Medientheoretikerin Charlotte Klonk

Aufruf zum Boykott der Terror-Videos

Auf dem Display eines Smartphones sind die App-Logos verschiedener Social Media Plattformen zu sehen Derweil der Anbieter Facebook seit einiger Zeit Nutzer verliert, werden Dienste wie Snapchat, Tumblr, Twitter und Vine immer beliebter.
Über soziale Netzwerke können Terror-Videoaufnahmen schnell in Umlauf gebracht werden. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
14.01.2015
Welche Macht haben Videos von Terrorakten über unser Bewusstsein? Die Kunst- und Medienprofessorin Charlotte Klonk ruft zum "Konsumentenboykott" solcher Aufnahmen auf: Schon mit dem Anschauen dieser Bilder mache man sich zum Erfüllungsgehilfen von Terrorakteuren.
Charlotte Klonk, Professorin für Kunst und Neue Medien am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Berliner Humboldt-Universität, hat angesichts des Anschlags auf die Zeitung "Charlie Hebdo" auf die Bedeutung von Terror-Videoaufnahmen für das öffentliche Bewusstsein hingewiesen.
Es sei bedauerlich, dass das Tat-Video vom Pariser Polizistenmord so schnell über soziale Netzwerke in den Umlauf gekommen sei, sagte Klonk im Deutschlandradio Kultur:

"Aber es ist typisch für den neuen, modernen Terror, wie es in Umlauf gekommen ist."

Das Video sei innerhalb von 15 Minuten um die ganze Welt gegangen. Es sei dann vom Aufnehmenden allerdings nach 15 Minuten auch wieder entfernt worden.
Die Grausamkeit der Terroristen
Sie frage sich auch, ob man zur Beurteilung der Grausamkeit von Terroristen solche Bilder benötige, äußerte Klonk:

"Denn natürlich ist das Ziel eines jeden Terrorangriffes, über Bilder Angst und Schrecken einzujagen. (...) Ich glaube nicht, dass dieser Mitschnitt einen großen Informationswert hat, den wir alle brauchen. Sondern ich glaube im Gegenteil, dass diese Bilder den Zielen der Terrorakteure dienen."
Angesichts der Verbreitungswege von Bekennervideos über das Internet müsse sich jetzt jeder die Frage stellen, was mit diesen Bildern erreicht werde und wessen Zielen es diene, so Klonk:

