Max Zähles Film "Schrotten"

Der Freiheitswille der Schrotthändler

Max Zähle, Regisseur des Spielfilms "Schrotten!", zu Gast bei Deutschlandradio Kultur
Max Zähle, Regisseur des Spielfilms "Schrotten!", zu Gast bei Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio - Andreas Buron
Moderation: Patrick Wellinski · 30.04.2016
Western, Komödie, Drama - all diese Stichworte zieht Regisseur Max Zähle in Betracht als Untertitel für seinen Film "Schrotten!" Doch letztlich verwirft er sie alle und meint: Seine Geschichte vom Überlebenskampf einer Schrotthändlerfamilie sei ein Märchen.
Patrick Wellinski: "Schrotten!", ab Donnerstag in unseren Kinos, ist das lange Spielfilmdebüt von Max Zähle, mit dem ich vor der Sendung sprechen konnte. Willkommen, Max Zähle!
Max Zähle: Hallo!
Wellinski: Wann waren Sie denn das letzte Mal auf einem Schrottplatz?
Zähle: Das ist gar nicht so lange her. Der Film spielt – wie der Name "Schrotten!" so halb sagt – auf dem Schrottplatz in Celle. Einer der größeren Schrotthändler in Celle hat uns so toll unterstützt. Und auf dem Schrottplatz haben wir auch gedreht, und da bin ich, wenn ich wieder in Celle bin, immer mal wieder, und es ist, glaube ich, gerade mal zwei Wochen her, dass ich da wieder "Hallo!" gesagt habe.
Wellinski: In "Schrotten!" geht es ganz grob gesagt um zwei grundverschiedene Brüder, die sich noch einmal zusammenraufen und mit ein paar Weggefährten einen skrupellosen Geschäftsmann versuchen aus dem Weg zu schaffen, um den eigenen Schrottplatz vor dem Ausverkauf zu retten. Wie lange denkt man sich so eine Geschichte aus oder gab es da wirklich reale Vorbilder?
Zähle: Bevor das Drehbuch geschrieben wurde – das habe ich mit meinen beiden Coautoren Oliver Keidel und Johanna Pfaff gemacht –, braucht man erst mal eine lange, lange Recherchezeit, um diese Welt erst mal kennenzulernen. Ich komme aus Celle, ich bin aufgewachsen mit Schrotthändlern, das heißt: Dieses Milieu war mir durchaus bekannt, aber was für eine Kraft, was für eine Geschichte dahinter steckt, das hat sich erst im Laufe dieser zwei Jahre Recherche gezeigt. Dann hat sich auch so langsam die Geschichte rauskristallisiert.

