Medienkritische Todes-Arena

Von Tobias Wenzel · 19.01.2011
Millionen von Menschen lasen die ersten zwei Bände der Science-Fiction-Trilogie "Die Tribute von Panem". Die US-Autorin Suzanne Collins landete auf Platz 1 der New York Times-Bestsellerliste. Jetzt erscheint der dritte Band.
Ein großer Raum im New Yorker Hauptsitz von Scholastic, dem Verlag von Suzanne Collins. Während die Klimaanlage rauschend und mit voller Kraft warme Luft produziert, blättert die 48-jährige Autorin - lange blonde Haare, weit geöffnete, aufmerksame graue Augen - behutsam in einem alten Buch, das so aussieht, als fiele es bald auseinander.

"Das hier war mein erstes Buch mit griechischen Sagen. Es gehörte meiner Mutter, als sie klein war. Und sie hat es mir gegeben, als ich klein war. Mehr als Märchen haben mich die Sagen interessiert. Diese hier zum Beispiel: Die Zauberin Kyrke verwandelt die Männer von Odysseus in Schweine. Diese Abbildung hier, dieser Mann, der sich in ein Schwein verwandelt, sein Gesicht anzusehen, hat mir als Kind eine unbeschreibliche Angst eingejagt."

Nun dürfte Suzanne Collins einigen Kindern und Jugendlichen Angst machen: mit ihrer Science-Fiction-Trilogie "Die Tribute von Panem". Nichts für schwache Nerven: Brot ist so kostbar, dass viele Menschen verhungern. Kinder müssen, gezwungen vom diktatorischen Kapitol und live übertragen im Fernsehen, in einer Arena so lange gegeneinander kämpfen, bis nur eines am Leben bleibt. Tödliches Big Brother, Gladiatoren-Kampf der Zukunft - und mitten drin die 16-jährige Katniss, ein Mädchen, das nicht nur seine lethargische Mutter und seine Schwester versorgen muss, sondern auch noch zur Rebellin und Anführerin einer unterdrückten Gemeinschaft wird. Millionen Jugendliche und Erwachsene hat diese Geschichte in den Bann gezogen. An deren Anfang stand eine Nacht und der Fernseher von Suzanne Collins:

"Ich lag auf meinem Bett, war müde und zappte hin und her zwischen einer Reality-TV-Sendung und einem Bericht über den Irakkrieg. Und diese beiden Programme vermischten sich unerwartet in meinem Kopf. So kam mir die Idee zu Trilogie. Gleichzeitig dachte ich: 'Das ist ja die Legende von Theseus.'"

Die Faszination für die alten Mythen, für Spartakus und die Gladiatorenkämpfe, all das führte dazu, dass Suzanne Collins diese actionreiche, medienkritische Trilogie schrieb. Aber es gab auch noch einen anderen Hintergrund:

"Mein Vater war beim Militär, bei der Luftwaffe, ein Vietnam-Veteran. Ein sehr gebildeter Mann, Doktor der Politikwissenschaften. Er spürte die Verantwortung, seine Kinder über den Krieg aufzuklären. Seit frühester Kindheit war ich also der ziemlich detaillierten Schilderung von Schlachten, Kriegen und Konflikten ausgesetzt. Wohl im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern."

Freund oder Feind, wem kann man im Krieg, in der Unfreiheit vertrauen? Den von den Machthabern vereinnahmten, allgegenwärtigen Medien jedenfalls nicht, lernt man in "Die Tribute von Panem". Ob Suzanne Collins, die mit ihrer Familie in Connecticut lebt und selbst seit vielen Jahren als Autorin für das Kinderfernsehen arbeitet, auch deshalb so vorsichtig mit den Medien umgeht, geradezu ängstlich?

Fragen von Journalisten lässt sie sich eine Woche vor dem Interview schicken und lacht dann während des Gesprächs als Reaktion auf eine humorvolle Frage derart schauspielerisch gekonnt, dass man meinen könnte, sie sei von der Frage wirklich überrascht worden, obwohl eben diese Frage ausgedruckt vor ihr liegt. Genauso wie diese: "Kommen Sie sich hinsichtlich der Medien manchmal wie Ihre Romanheldin vor?"

"Es gab Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, zu sehr der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein. Es ist jetzt nicht irgendetwas Schlimmes vorgefallen. Aber ich bin eher ein privater Mensch. Ich möchte nicht auf der Straße von Fremden erkannt werden. Was ich mit ihnen teilen möchte, bringe ich in meine Bücher ein. Und so fühle ich mich am Wohlsten."

In den drei Bänden von "Die Tribute von Panem" gibt es viele Tote; und auch die jugendliche Heldin Katniss tötet, allerdings nicht jenen Präsidenten, den sie ursprünglich umbringen wollte. Denn wer Feind und wer Freund ist, bleibt lange unklar. Auch, welchen von zwei jungen Männern Katniss liebt. Beides klärt der dritte Band. Ein doch sehr amerikanisch wirkender Epilog soll den jungen Leser nach dem Gemetzel mit einem Happyend beruhigen. Die Sprache von Suzanne Collins ist gewöhnlich, ohne besonderen literarischen Wert. Die Trilogie ist aber kein Trash, sondern clever inszenierte, hochspannende Unterhaltung, die gleichzeitig die Perversion degenerierter Medien und des Krieges anhand der Science-Fiction-Welt Panem aufzeigt. Einer möglichen Welt?

"Für mich ist diese Geschichte eine Kriegsallegorie. In der Trilogie ist die Gladiator-Arena ein Modell für einen Krieg. Insofern gibt es die 'Tribute von Panem' heute schon, an jedem Tag. Wenn Sie nun aber meinen, ob es jemals ein Reality-TV-Progamm geben wird, in dem sich die Menschen zur Unterhaltung töten, dann würde ich sagen: Das ist nicht unmöglich. Die Geschichte hat gezeigt, dass es zu einem Zeitpunkt tatsächlich Menschen gab, die das zur Unterhaltung gemacht haben. Da können wir nur hoffen, dass wir nicht wieder ins Römische Reich zurückfallen."