Medien und Meinungen

Die Reaktionen auf #Landesverrat

04:57 Minuten
01.08.2015
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In den Medien und Meinungen dieser Woche geht es heute um das Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen das Blog netzpolitik.org wegen Landesverrats.
In den Medien und Meinungen dieser Woche geht es heute um das Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen das Blog netzpolitik.org wegen Landesverrats. Anlass waren zwei Artikel über den Verfassungsschutz und die Veröffentlichung von als geheim eingestuften Dokumenten. Vom ehemaligen Bundesdatenschützer Peter Schaar haben wir in dieser Sendung bereits eine juristische und politische Einordnung dieses Eingriffs in die Pressefreiheit bekommen. Marcus Richter hat die Reaktionen auf den Vorfall eingesammelt:
Der Protest in den Medien, vor allem in den sozialen Netzwerken, war schon am Donnerstag heftig. Das ZDF zählte am Freitag bereits 35.000 Tweets zum Hashtag #Landesverrat. Es gab viele Berichte in den Medien. Dass das Thema wirklich allgegenwärtig war, ist mit der Meldung in der Acht-Uhr-Tagesschau deutlich geworden. Aber worum ging es eigentlich inhaltlich?
Eine Interpretation lieferte Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von Netzpolitik.org, in der Tagesschau gleich selbst. Beckedahl sprach dort von einem Einschüchterungsversuch gegen die Arbeit von netzpolitik.org, aber auch gegen mögliche Quellen aus dem politischen Berlin.
Diese Einschätzung wurde von vielen Kommentatoren geteilt, die sich weitestgehend auch darüber einig sind, dass der Generalbundesanwalt fragwürdige Prioritäten setzt. Das meinte zum Beispiel auch Georg Restle, Chef und Moderator des Magazins "Monitor" im ARD-Morgenmagazin:

"Der gleiche Generalbundesanwalt, der sich weigert Ermittlungen zur Aufklärung der NSA-Affäre in Deutschland durchzuführen, geht jetzt gegen Journalisten vor, die diesen Skandal mit öffentlich gemacht haben, das ist der eigentliche Skandal und das macht einen Journalisten natürlich wütend."

Und das fasst die Reaktionen eigentlich ganz gut zusammen: Eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut, die sich sowohl durch Twitter als auch die restlichen Medien zog.
Es geht in dem Fall jedoch nicht nur um den Überwachungsskandal, sondern auch um die Pressefreiheit und das Verhältnis von Staat sowie Geheimdiensten auf der einen und Öffentlichkeit auf der anderen Seite.
Besonders eindrucksvoll ist dazu ein offener Brief an Markus Beckedahl von Ulrich Kasparick, einem ehemaligen Staatssekretär, der in der DDR als Jugendpfarrer gearbeitet hat und unter anderem schreibt:

"[W]ir sehen nun, 25 Jahre später, dass die «Dienste» stärker als je ihre Arbeit tun. Und das Parlament, das sie eigentlich kontrollieren müsste, ist in einem beklagenswerten Zustand. (...) Nicht nur die Pressefreiheit ist in Gefahr, wenn ein Generalbundesanwalt gegen Journalisten vorgeht, die eben die Grundlagen der Demokratie verteidigen, sondern die Demokratie selbst ist bedroht."

Interessant auch die Einschätzung von Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen. Auf die Frage, wo er es international einordnen würde, wenn eine Regierung gegen Blogger wegen Landesverrat ermittelt, sagt er:

»Wir kennen das natürlich aus Diktaturen, die sich bemühen alles Mögliche, kritische Informationen als Landesverrat zu brandmarken. Ich denke da an den Iran oder an China. Ganz soweit sind wir hier noch nicht, trotzdem ist es hier ein bedenkliches Zeichen, dass diese Keule Landesverrat rausgeholt wird, gegen kritische Journalisten, die Dokumente veröffentlichen, die ihnen zugespielt wurden."

Es gibt einige wenige Stimmen, zum Beispiel von der ehemaligen CDU-Familienministerin Kristina Schröder oder dem Vorsitzenden des Ausschusses Digitale Agenda im Bundestag, Jens Koeppen (CDU), die diesen Vorgang als ganz normal empfinden. Aber diese Meinung ist - zumindest momentan - nicht sehr sichtbar.
Dass die Proteste im Netz auch einen gewissen Erfolg haben, ist zumindest anzunehmen. Denn nicht nur der Hashtag #Landesverrat ist bei Twitter erfolgreich, auch die Kontonummer von Netzpolitik hat es in den Charts nach oben geschafft. Die Spendenbereitschaft ist wohl stark angestiegen.
Der Chefedakteur des Investigativ-Magazins CORRECT!V Markus Grill hat zu mehr als einfachen Bekundungen aufgerufen:

"Wir wollen uns das nicht gefallen lassen. Wir werden deshalb heute noch die Dokumente, um die es geht, ebenfalls auf unserer Seite veröffentlichen und wir werden eine Anzeige gegen uns selbst beim Generalbundesanwalt stellen, wir hoffen, dass viele andere Medien das auch machen. Soll der Generalbundesanwalt doch gegen uns alle ermitteln."

Dem Aufruf waren allerdings bis zu unserem Sendungsbeginn nicht viele gefolgt. Die Angst scheint da doch groß. Größer ist die Resonanz auf eine Demonstration. Am 01. August, 14:00 Uhr, soll in Berlin gegen das Ermittlungsverfahren und die dahinterstehende Politik demonstriert werden. Auf Twitter wurde der Aufruf ausgiebig geteilt. Angemeldet sind für die Demonstration 400 Teilnehmer.
Bild: Nora Gohlke; Zitat: Recherchekollektiv CORRECT!V