Die Figuren - einen Hauch überzeichnet

Wellinski: Was ist das für eine Welt? Im Film wirkt sie sehr archaisch. Ich dachte, sie wäre absichtlich überzeichnet, aber sind Schrotthändler in Celle so eine archaische Gesellschaft?
Zähle: Die Figuren sind und die Geschichte ist natürlich einen Hauch überzeichnet. Klar, das ist fiktional. Das heißt, die Geschichte, so wie sie erzählt wird, ist auch fiktional. Die Figuren sind fiktional, aber wo der Wind her weht, das ist durchaus so, wie man das im Film wiederfindet, vor allem, was die Herzlichkeit angeht, was das Herz angeht, was diese Unangepasstheit angeht. Das ist das, wie die Schrotthändler auch wirklich leben. Gerade dieser Freiheitswille, dieser Freiheitsdrang, das ist das, was man dort findet und was man auch in dem Film wiederfindet.
Wellinski: Raubtierkapitalismus findet man auch wieder: Ist das auch so eine Art Gegenwart dieser Schrotthändler, dass man dann von größeren Konzernen vereinnahmt wird? Ist das so eine Art Existenzangst, die da auch mitschwingt?
Zähle: Das ist eine absolute Existenzangst, und das hat sich auch in diesen zwei Jahren Recherche gezeigt. Ich wollte eigentlich eine leichtfüßige Komödie machen, was es auch geworden ist, aber es hat einen durchaus dramatischen Hintergrund. Das ist eben dieser Überlebenskampf der Schrotthändler, die schon seit Jahrhunderten über die Lande fahren, damals noch mit Pritschenwagen und mit allmöglichem Zeug gehandelt haben, und das haben sie bis jetzt auch weiterhin getan. Es ist natürlich so, dass jetzt immer mehr, vor allem auch der Staat, die Stadt sich diesen Schrott einverleibt. Man stellt Elektrotonnen vor die Privathäuser. Das aber ist Material, von dem die Schrotthändler seit Jahrhunderten gelebt haben. Insofern besteht momentan ein ganz aktueller, hochdramatischer Existenzkampf bei den Schrotthändlerfamilien.
Wellinski: Ich wollte noch mal zur Drehbuchphase kommen: Der Film funktioniert sehr gut, weil es sehr viele sehr eigene Figuren – also skurril, ich würde es jetzt erst mal skurril nennen –, skurrile Figuren gibt, die haben Sie erst mal erschaffen, und das ist im deutschen Kino gar nicht so häufig. Meistens gibt es ein, zwei gutausgearbeitete Figuren. Sie haben sehr viele Figuren erschaffen. War das die große Schwierigkeit, jeden einzelnen Charakter so stark zu zeichnen?
Zähle: Das war eine absolute Herausforderung, das Drehbuch. Der Film lebt von den Figuren, und je mehr man die Figuren mag, je mehr man an die Figuren rankommt, desto mehr lebt dann auch natürlich das Gesamtbild, der gesamte Film. Insofern haben wir uns sehr viel Mühe gegeben, jede einzelne Figur zu zeichnen, an der zu arbeiten, ihr eigene Charakterzüge zu geben. Das ist natürlich auf der einen Seite erst einmal die Drehbucharbeit, die Idee. Und dann braucht es natürlich die Schauspieler, die das mit Leben füllen, die das verinnerlichen, die das leben. Ich hatte das große Glück, wirklich ein ganzes Ensemble an großartigen deutschen Schauspielern zusammen zu bekommen, die das dann letzten Endes dann auch zu dem gemacht haben, was es jetzt geworden ist.

Western, Komödie, Drama

Wellinski: Über die Schauspieler sprechen wir noch gleich. Ich finde, es geht ganz viel um Gruppenbildung in dem Film. Man findet sich zusammen. Eine Gruppe muss erst mal entstehen, dann muss man erst mal die Figuren kennenlernen. Um ehrlich zu sein, aus dem Kino kenne ich das vor allem aus Western – nur ein Beispiel: "Rio Bravo" von Howard Hawks, da geht es auch um Kleinfamilien und Gruppen, die sich zusammenfinden. Ist "Schrotten!" ein norddeutscher Schrottplatzwestern - Wenn das überhaupt Sinn macht, diese Bezeichnung?

