Wie auf Streamingdiensten manipuliert wird

Die Gier nach Tantiemen

07:35 Minuten
Das Foto zeigt die Sängerin Beyonce bei einem Konzert in Mailand 2017.
Beyonce bei einem Konzert im Mailand: Journalisten wiesen nach, dass die Streaming-Zahlen ihres letzten Albums nicht stimmten. © imago images / ZUMA Press / Marco Piraccini
Von Christoph Reimann · 25.06.2019
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Kaum eine Woche vergeht, in der nicht Streaming-Rekorde bekannt gegeben werden. Immer wieder erreichen Musikerinnen und Musiker auf diversen Plattformen neue Höchstzahlen. Doch stimmen die? Nicht selten ist offenbar Manipulation im Spiel.
Streaming ist ein Wachstumsmarkt. Allerdings wird die Verlässlichkeit der Abrufzahlen bei Streamingdiensten auch immer wieder angezweifelt. Und das wohl mit guten Grund: Die Manipulation von Streaming-Zahlen ist Realität. Das ist das Fazit eines Panels auf der "A2IM Indie Week", dem Branchentreff der unabhängigen Musikindustrie in New York.
Es gibt verschiedene Arten, Streaming-Zahlen künstlich in die Höhe zu treiben. Manche Marketing-Agenturen versprechen in ihren Leistungskatalogen schon bestimme Klickzahlen. Das kann dann über Fake-Accounts passieren, über gestohlene Accounts, durch den Einsatz von Algorithmen.

Prahlen mit dubiosen Zahlen

Was man aber auch oft beobachtet: Künstlerinnen und Künstler, die über soziale Medien ihre Fans dazu animieren, ihre Songs immer wieder abzurufen, auch wenn es nur 30 Sekunden sind. Diese 30 Sekunden sind aber eine magische Zahl: Denn ab 30 Sekunden zahlt Spotify Geld aus.
Wenn man dann von Algorithmen spricht, die eingesetzt werden, kann man von einem unethischen Ansatz ausgehen. Heir gibt es einen prominenten Fall. 2016 haben Beyoncé und Kanye West neue Alben rausgebracht: Beyoncé hat "Lemonade" veröffentlicht, Kanye West ein bisschen früher die Platte "Life Of Pablo".
Beide Veröffentlichungen gab es erst mal exklusiv bei Tidal. Der Streamingdienst hat dann eine Pressemitteilung rausgegeben: Angeblich hatte Tidal nach den Veröffentlichungen drei Millionen Abonnenten. Und angeblich wurde "Life Of Pablo" 250 Millionen Mal innerhalb von zehn Tagen gestreamt – das ist schon viel. Die Zahlen waren allerdings manipuliert.
Rausgefunden hat das Markus Tobiassen. Er kommt aus Norwegen und arbeitet dort für die Zeitung Dagens Næringsliv. Tobiassen ist an das Datenmaterial gekommen. Also das, was Streamingdienste eigentlich hüten wie ihren Augapfel.
Er hat mit seinem Team diese Zahlen analysiert. Dabei hat er schnell merkwürdige Muster erkannt: Es sah so aus, als würden sich viele Nutzer in einer bestimmten Reihenfolge dieselben Songs anhören. Nach einer gewissen Zeit haben sie das wieder gemacht, exakt derselbe Ablauf.