"Und will ich mich daran beteiligen? Will ich zum Erfüllungsgehilfen werden? Selbst beim Angucken dieser Bilder werde ich zum Erfüllungsgehilfen. Und ich glaube, dass, wenn Sie so wollen, so ein Konsumentenboykott doch schon viel erreichen kann."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es gibt Bilder, die kriegt man nicht mehr aus dem Kopf, und was die Ereignisse der vergangenen Woche in Paris angeht, sind das bei mir zwei ganz verschiedene: zum einen das Bild des am Boden liegenden Polizisten, der von einem der beiden Terroristen, die in Paris die Redaktion von "Charlie Hebdo" überfallen haben, erschossen wird, und zum anderen aber auch das Bild der Millionen Menschen, die am Sonntag in Paris friedlich ein Zeichen setzten. Solche Bilder bleiben, solche Bilder wirken, aber wie und wie lange? Darüber wollen wir jetzt mit Charlotte Klonk reden. Sie ist für Kunst und Neue Medien am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Berliner Humboldt-Universität. Schönen guten Morgen, Frau Klonk!
Charlotte Klonk: Guten Morgen!
Kassel: Wenn wir diese beiden Bilder, die wir, glaube ich, alle mehr oder weniger gut im Kopf gerade noch haben, wenn wir die mal nehmen - welche Bilder, glauben Sie, werden uns länger im Gedächtnis bleiben? Die von der Ermordung des Polizisten oder die des friedlichen Gedenkens?
"Typisch für den neuen modernen Terror"
Klonk: Ja, das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass, wie in vielen dieser Fälle diese beiden Bilder für das Ereignis gleichermaßen in Erinnerung bleiben werden, obwohl ich denke, dass Ermordung natürlich immer substanzieller einen betreffen. Das sind Bilder, die kriegt man immer ganz, ganz schwer aus dem Kopf. Insofern ist es wirklich bedauerlich, dass dieses Video in Umlauf gekommen ist, aber es ist typisch für den neuen modernen Terror, wie es in Umlauf gekommen ist, nämlich zunehmend werden ja diese Ereignisse von Amateuren aufgenommen, und in diesem Fall ist es eben sofort auch ins Internet, also über Facebook hochgeladen worden und ging wirklich innerhalb von 15 Minuten um die Welt und sogar in den Fernsehsender.
Und der Aufnehmende hat es wohl nach 15 Minuten wieder rausgenommen, hat sich jetzt bei der Familie entschuldigt, denn natürlich ist die Familie, dass die die letzten Sekunden, auch noch die letzten Worte ihres Angehörigen hören, enorm betroffen von solchen Bildern. Also das sind Bilder, die gehen, glaube ich, grundsätzlich unter die Haut, und die wird man schwer wieder los.
Aber es ist eben auch gut, dass man dann die sogenannten Gegenbilder hat, die es auch immer gibt. Und diese jetzt aus Paris, diese Millionen von Menschen, die da spontan zusammengekommen sind, dann auch organisiert zusammengekommen sind und für die Werte der Demokratie solidarisch sich gezeigt haben, die sind natürlich ebenso beeindruckend und berührend gewesen.
Kassel: Dass dieses Bild von der Ermordung des Polizisten sehr hart anzuschauen ist für die Familie, für die Angehörigen, wieder und wieder im Fernsehen, im Internet, das ist klar. Aber Sie haben ja sofort gesagt, es ist sehr bedauerlich, dass dieses Bild in Umlauf gekommen ist. Finden Sie es auch darüber hinaus bedauerlich? Ist es etwas Negatives, dass wir das alle sehen konnten, auch für uns?
Klonk: Ja, ich glaube schon. Ich glaube, man kann jetzt argumentieren, das verdeutlicht für uns die Grausamkeit dieser Menschen und hilft uns, sie zu verurteilen. Aber ich weiß nicht, ob wir die Bilder brauchen, um das nicht schon zu wissen. Und ich weiß auch nicht, ob das eigentlich jetzt das Gebot für uns alle sein kann, denn natürlich ist das Ziel eines jeden Terrorangriffs, über Bilder Angst und Schrecken einzujagen.
Und im Grunde tun solche Gewaltbilder das natürlich in einer Weise, in der militärische Mittel da gar nicht mehr gegen ankommen oder polizeiliche Mittel in diesem Fall. Also ich glaube nicht, dass dieses Bild oder dass dieser Mittschnitt einen großen Informationswert hat, den wir alle brauchen, sondern ich glaube im Gegenteil, dass diese Bilder den Zielen der Terrorakteure dienen.