Zähle: Es ist tatsächlich ein bisschen schwierig, dafür eine richtige Genrebezeichnung zu finden. Ich finde: "Komödie" - das ist ein bisschen undankbar für den Film, denn es hat sehr viel mehr Tiefe als eine "flache Komödie". Es ist eine Familien- heißt: Ganovenkomödie. Es steckt alles ein bisschen drin. Gleichzeitig ist ein Drama da mit drin. Ich glaube, ein norddeutsches Märchen könnte man fast sagen. Es ist auch leicht märchenhaft, leicht zauberhaft erzählt, ohne, dass man da mit dem Finger drauf zeigt, was wir zumindest versucht haben. Insofern, ich glaube, ein norddeutsches Märchen könnte es vielleicht auch ganz gut greifen, wobei es jetzt auch nicht nur das ist, sondern da stecken viele andere Genrebezeichnungen mit drin.
Wellinski: Ich habe auch nach dem Western gefragt, weil im Western auch die Landschaft an sich sehr wichtig ist, und obwohl die Handlung in "Schrotten!" jetzt sehr flott ist, ist es eine Räubergeschichte auch. Kann man übersehen, dass die Landschaft durchaus einen wichtigen Teil - auch so eine Art Hauptrolle - in dem Film spielt? Es ist auch etwas, das ich zum Beispiel aus Ihrem Kurzfilm "Wattwanderer" kenne. Also welche Rolle spielt denn diese norddeutsche Landschaft für Sie, für diesen Film, im Filmemachen für Sie überhaupt?
Zähle: Das ist eine gute Frage. Das ist tatsächlich so, vor allen Dingen in dem Fall. Bei "Wattwanderer" geht es darum, dass eine Familie ins Watt geht, das heißt, da spielt per se die Szenerie, die Landschaft eine ganz klare, wichtige Rolle. In dem Fall ist es so, das ist ein norddeutscher Film, es spielt in Niedersachsen, es ist die norddeutsche Landschaft, die, wie ich finde, sehr filmisch, sehr beeindruckend ist, weil sie sehr tief ist, sehr weit ist, wenig Hügel, man sieht bis zum Horizont. Das heißt, das ist so ein bisschen wie eine Prärie, und das ist auch ein bisschen dieses Westernelement in "Schrotten!". Das sind Schrotthändler mit ihren Pritschen-LKWs, die sitzen ein bisschen wie Cowboys auf ihren Pferden, die über die Prärie reiten. So ähnlich habe ich das auch mit den Schrotthändlern gesehen. Insofern ist die norddeutsche Heide, die norddeutsche Landschaft ein bisschen die norddeutsche Prärie für die Schrotthändler.
Wellinski: Sind sie vielleicht ein norddeutscher Regisseur im Sinne wie Achternbusch ein bayrischer Regisseur ist? Dazu muss man sich nicht schämen. In Deutschland klingt das immer so lokal und so piefig, aber man muss erst mal diese Landschaft begreifen und die Menschen und wie sie ticken.
Zähle: Ich komme nun mal daher, ich komme aus Norddeutschland, ich komme aus Celle. Insofern ist das für mich meine Heimat, und das ist auch ein Heimatfilm, "Schrotten!" Es geht darum, dass einer, der sich losgesagt hat von seiner Heimat, zurückgeholt wird, erst mal gegen seinen Willen, um dann festzustellen, dass Heimat kein Ort ist, sondern Heimat ist ein Gefühl. Das ist für mich auch: Norddeutschland ist für mich die Heimat, und umso schöner ist es dann auch, dass ich mein Kinodebüt in der norddeutschen Landschaft drehen konnte. Insofern, also ich bin ein norddeutscher Regisseur. Ich habe in Kalkutta auch gedreht, mein Abschlussfilm. Insofern ist das weniger da norddeutsch bezogen gewesen, aber in dem Fall ist es ganz klar sehr Lokalpatriotismus so ein bisschen, der da mitschwingt in "Schrotten!".
Wellinski: Ganz viele großartige Schauspieler haben Sie in Ihre Heimat eingeladen. Frederick Lau zum Beispiel: Er spielt den – ich sage es mal – den einfacher gestrickten Bruder, während Lucas Gregorowicz so den Stadtmenschen gibt, der Bruder, der sich loslösen wollte von der Familie, von dieser Schrottplatzatmosphäre, der jetzt wieder zurückkommt und wieder noch mal seine Familie quasi neu entdeckt und sich dadurch auch wieder neu entdeckt. Die beiden passen gut zusammen, auch wenn das sehr unterschiedliche Brüder sind. Das ist jetzt diese Frage, die man häufig stellt: Denken Sie an Frederick Lau und Gregorowicz beim Schreiben oder ist das etwas, das wirklich erst später durch das Casting dazu kam?
Zähle: Das ist teils teils. Im Vordergrund stand natürlich erst mal generell dieses Schrotthändlermilieu, und als es dann an die Figuren ging, hatte ich tatsächlich, was den jüngeren Bruder – Letscho heißt der im Film – angeht, da hatte ich sehr früh Frederick Lau schon im Kopf. Die Rolle war ein bisschen ihm – ich würde mal sagen – auf den Leib geschrieben. Ich habe da wirklich sehr viel an ihn gedacht, hab ihm auch als erstes das Buch geschickt, und er hat es auch gleich gemacht, weil er diese Figur wirklich geliebt hat. Dann ging es natürlich darum, einen Bruder zu finden, der nicht wie er ist, sondern der – eben wie der Film auch erzählt – anders ist und auch anders sein will. Insofern ist es natürlich nicht schön, den gleichen Typ zu besetzen. Da haben wir auch lange gesucht, und auf einmal stand da Lucas Gregorowicz. Das war wirklich wie eine Offenbarung. Da stand er, und das war für mich der größere Bruder von Frederick Lau, von Letscho. Dann war das Brüderpaar da, und wie der Film zeigt, finde ich, funktioniert das auch ganz toll.
Wellinski: Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege: Sie haben sehr lange an "Schrotten!" gearbeitet, knapp drei Jahre, wenn ich nicht falsch …
Zähle: Jetzt sind es fünf Jahre.
Wellinski: Oh, okay.
Zähle: Aber gearbeitet – also der Film ist jetzt schon ein bisschen fertig –, also bewusst dran gearbeitet sind es dann aber vier Jahre gewesen.
Wellinski: Vier Jahre. Warum so lange?
Zähle: Weil die Recherchephase einfach lange dauert. Natürlich kann man schneller ein Buch schreiben, aber ich glaube, dann ist es nicht so wahrhaftig. Ich glaube, diese Wahrhaftigkeit in den Figuren, auch die Liebe, die da drin steckt, die braucht einfach Zeit. Das macht man nicht einfach so, vor allen Dingen, wenn man dieses Milieu nicht kennt. Das heißt, man muss ein bisschen sich Zeit nehmen. Ich bin auch mit den Jungs schrotten gefahren, ich habe selber mit angepackt, mit denen viel geredet, viel mir angeschaut. Das heißt, dann trägt man die Geschichte auch ein bisschen mit sich rum. Das dauert.

