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Libanon
Der Ton gegenüber den Syrern wird rauer

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht den Libanon. Das kleine Land hat im Vergleich zu seiner Einwohnerzahl weltweit die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen. Die Spannungen aber wachsen, viele Libanesen wollen die Gäste möglichst schnell wieder loswerden. Mitverantwortlich ist die Geschichte des Libanons.

Von Anne Françoise Weber | 27.01.2018
    Im Lager von Tell Abbass im Nordlibanon leben syrische Flüchtlinge unter schwierigsten Bedingungen
    Im Lager von Tell Abbass im Nordlibanon leben syrische Flüchtlinge unter schwierigsten Bedingungen (Deutschlandradio / Anne Françoise Weber)
    Mit großem Hallo wird Friedrich Bokern im kleinen Flüchtlingslager von Tell Abbas im Norden des Libanon begrüßt. Die Frauen, die zwischen den einfachen Zelten mit der UN-Aufschrift Wäsche aufhängen, die jungen Männer, die gelangweilt herumstehen, die kleinen Kinder, alle kennen den großgewachsenen Deutschen und freuen sich über seinen Besuch.
    Der Leiter des Flüchtlingslagers, Abu Hussein, ein freundlicher Mann mit tiefen Stirnfalten, betont, wie viel Fred, wie Bokern hier genannt wird, und dessen Hilfsorganisation Relief and Reconciliation for Syria für die Menschen im Lager tun:
    "Wir danken Fred sehr für seine Hilfe. Vor allem für unsere Kinder - ohne ihn und die von ihm organisierte Hausaufgabenbetreuung würden unsere Kinder gar nichts lernen. Wir danken ihm und seiner Organisation. Er ist der einzige, der kommt und unserem Lager in vielen Dingen hilft."
    Neid und Angst prägen die schwierigen Beziehungen
    Bokern fallen die Lobreden eindeutig etwas zu persönlich aus - schließlich ist er gar nicht mehr ständig vor Ort und hat vieles an das lokale Team von Relief and Reconciliation for Syria abgegeben. Schnell weist er auf ein Zelt, das aussieht wie alle anderen:
    "Unsere italienischen Freunde leben hier im Zelt, das sind Freiwillige, die kommen und gehen. Deren Hauptmission ist der Schutz von bedrohten Bevölkerungsgruppen. Durch ihre Präsenz im Lager ist halt ein gewisser Schutz, weil das hier eine sensible Gegend ist. Das Dorf ist mehrheitlich orthodox gewesen, aber jetzt gibt es doppelt so viele Flüchtlinge wie ursprüngliche Einwohner. Das ist also schon sehr sensibel."
    Auch die jungen Männer im Camp von Tell Abbas erleben die Ablehnung der libanesischen Bevölkerung
    Auch die jungen Männer im Camp von Tell Abbas erleben die Ablehnung der libanesischen Bevölkerung (Deutschlandradio / Anne Françoise Weber)
    Oft prägen Neid und Angst die historisch schon immer schwierigen Beziehungen zwischen Libanesen und Syrern. Die Zahlen sind umstritten, aber grob gesagt hat das kleine 4,5 Millionen-Einwohner-Land über eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Und manchmal machen die Hilfsorganisationen alles nur schlimmer. Bokern erzählt, wie zu einem Fastenbrechen im Ramadan im Flüchtlingslager auch die Nachbarn aus dem Ort eingeladen waren.
    "Dann gab es noch zusätzliche Boxen für die Familien im Lager. Dann wurden die Nachbarn ärgerlich: Warum kriegen wir keine? Und dann kam es zur großen Schlägerei und es gab noch ein bisschen Probleme danach. Also da muss man auch mal ganz selbstkritisch sagen, dass wir das Gegenteil erreicht haben von dem, was wir eigentlich machen, nämlich die Leute zusammenzubringen."
