Mediation statt Prozess

Ulf Kämpfer im Gespräch mit Marcus Pindur · 14.01.2011
Der Kieler Familienrichter und Mediator Ulf Kämpfer sieht das neue Mediationsgesetz nur als ersten "Meilenstein" einer "neuen Konfliktkultur". "Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft", sagte er und sieht 10 bis 20 Prozent aller Verfahren außerhalb des Strafrechts für die Mediation geeignet.
Marcus Pindur: Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Wenn jetzt aber beide Nachbarn glauben, sie seien die Frömmsten und der Nachbar sei der Böse, dann sehen sie sich aller Voraussicht nach vor Gericht wieder. Und da die Deutschen Prozesshansel sind und meist noch eine Rechtsschutzversicherung haben, nimmt die Zahl der Gerichtsverfahren überhand. Das soll sich ändern. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, hat einen Gesetzentwurf erstellt, der der Mediation einen größeren Spielraum geben soll. Wir sind jetzt verbunden mit Ulf Kämpfer, er ist Richter und Mediator in Kiel. Guten Morgen, Herr Kämpfer!

Ulf Kämpfer: Guten Morgen!

Pindur: Eine Vielzahl von Streitigkeiten, die bisher vor Zivilgerichten landen, sollen künftig friedlich beigelegt werden. Wo ist denn der Unterschied zwischen einem gerichtlichen Vergleich und einer Mediation?

Kämpfer: Nun, zunächst einmal bin ich als Mediator nicht der zuständige Richter, das heißt, ich entscheide den Rechtsstreit nicht, und dadurch habe ich eine ganz andere Rolle, in der ich den Beteiligten gegenübertrete. Die Parteien müssen mich von gar nichts überzeugen, sondern ich helfen ihnen lediglich, miteinander ins Gespräch zu kommen, und, meistens unterstützt durch ihre Anwälte, dann einen fairen Interessenausgleich zu finden.

Pindur: Was ist denn in der Praxis gefragt von einem Mediator in solch einem Prozess? Wie können wir uns das vorstellen?

Kämpfer: Also als Richter bin ich ja unabhängig, ich trete den Beteiligten einfach sehr neutral mit meinem juristischen Fachwissen gegenüber. Als Mediator reden wir immer von der Allparteilichkeit, es geht also vielmehr darum, mich auch in die Lage der Beteiligten zu versetzen und sie zu verstehen, und das gegenseitige Verstehen der Beteiligten zu fördern. Ich bin also für alle Beteiligten da, und nicht einfach nur der etwas abstrakt juristisch denkende und in dieser Funktion dann unabhängige Richter.

Pindur: "Das Preisgeben eines verletzten Rechtes ist ein Akt der Feigheit", hat der Vater des deutschen Zivilprozessrechtes Rudolf von Jhering vor über einem Jahrhundert geschrieben. Ist es diese Art martialische Auffassung von Recht, die bislang dem im Wege stand, mehr Mediationsverfahren zu institutionalisieren?

Kämpfer: Zunächst einmal ist es ja in Ordnung, dass wir einen klaren rechtsstaatlichen Rahmen haben, in dem ich meine Rechte verteidigen kann, und ich möchte niemandem vorschreiben, auch nicht in Zukunft, dass er unbedingt in eine Mediation muss. Es ist genauso legitim, in einem sehr formalen Verfahren sein Recht zu suchen, aber es ist eben nicht allein selig machend. Und dieser Gedanke, an den müssen wir gerade in Deutschland, der wir aufgrund auch unserer historischen Erfahrung her stark auf so einen formalen Rechtsstaat setzen, doch noch einiges dazulernen. Und insofern ist das neue Mediationsgesetz, dessen Entwurf jetzt beschlossen wurde, sicherlich ein erster, aber sicherlich nicht der letzte Meilenstein, den wir gehen können, um auch eben eine neue Konfliktkultur zu fördern.

Pindur: Wie hat man sich das dann vorzustellen? Wird es dann einen Mediator an jedem Gericht geben und die Frage eines Richters vor Beginn einer Verhandlung: "Möchten Sie nicht bitte eine Mediation versuchen?"

Kämpfer: Also dieser neue Entwurf sieht vor, dass schon zu Beginn einer Klage ich als Anwalt schreiben muss, hat es einen Mediationsversuch gegeben? Wenn das nicht der Fall war, dann bin ich als Richter aufgefordert, zu schauen, ob dieser Fall nicht für eine Mediation geeignet ist. Und auch Anwälte müssen in ihrer Beratungspraxis vielleicht noch mehr darauf achten, ob immer der Gang zum Gericht der richtige und beste Rat für die Beteiligten ist.