Kassel: Aber ist so was heute noch kontrollierbar? Nehmen wir die vielen, vielen Videos, die es gibt von Hinrichtungen der Terrororganisation IS zum Beispiel im Nahen Osten. Fernsehsender, sagen wir mal, die allermeisten – wir kennen beide nicht jedes Fernsehprogramm der Welt –, aber die allermeisten zivilisierten Fernsehsender zeigen das nicht oder nur sehr entschärft.
Jeder, der will, kann es aber tausendfach im Internet anschauen. Es ist auch nicht schwer zu finden. Macht denn da Selbstkontrolle in Medien überhaupt noch Sinn, wenn es am Ende ja doch jeder sehen kann?
"Das ist eine neue Dimension"
Klonk: Das ist wirklich eine spannende Frage. Ich glaube, dass der alte Ruf nach der Selbstkontrolle der Medien hier eigentlich nicht mehr greift, das ist wahr. Die Filme, Aufzeichnungen gehen in Minuten mittlerweile um die Welt und sind dann auch schwer zu entfernen.
Wobei natürlich, das muss man dazu sagen, dieses Video aus Paris jetzt, mit der Ermordung des Polizisten, stand dann ziemlich schnell bei YouTube und ist auf allgemeinen Protest, unter anderem des Bundesinnenministers, von YouTube wieder gesperrt worden. Gut. Nun ist es aber einmal im Umlauf, und die sind im Umlauf, aber ich konstatiere, dass in der Vergangenheit diese Bilder viel bereitwilliger in Umlauf geraten sind und auch von den Medien abgedruckt oder wiedergegeben wurden.
Also die Enthauptung, die vor Jahren al-Sarkawi im Irak für Al Kaida vorgenommen hat, die sind weit verbreitet worden und waren auf den Titelseiten der Zeitungen. Jetzt, die letzten Enthauptungen von ISIS, oder, ja, Islamischer Staat heißen sie jetzt, in Syrien, die sind zum Beispiel schon nicht mehr in den Medien verbreitet worden. Natürlich sind sie im Internet zu finden, aber ich habe eine unglaublich – zum ersten Mal eigentlich eine Diskussion mitbekommen, dass viele, viele Menschen gesagt haben, das gucken wir uns nicht an, damit erfüllen wir die Ziele der Terrorakteure, das verweigern wir.
Das heißt, ich glaube, im Augenblick, da es jetzt andere Verbreitungswege gibt und wir alle potenziell in die Situation kommen, dass wir mit Situationen konfrontiert sind, in London vor einem Jahr gab es die Situation, dass ein Passant gefragt wurde, jemanden, der einen Soldaten auf offener Straße ermordet hat, zu filmen, und hat im Grunde damit das Bekenntnisvideo hergestellt, das sind Situationen, die kommen zunehmend.
Da muss jeder sich jetzt fragen, was wird mit diesen Bildern erreicht, wessen Zielen dient es, und will ich mich daran beteiligen, will ich zum Erfüllungsgehilfen werden. Selbst beim Angucken dieser Bilder werde ich zum Erfüllungsgehilfen. Und ich glaube, dass so ein, wenn Sie so wollen, Konsumentenboykott doch schon viel erreichen kann, und da ist im Augenblick was in Bewegung.
Kassel: Aber sind denn positive Bilder, damit haben wir ja begonnen, mit den großen Kundgebungen in Paris und anderswo zum Beispiel, sind denn positive Bilder eine Art Gegengift?
Klonk: Die sind in jedem Fall wichtig. Die gibt es immer, die gibt es im Terrorkampf, seit es den modernen Terrorkampf im 20. Jahrhundert gibt. Im Grunde entsteht der erst mit dem Entstehen der illustrierten Zeitungen. Da wird immer auf die Attentatbilder auch sofort mit Gegenbildern reagiert. Die gab es am 11. September, die gab es nach dem Londoner U-Bahn-Anschlag, große, zusammen, wo Menschen wirklich solidarisch zusammenkommen. Was neu ist in Paris mit den Massendemonstrationen, dass hier für – so grundsätzlich man eigentlich zeigt, dass man sich nicht einschüchtern lassen möchte.
Das ist eine neue Dimension. Es ist nicht einfach nur ein gemeinschaftliches Trauern, eine Sympathiekundgebung für die Opfer, sondern hier ein offensives Eintreten für die Werte der Presse- und Meinungsfreiheit. Und das stimmt einen doch schon relativ hoffnungsfroh, muss man sagen. Vielleicht haben diese Gegenbilder eine besondere Kraft.
Kassel: Die Macht der Bilder für seine Urheber, aber auch für den Kampf gegen den Terror. Darüber sprachen wir mit Charlotte Klonk vom Institut für Kunst- und Bildgeschichte Humboldt-Universität Berlin. Frau Klonk, vielen Dank für das Gespräch!
Klonk: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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