Merkwürdige Regelmäßigkeiten im Abruf

Tobiassen legte einen Fall beispielhaft vor: Eine Frau aus Harlem in New York hatte sich angeblich mehrmals am Tag das Album "Lemonade" von Beyoncé angehört. Angefangen hat sie immer zur exakt selben Sekunde einer Minute, verschoben um, wie sich herausstellte, ein Zeitintervall, das sich durch sechs teilen lässt.
Dieses Muster haben Markus Tobiassen und sein Team zunächst bei 1000 zufällig ausgewählten Accounts festgestellt, die sie dann mit den Zahlen konfrontiert haben. Tobiassen hatte im Anschluss die Nutzer gefragt, ob sie wirklich zu den besagten Zeiten diese Musik gehört haben. Die Probanden wurden gebeten, für die betreffenden Zeiträume anzugeben, was sie gemacht hatten, über Chat-Logs, Textnachrichten, Instagram-Posts, E-Mails oder Meeting-Einträge.
Dabei stellte sich heraus: Die Leuten hatten geschlafen, waren beim Basketball oder lernten für Tests – in den Zeiträumen, in denen sie angeblich die Musik von Kanye West oder Beyoncé gehört hatten.
An den Accounts wurde also irgendwie "herumgespielt". Wie sich herausgestellt hat - und zwar, nachdem Tobiassen das Datenmaterial an eine Uni weitergegeben hatte - lief die Manipulation nach Mustern ab, die noch weitaus komplexer waren als das, was ich jetzt eben skizziert habe. Was diese weitere Untersuchung aber auch gezeigt hat: Es wurde im ganz großen Stil manipuliert.
Wer hinter den Manipulationen steckt, weiß keiner. Fakt ist, die Zahlen wurden manipuliert und diese haben sich auf die Tantiemen-Auszahlung ausgewirkt.

Strafbare Bereicherung an Tantiemen

Der Fall wird jetzt von der Polizei untersucht. Auch bei vielen anderen Fällen, bei denen man Manipulation vermutet, weiß man nicht, wer dahintersteckt. Aber Seiten im Internet, die einem Spotify-Plays zum Kauf anbieten, bieten einem zum Beispiel auch Follower bei Twitter zum Kauf an. Das sind also Leute, die in verschiedenen Bereichen unethisch unterwegs sind.
Noch bleibt zu untersuchen, wie viele der Streams auf Spotify Fake-Streams sind. Experten gehen von einer Prozentzahl im einstelligen Bereich aus. Das klingt nach wenig. Hat aber große Auswirkungen. Denn wer viel gestreamt wird, bekommt auch mehr Geld.
Denn das gesamte Geld, das der Streamingdienst über Bezahl-Abos einnimmt, landet in einem großen Topf. Für jedes Land, in dem der Dienst aktiv ist, gibt es normalerweise einen solchen Topf. Aus diesem Topf nimmt sich erst mal der Streaming-Dienst seinen Anteil. Der Rest wird dann an die Rechteinhaber der Songs ausgeschüttet – und zwar nach Marktanteil.
Tobiassen konnte in New York klar darstellen, dass man seinen Marktanteil künstlich nach oben treiben kann. Der Anteil der anderen fällt dementsprechend nach unten. Einer gewinnt, die anderen verlieren.
Wenn also Bands auf einmal durch die Decke gehen, was die die Streaming-Abrufe angeht, die aber sonst niemand kennt, kann man skeptisch werden und eine Manipulation vermuten.

Mit Songs von 30 Sekunden Geld scheffeln

Oder wenn jemand Musik rausbringt, die nur 30 Sekunden lang ist. Auch dahinter steckt vielleicht mehr das Interesse an Geld als an künstlerischem Ausdruck. Die Streaming-Ökonomie versucht nun, auf die manipulierte Klickzahlen einzugehen.
Seit gestern gibt es eine Erklärung von Vertretern der Musikbranche und Technologieunternehmen. Darin sprechen sie sich entschieden gegen Streaming-Manipulation aus.
Aber bisher passiert zu wenig. Und dass es überhaupt Manipulation gibt, in ganz verschiedenen Varianten, das liegt auch ein bisschen am Geschäftsmodell der Streamingdienste: Sie arbeiten absolut intransparent, sind in vielerlei Hinsicht eine Blackbox, bei der man nicht weiß, was im Inneren vor sich geht.
Das schafft Raum für kriminelle Machenschaften. Aber so arbeiten alle großen Internetkonzerne. Wann hat Facebook angefangen, im großen Stil gegen Fake-Accounts vorzugehen? Erst als es einen großen Aufschrei gab, erst, als das Unternehmen Gefahr lief, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.
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