Medien

"Milchmännerrechnung" verfälscht Frauenquote

Annette Bruhns im Gespräch mit Gabi Wuttke · 25.11.2013
Die Initiative ProQote möchte den Anteil von Frauen in den Chefetagen der deutschen Medien auf 30 Prozent erhöhen. Um diese Prozentzahl genauer zu beleuchten, hat der Verein jetzt den „kleinen Kai“ erfunden, der die Führungsposten je nach Grad der Verantwortung gewichtet.
Gabi Wuttke: 30 Prozent Frauen auf allen Führungsebenen der deutschen Medien – mit dieser Forderung wurde der Verein ProQuote aus der Taufe gehoben. Kaum zwei Jahre später kann Mann über geballte Frauenpower nicht mehr einfach hinwegsehen. Sonst würde es im WDR womöglich keine neue Hörfunkdirektorin geben. Aber was liefern die Chefetagen durchschnittlich, um die Zahl von Frauen in Führungsfunktionen zu erhöhen? ProQuote macht heute eine neue Rechnung auf.
“Irgendein Chefredakteur hat drei Stellvertreter: zwei Männer, eine Frau. Von 15 Ressortleitern sind zwei Frauen. Sechs von elf Vize-Ressortleitern sind Frauen. Nach der Pro-Kopf-Methode wären das neun Frauen von 30 Chefs, also 30 Prozent.“
Wuttke: Aber so einfach ist das nicht mit den Führungspositionen. Deshalb stellt ProQuote-Vorsitzende Annette Bruhns heute mit einem kleinen Film den "kleinen Kai“ vor. Frau Bruhns, guten Morgen!
Annette Bruhns: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Wie rechnet denn der "kleine Kai“?
Bruhns: Ich hole mal ein bisschen aus. Wir haben in Deutschland so viele Frauen in Chefredaktionen von Zeitungen, wie man einen Frauenanteil in DAX-Vorständen hat, nämlich drei Prozent, und wir wollen ja 30 Prozent. Jetzt machen die Redaktionen das normalerweise so, dass sie den Pro-Kopf-Anteil von Frauen an Führungsposten zählen. Dabei zählen sie aber die Ressortleiterin, die vielleicht für einen Kulturteil von fünf Seiten Verantwortung trägt. Die hat dann genauso viel Gewicht wie ein Chefredakteur, der für eine ganze Zeitung und 200 Redakteure Verantwortung trägt, und das halten wir für eine Milchmännerrechnung.
Wuttke: Das heißt, der "kleine Kai“ rechnet wie?
Bruhns: Der "kleine Kai“ rechnet, der Chefredakteur, weil er die meiste Macht hat, der kriegt so viele Machtpunkte, und diese Machteinheit nennen wir Kai. Der kriegt vier Kais, weil es unter ihm eben noch die stellvertretenden Chefredakteure gibt. Die kriegen dann drei Kais. Die Ressortleiter und die stellvertretenden Ressortleiter und die stellvertretenden Ressortleiter auf der untersten Ebene, die kriegen einen Kai.
Wuttke: Das heißt also, manche Personalliste klingt, knapp zwei Jahre nachdem ProQuote aus der Taufe gehoben wurde, immer noch besser, als sie denn tatsächlich ist?
Annette Bruhns, Vorstand der Journalisten-Initiative ProQuote
Annette Bruhns, Vorstand der Journalisten-Initiative ProQuote© picture alliance / dpa / Christian Charisius
Bruhns:Der Frauenführungsanteil klingt ein bisschen besser. Wenn Sie jetzt zum Beispiel gucken: Beim "Focus“ liegt der so ungefähr bei einem Viertel von Frauen in Führung pro Kopf und bei roundabout 16 Prozent Machtanteil, wenn man das rechnet, wie wir das rechnen. Sie können das ab heute Mittag auf unserer Website sehen. Und da können Sie noch was sehen: Da können Sie sehen, wie bei acht Leitmedien sich so langsam seit unserer Forderung – das war im Februar 2012 – Kamele nach vorne schieben. Wir haben mal aus Leitmedien Kamele gemacht. Draufgesetzt haben wir weibliche Jockeys. Und Sie können dann klick, klick, klick machen und sehen – das kennen Sie vielleicht beim Rummel, dass man da so Bälle schmeißt, und dann gehen Kamele oder Pferde nach vorne –, nun gut, da hoppeln dann eben unsere Leitmedien, "Zeit“, "Focus“ etc. nach vorne. Bei uns ist das ein bisschen anders: die können leider auch mal ein bisschen nach hinten hoppeln, wenn sie, wie zum Beispiel beim "Focus“, eine stellvertretende Chefredakteurin verlieren.
