Mediatorin

Ein Seismograph für Vorurteile

Die Sozialpädagogin und Mediatorin Sosan Azad, aufgenommen am 27.04.2014 in Köln.
Die Sozialpädagogin und Mediatorin Sosan Azad © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Von Blanka Weber · 24.10.2014
"Streit entknoten" heißt das kleine Unternehmen von Sosan Azad. Als Sozialpädagogin sensibilisiert sie Menschen für kulturelle Unterschiede zwischen Afghanistan und Deutschland - und ist mittlerweile eine der gefragtesten Mediatorinnen bundesweit.
"Ich sage einfach mal, unsere Deutung auf die Sache und wir haben Deutungen und das ist auch OK. Sobald wir eine Situation beobachten, was anders ist."
Sosan Azad steht vor ihren Seminarteilnehmern: Pädagogen, Ärzte, Juristen, Führungskräfte, manchmal auch Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden. Es geht um Mediation, die professionelle Art Streit zu schlichten:
"In der Mediation ist Interpretation weniger erlaubt, daher nennen wir das in unserer Sprache Deutungen geben oder Hypothesen bilden. Es könnte sein …"
… muss aber nicht - ist ihre Botschaft. Die 47-Jährige will ihre Seminarteilnehmer sensibilisieren. Mit offenem Blick schaut sie eindringlich in die Gesichter ihrer Gruppe. Von dort kommt freundlicher Respekt zurück. Zierlich, mittelgroß, gerade Haltung. Die schwarzen Haare sind apart zum Knoten nach hinten gesteckt. Sie trägt High Heels, lackierte Nägel und eine fröhlich-bunte Kette mit Häkelblumen zur hellgelben Bluse und den weißen Jeans. Von einem schier unversiegbaren Optimismus scheint sie umgeben zu sein. Keine Frage: Sosan Azad hat Ausstrahlung.
"Ich bin in einer Familie aufgewachsen von Teppichhändler-Vater und einer Mutter, die eine von wenigen Frauen war, die in Afghanistan studiert hat. Stadt und Land. Ja. Sie eine emanzipierte Frau, für afghanische Verhältnisse zu sehr feministisch geprägt und dann traditionelles Dorf und mein Vater, der im Dorf das Sagen hatte. Und dann kamen vier Jungs und dann kam ich!"
Von Sozialarbeiten betüttelt
Aus ihrem Leben in Afghanistan macht Sosan Azad kein Geheimnis. Zwischen der traditionellen und der intellektuellen Ebene sei sie aufgewachsen, zwischen Büchern und Teppichen:
"Ja, mein Vater hat uns beigebracht wie man Geschäfte macht. Meine Mutter hat gesagt: Vergiss das. Du musst studieren. Sonst wirst du von deinen Mann abhängig."
Was Sosan Azad heute leicht über die Lippen kommt, hat einen ernsten Hintergrund. Mit 17 geht sie eine arrangierte Ehe ein mit Ali, der in Deutschland studiert. Sie kennt ihn nicht, sie liebt ihn nicht. Egal, der Landsmann mit deutschem Pass ist ihr Ticket in ein anderes Leben. Die Familie will es so. Vernunft statt Liebe. Ohne es zu ahnen, wird es der Anfang des eigenen Weges. Sie verlässt ihren Mann, beginnt ein Studium und jobbt nebenher für die Kirche als Sozialarbeiterin. Sie betreut Migranten, weiß worauf es ankommt und lernt, zwischen den einen und den anderen zu vermitteln:
"Was glaube ich als türkischer Bewohner hier, was über mich in Deutschland … was denkt man? Welche Positionen und Status habe ich, ja. Was haben sie für ein Bild über Afghanistan. Als ich nach Deutschland kam das Bild über mich war: Erst mal bin ich gut behandelt worden. Jemand kommt aus Afghanistan. Minderjährig. Wow. Die betütteln wir. Ja. Ich hatte drei Sozialarbeiter um mich, fünf Betreuer."
Sie studiert Sozialpädagogik und hat immer mehr Freude, wenn anderen Fremdes weniger fremd bleibt, nachdem sie zwischen Kulturen und Religionen vermittelt und vielleicht Probleme gelöst hat. Sie engagiert sich für arabische Kulturen und verliebt sich schließlich - in einen: Juden. Wieder brechen Welten zusammen, denn sie lebt ihren Glauben, den Islam. Das kurze Aufflackern der Liebe wird jäh beendet. Wieder eine Trennung.
Wenn Worte komplett daneben liegen
Heute ist sie Geschäftsfrau, Coach und gefragte Mediatorin. Sie arbeitet bundesweit, schult die Mitarbeiter großer Ministerien und auch die Straßensozialarbeiter im kleinen Kiez. Wie ein Seismograph registriert sie Vorurteile und eben, immer wieder: Interpretationen. Sie weiß, wie es sich anfühlt, wenn Worte und Gesten einfach komplett daneben liegen.
"Die, die ganz nett waren, die haben gesagt, wir haben in Deutschland einen wunderschönen Hund, der heißt auch Afghane. Ich sag: Super. Wunderbar. Und komme aus einer Kultur, wo Hunde nicht gerade die Tiere sind, die man im Bett, im Schlafzimmer schlafen darf."
Sie erzählt von Pannen und Patzern, all‘ jenen Wörtern, die treffen können, ohne dass es Absicht war. Sosan Azad will sensibilisieren und – wie sie sagt – "Streit entknoten". So heißt auch ihr kleines Unternehmen. Manchmal redet sie per Skype mit einem Medianten, weil der eben im Iran lebt. Manchmal nimmt sie den ersten Zug nach Frankfurt, um dort in einem Gremium Streit zu schlichten und manchmal, sagt sie, freue ich mich einfach nur, wenn andere von mir lernen wollen und mir vertrauen:
"Wenn ich hier vorne stehe, denke ich: Wie kann ich das optimieren. Das mache ich, weil ich so eine Vergangenheit hatte. Eine Vergangenheit, die ganz viel Geduld verlangt und eine Vergangenheit, die mich geprägt hat, dass die Gemeinschaft wichtig ist."
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