Hollywood - das muss nicht sein

Wellinski: Und es ist nicht frustrierend als junger Filmemacher, wenn man dann den ersten Langfilm präsentieren will und guckt, zwei Jahre sind vorbei, drei Jahre sind vorbei, vier Jahre vorbei, und irgendwie ist das Ding immer noch nicht fertig?
Zähle: Nein, ich glaube, ich sehe das immer so ein bisschen wie wenn man ein Kind hat, wenn ein Kind geboren wird, und dann guckt man zurück, dann ist es fünf, und man hat die Zeit gar nicht mitbekommen, wie schnell das ging. So ähnlich ist das beim Filmemachen auch: Man merkte, während man dabei ist, gar nicht, wie die Zeit vergeht. Erst wenn er jetzt fertig ist, guckt man zurück und merkt, oh, das ist jetzt fünf Jahre her, dass ich angefangen habe. Doch schon eine ganz schön lange Zeit.
Wellinski: Das letzte Mal, dass Sie bei uns waren, das war im Zuge Ihres Abschlussfilms, mit dem Sie für den Studentenoscar erst nominiert waren und dann auch für den richtigen Oscar nominiert waren. Sie waren dann auf dem Sprung nach Hollywood und waren da auch schon ein paar Mal in Los Angeles, und man hat so im Kopf, für Filmemacher gibt es nichts Größeres, als überhaupt erst mal nach Hollywood zu kommen, und wenn man irgendwie den Fuß in der Tür hat, und sei es nur einen halben, will man unbedingt den Rest noch mit reinstopfen, aber Sie sind wieder zurückgekommen und haben "Schrotten!" gedreht in Celle, hier in Norddeutschland. Hollywood ist nicht Ihre Welt, oder ist das erst mal verschoben?
Zähle: Nein, wahrscheinlich träumt jeder so ein bisschen von Hollywood, aber das muss trotzdem nicht sein. Mir war klar, dass ich in Deutschland, in Norddeutschland meinen Debütfilm machen wollte, daran hat auch die Oscarnominierung und der Studentenoscar nichts geändert. Das war eine tolle Aufmerksamkeit, die ich dadurch hatte, hat vielleicht mir auch so einen leichten Vertrauensvorschuss gegeben, aber das war die Zeit von "Schrotten!". Ich wollte keinen anderen Film machen, und jetzt ist er da.
Wellinski: Ab nächsten Donnerstag dann ganz offiziell in den deutschen Kinos. Bei uns zuvor im Studio war der Regisseur des Films Max Zähle. Vielen Dank für den Besuch und viel Erfolg mit dem Film!
Zähle: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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