Medienkunst-Pionierin

"Keiner wollte das als Kunst begreifen"

Filmstill aus dem Werk "Teknolust" von Lynn Hershman Leeson. Zu sehen ist eine Frau (Tilda Swinton), schwarze lange Haare, Oberkörper frei, hinter einer Glasscheibe auf der Tropfen zu sehen sind.
Filmstill mit Tilda Swinton aus dem Werk "Teknolust" von Lynn Hershman Leeson © © Lynn Hershman Leeson, Filmstill aus "Teknolust"
Von Johannes Halder · 12.12.2014
Die US-Künstlerin Lynn Hershman Leeson wurde 2004 zur einflussreichsten Frau im Bereich der Medienkunst gewählt. Das ZKM Karlsruhe zeigt mit "Civic Radar" die erste Retrospektive der 73-Jährigen überhaupt.
Man sollte diese Frau nicht unterschätzen. Lynn Hershman Leeson ist jetzt 73 Jahre alt, doch ganz auf der Höhe der Zeit. Im ZKM hat sie eine Art Genlabor eingerichtet. Man betritt es durch eine Schleusentüre und steht unversehens in einem Flur, in dem reale Räume, Spiegelwände und Projektionen eine fast perfekte Illusion erzeugen. Es riecht nach Desinfektionsmitteln, Weißkittel laufen geschäftig hin und her, rechts ein Regal mit chemischen Substanzen, dazu Aktenregister und Schaubilder aus dem Bereich regenerativer Medizin. In einem Aquarium schwimmen gentechnisch erzeugte Leuchtfische, in einer Vitrine sehen wir eine Nase, deren Gewebe aus einem 3D-Biodrucker stammt.
Willkommen in der Welt von Lynn Hershman Leeson, die selbst vor der Kreuzung einer Frau mit einem Kohlkopf nicht zurückschreckt.
"Nun, das sind biologische Kombinationen dessen, was uns vielleicht noch blüht. Es sind Vorstellungen davon, was in Zukunft möglich sein wird."
Die US-Künstlerin Lynn Hershman-Leeson posiert im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) vor ihrem Werk "The Infinity Engine" an einer Wand mit Bildern.
Die US-Künstlerin Lynn Hershman-Leeson im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) vor ihrem Werk "The Infinity Engine".© picture alliance / dpa / Ronald Wittek
Die Ausstellung ist ein Labyrinth. 702 Exponate, das früheste von 1959. Man verliert schnell den Überblick, doch man spürt: Diese Frau war immer an der Front. Als Feministin beispielsweise. Sie machte Wachsabdrücke ihres Körpers, die sie demonstrativ einschmolz und verbrannte – eine Art Selbstmord. Sie hat sich neu erschaffen, verwandelt und wieder ausgelöscht. Frauen waren nicht erwünscht im Kunstbetrieb, schon gar nicht, wenn sie etwas machten, wofür es damals keine Kategorie gab: Medienkunst.
"Jahrzehntelang hat man behauptet, das sei keine Kunst, denn niemand hatte vorher so etwas gemacht. Keiner wollte das als Kunst begreifen. Es machte Geräusche und bewegte sich, es war eben nicht traditionell."
Künstlerin schuf virtuelles Alter Ego
Virtuelle Realität, künstliche Identität – Hershman Leeson war ganz früh dabei. 1973 schlüpfte sie fast ein Jahrzehnt lang in die Rolle der Roberta Breitmore, ein virtuelles Alter Ego, ein Klon der Künstlerin.
"Ich wusste nicht, dass das so lange dauern würde. Aber ich wollte eine Figur erschaffen aus lauter Kunstprodukten. Eine Figur, die wirklicher war als ich selbst, mit den Erfahrungen und Gegenständen, die sie in ihrem Leben angesammelt hat und in denen sich die Kultur jener Zeit widerspiegelt."
Übrig blieben Filme, Fotos, Collagen und Objekte, Requisiten, Kleidungsstücke und andere Relikte. Mitten in die turbulent bewegte Schau hat man auch ein kleines Kino platziert, in dem man in Ruhe Hershman Leesons Filme sehen kann. 1983 schuf sie mit "Lorna" den ersten interaktiven Künstlerfilm, dessen Ausgang der Betrachter steuern kann.
Auch in ihrem Film "Teknolust" von 2002 geht es um Cyber-Identität, künstliche Intelligenz, Klonen sowie die Entkopplung von Sexualität und menschlicher Fortpflanzung.
Frauen gelangten nur als Aktmodell ins Museum
Zu den Filmsets, die in der Schau zu sehen sind, gehört auch ein rotes Doppelbett, und wenn Hershmans Kunst überhaupt sehr körperbetont erscheint, dann ist das ihrem Kampf gegen ein von Männern dominiertes Kunstsystem geschuldet, in dem eine Frau Aktmodell, also nackt, sein musste, um ins Museum zu kommen.
1968, im Zuge der Bürgerrechtsbewegung, hatte Hershman damit begonnen, Interviews mit Frauen zu machen, die mit künstlerischen und körperlichen Mitteln aufbegehrten. Heraus kam ein Film: "Women Art Revolution", kurz WAR, eine Art Kriegserklärung.
"Ich hatte niemals vor, daraus einen Film zu machen. Aber über die Jahre hatten sich 12.000 Stunden Filmmaterial angesammelt, und es stellte sich heraus, dass ich die Einzige war, die diese Geschichte verfolgt hatte. Da sah ich mich gezwungen, den Film zu machen."
In der mit provozierenden Szenen gespickten Dokumentation kommt auch der erzkonservative Kongressabgeordnete Robert Dornan zu Wort, der genau wusste, was Kunst ist und was nicht:
"It’s not art. It is not art. It’s pornography!"
Mit Blick auf die aktuelle Lage der Frauenkunst hat sich Lynn Hershman Leesons Mission wohl erfüllt. Was bleibt, ist das Problem mit der Präsentation von Medienkunst. Denn für die Schau ist das mal wieder alles ein bisschen zu viel. Aber vielleicht lässt sich die gewaltige Lebensleistung dieser Frau gar nicht anders würdigen.
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