Es setzt aber eben voraus, wenn wir von der gerichtlichen Mediation sprechen, dass überhaupt in meinem Bundesland, in meinem Gericht die Möglichkeit der Mediation besteht. Das ist in vielen, aber längst noch nicht an allen Gerichten der Fall, und man muss auch sagen, dass einige Bundesländer sich da doch noch sehr zögerlich verhalten, diese Form der Mediation zu fördern. Das wird leider auch durch das neue Gesetz nicht anders werden, wenn es so bleibt, wie es jetzt ist. Denn es ermöglicht zwar die Mediation und stellt einen Rechtsrahmen bereit, aber es verpflichtet die Bundesländer nicht, eine Mediation an den Gerichten auch tatsächlich anzubieten.
Pindur: Das müssen die Länder dann also selbst entscheiden. Kann man denn in allen Rechtsfragen das machen mit dieser Mediation, vom Familienrecht bis hin zum Strafrecht, oder gibt es auch Bereiche, die man besser ausklammert aus diesem Prozess?

Kämpfer: Also sicherlich ist das Strafrecht ein Sonderfall, weil sich dort ja nicht Zivilpersonen gegenüberstehen, sondern der Staat als Strafinstanz, aber dort haben wir mit dem Täter-Opfer-Ausgleich schon seit Langem auch eine Möglichkeit, den Mediationsgedanken mit einzubringen. Ansonsten denke ich, dass in allen Gerichtszweigen die Mediation einen deutlich höheren Stellenwert verdient hat. Wir haben ja im Moment, wenn man vom Strafrecht absieht, 3,7 Millionen Prozesse jedes Jahr in Deutschland, und dem stehen im Moment nur 5000 Mediationen gegenüber.

Da kann man also sehen, dass da noch ein Potenzial ist. Ich selbst denke so, dass vielleicht langfristig 10 bis 20 Prozent aller Verfahren außerhalb des Strafrechts wirklich für die Mediation geeignet sind. Sei es im Kleinen, im Bereich von Hartz IV, oder wenn es um den Ausbau des Frankfurter Flughafens geht, dort gab es auch eine große Mediation, ist es sehr, sehr oft geeignet, und das Potenzial ist also noch lange nicht ausgeschöpft.

Pindur: Herr Kämpfer, Sie haben von 5000 Fällen pro Jahr gesprochen, da hat man ja schon eine Hausnummer. Wie erfolgreich ist denn die Mediation da?

Kämpfer: Das ist von Gericht zu Gericht und von Gerichtszweig zu Gerichtszweig noch sehr unterschiedlich. Es gibt Gerichte, die haben eine Erfolgsquote von 50 Prozent, andere von 90 Prozent, das ist also auch ein Teil der Frage: Wie professionell gehe ich an die Sache heran? Ich glaube, der Durchschnitt liegt aber jedenfalls bei über 70 Prozent, und das Interessante aus meiner Praxis ist an meinem Gericht, dass sogar die gescheiterten Mediationen sehr häufig dann beim nächsten Richtertermin in einem Vergleich enden, dass also auch trotz des Scheiterns in der Mediation doch ein Prozess in Gang gesetzt wird, der die Beteiligten dazu führt, am Ende doch eine gütliche Einigung zu finden.
Pindur: Wie kommen denn die Konfliktparteien bei so einer Mediation – nehmen wir mal an, Sie ist erfolgreich – dann aber auch zu der Rechtssicherheit, die ihnen gewährleisten kann, dass dieser Konflikt nicht direkt nach der Mediation wieder aufflammt?

Kämpfer: Also insoweit ist das neue Gesetz, wenn es so kommt, ein Vorteil, weil es klarstellt, dass eine Regelung, die man in der Mediation trifft, tatsächlich auch verbindlich ist und auch durchsetzbar ist, das heißt, wenn sich jemand zum Beispiel zu einer Zahlung verpflichtet, dann am Ende auch die Möglichkeit besteht, wenn er nicht zahlt, sein Konto zu pfänden oder ihm den Gerichtsvollzieher auf den Hals zu schicken.

Pindur: Herr Kämpfer, Sie sind zu 90 Prozent Richter, zu 10 Prozent Mediator. Was sind Sie denn lieber?

Kämpfer: Ich mag die Befruchtung der beiden Sachen, ich bin als Mediator in einer ganz neuen Rolle, die mir sehr gut gefällt, und, wie ich das eben schon angedeutet habe, die auch ganz stark zurückwirkt auf meine Prozessführung als Familienrichter, dort habe ich es ja auch sehr stark mit emotionalen Konflikten und mit Kommunikations-Desastern zu tun. Das hilft mir sehr.

Pindur: Herr Kämpfer, vielen Dank für das Gespräch!

Kämpfer: Herzlichen Dank!

Pindur: Ulf Kämpfer, er ist Richter am Amtsgericht Kiel und Mediator.
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