Wuttke: Würden Sie nach zwei Jahren sagen, das Glas ist halb voll, oder halb leer, oder bleiben Sie lieber bei Ihrem Bild der Schnecke?
Bruhns: Ich muss leider noch beim Bild der Schnecke bleiben, habe aber Anlass zu Optimismus. Die "Zeit“ zum Beispiel, die ja von Anfang an gesagt hat, ja, das machen wir, die hat ihren Frauenführungsanteil verdoppelt, und zwar auch den Machtanteil. Das ist dann ganz einfach, wenn man auch eine Frau in die Chefredaktion holt.
Wuttke: Sind Sie eigentlich selbst überrascht von dem Erfolg?
Bruhns: Ja, ich bin überrascht auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Wir sind Medien. Wir müssen nach vorne gehen. Das heißt, es gibt hier auch keinen Chefredakteur in diesem Land mehr, der zumindest öffentlich sagen würde, ProQuote, ihr spinnt ja.
Wuttke: Aber sie denken es noch öfter?
"Es ist ein Wettbewerb entstanden um gute Frauen"
Bruhns: Ich kann ja nicht in die Köpfe von Chefredakteuren hineingucken. Aber ich sehe, viele tun was, auch die, die zum Beispiel nichts zu uns sagen oder sehr, sehr wenig. Schauen Sie die "Süddeutsche Zeitung“. Das sehen Sie beim Kamelerennen. Die verharrten und verharrten bei vier Prozent Machtanteil. Jetzt liegen sie nicht mal mehr an der letzten Stelle, sondern an der vorletzten, und das zeigt doch, es tut sich was und es ist ein Wettbewerb entstanden um gute Frauen, und die gibt es ja. Es ist ja nicht so, dass Quote – das wird uns ja oft vorgeworfen – Qualität mindere, weil man nach Quote und nicht nach Qualität aussuchte, sondern ich glaube, es bürgt für Qualität, weil man auch die besten Frauen nach vorne holt und damit einfach die Besten vorne hat und nicht nur die besten und zweitbesten und drittbesten Männer.
Wuttke: Warum trifft es Kai Diekmann nicht nur bei der "taz“, sondern jetzt auch bei ProQuote? Sind die Frauen bei der "Bild“ besonders im Hintertreffen, oder warum?
Bruhns: Nein, ganz im Gegenteil! Springer hat sich eine interne Quote schon verordnet. Irgendwie bei der "Welt“ greift die gar nicht, die sind nämlich bei elf Prozent, wenn ich mich jetzt richtig erinnere, auf jedem Fall auf dem letzten Platz, obwohl sie mal im Mittelfeld angefangen haben. Aber Kai Diekmann hat jetzt gerade am Freitag wieder eine stellvertretende Chefredakteurin berufen und man sieht, die vorige stellvertretende Chefredakteurin ist jetzt Chefredakteurin einer großen Zeitung, der "Bild am Sonntag“. Das heißt, da tut sich was, da ist jemand aufgewacht.
Wuttke: Sie könnten, wenn Sie wollten, sich jetzt sehr weit aus dem Fenster lehnen, denn ich würde natürlich gerne wissen: In den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD ist jetzt aufgestellt worden eine 30-Prozent-Quote in den Aufsichtsräten. Hoffen Sie da für die Frauen im Journalismus auf einen Mitnahme-Effekt, oder glauben Sie womöglich, dass ist ProQuote zu verdanken?
Bruhns: Das wäre sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Ich denke, wir haben unseren Anteil dazu getan, dass das Thema immer wieder in Redaktionen wie heute Morgen Gott sei Dank besprochen wurde. Das war wichtig. Ich hoffe auf einen Mitnahme-Effekt in dem Sinne, die Medien können nicht hinterher. Ich meine, 30 Prozent, Entschuldigung, das ist doch sehr bescheiden. Wir wollen natürlich auf Augenhöhe endlich sein, 50 zu 50 Prozent. Es ist heute so, dass eine Bundeskanzlerin von zehnmal mehr Männern interviewt wird als von Frauen. Das ist doch irgendwie nicht mehr zeitgemäß.
Wuttke: …, sagt Annette Bruhns, die ProQuote-Vorsitzende. Heute wird der "kleine Kai“ vorgestellt, die neue Berechnungsgrundlage für die Macht von Frauen in Leitungspositionen. Jetzt war die Vorsitzende zu Gast bei uns im Studio. Danke schön!
Bruhns: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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