorsorge an. Kuriose Folge: Die Zahl der Krebsdiagnosen nimmt zu – vorerst - denn wo genauer hingeschaut wird, ist auch mehr zu entdecken. Häufig sind es aber nur Vorstufen von Hautkrebs, die gefahrlos entfernt werden können. Für Experten ein gutes Zeichen, dass die Vorsorge wirkt. Prof. Thomas Werfel von der Medizinischen Hochschule Hannover.
"Wie der schwarze Hautkrebs und auch wie der weiße Hautkrebs – also das gilt für alle Hautkrebse. Das Besondere der Hautkrebse ist ja, dass man sie sehen kann, dass man sie ohne besonderen apparativen Aufwand leicht erkennen kann und eben auch relativ früh erkennen kann, und dann komplett entfernen kann – im besten Falle."
Apps könnten gefährlich werden
Leider nehmen derzeit nur 30 Prozent der Versicherten das kostenlose Angebot zur Hautkrebsuntersuchung in Anspruch. Auf keinen Fall – warnen Experten - sollte man einer „Hautkrebsapp" vertrauen. Fotos von Muttermalen, die mit dem privaten Smartphone geschossen werden, sind für eine Auswertung ungeeignet, weil keine standardisierten Lichtbedingungen herrschen, sagt Holger Hänßle aus Göttingen.
"Es gibt jetzt schon mehrere internationale Veröffentlichungen zu dem Thema, die die Apps gegeneinander getestet haben. Und man muss leider feststellen, dass die Qualität der meisten Apps sehr dürftig ist. Nur ein Beispiel. Ein Nutzer hat eine Verunreinigung auf seiner Hose - es war Kaffee – aufgenommen. Und die App hat dieses als Melanom bewertet. Also, ich glaube, daran wird schnell deutlich, dass die Qualität dieser Apps eigentlich nicht gut geeignet ist im Moment."
Ein Beispiel zum Schmunzeln. Gewiß. Doch die Apps können auch gefährlich werden, wenn „falsch negative Ergebnisse" produziert werden. Die App gibt Entwarnung, obwohl Hautkrebs vorliegt. Und das kann tödlich enden! Deshalb die dringende Empfehlung: Finger weg von der Hautkrebs-App.
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