    Offiziell will der Libanon keine Lager
    Camp-Leiter Abu Hussein findet, gerade in den letzten Monaten habe sich das Klima gegenüber den Syrern im Libanon weiter verschärft:
    "Viele sagen, es reicht, geht zurück, lasst uns in Ruhe. Aber wohin sollen wir zurück? Da gibt es keine Sicherheit, sondern Probleme, Angriffe. Und man kommt da gar nicht hin. Wir haben hier Familie, Kinder. Schon auf dem Weg zurück kann uns etwas passieren, wir können nicht zurück in unser Land."
    Also lebt er mit seiner Familie in diesem inoffiziellen Flüchtlingslager, für das ein libanesischer Privatmann ein Grundstück zur Verfügung stellt und von jeder der rund 25 Familien monatlich umgerechnet 30 Euro Miete kassiert.
    Offiziell will der Libanon nämlich gar keine Lager errichten, unter anderem deshalb, weil die alten palästinensischen Flüchtlingslager im Land von vielen als Problem gesehen werden. Zwar leben die Menschen dort schon seit ihrer Flucht aus Israel/Palästina 1948 oder 1967. Es stehen auch keine Zelte, sondern Betongebäude dort, aber die Lebensumstände sind weiterhin schwierig und Integration nicht wirklich gewünscht. Die Beziehungen zwischen den Palästinensern aus den Lagern und der Mehrheitsbevölkerung sind oft angespannt - auch wegen der Erinnerungen an den libanesischen Bürgerkrieg, in den palästinensische Gruppen verwickelt waren.
    Bei den syrischen Flüchtlingen wächst ein stummer Hass
    Genau mit dieser Geschichte beschäftigen sich der frühere Verleger Lokman Slim und seine deutsche Ehefrau Monika Borgmann seit Langem. Sie leben in der Dahieh, der südlichen Vorstadt von Beirut, die weitgehend von der Hisbollah kontrolliert wird. Ihre alte Villa wirkt zwischen den vielen unverputzten Betonhochhäusern wie ein Fremdkörper aus einer anderen Zeit. Drinnen, in einem Büro voller Bücher und Archivmaterial aus der Zeit des Bürgerkriegs, erzählt Lokman Slim, was er von syrischen Nachbarn so hört:
    "Hier, wenn man in die Dahieh kommt, sieht man die Checkpoints der Armee. Aber wenn man die Zeichen nicht kennt, sieht man die anderen Checkpoints nicht, mit den jungen zivil gekleideten Leuten. Sie pfeifen oder winken dir, weil sie vermuten, dass du ein Syrer bist, und sagen dir: Geh auf die Seite. Dort verschwindest du dann in einem dunklen Loch, ein Parkplatz, eine Art Container am Straßenrand. Du wirst gefilzt, man schaut dein Telefon an, dein WhatsApp, man checkt dich im wahrsten Sinne des Wortes durch."
    Slim beobachtet, wie bei den syrischen Flüchtlingen ein stummer Hass wächst - vor allem auf die mit dem syrischen Regime verbündete Hisbollah, die diese Checkpoints betreibt, aber vielleicht auch allgemeiner ein Hass auf die Libanesen.
    Ein libanesisch-syrisch-palästinensisches Komitee soll helfen
    Von libanesischer Seite spiele in den Umgang mit den syrischen Flüchtlingen eben immer das schwierige Verhältnis zu den Palästinensern hinein, ergänzt Monika Borgmann. Hier setzt die Arbeit ihrer Organisation Umam Documentation and Research an:
    "Wir haben ein Projekt, das von Ifa civic unterstützt wird und das sich genau um die Frage dreht, dass die Libanesen nicht diese Art der Vergangenheitsaufarbeitung gemacht haben, was die Palästinenser betrifft, und dass heute eine Projektion stattfindet von den Palästinenser auf die Syrer. Und dieses Projekt läuft jetzt seit einem Jahr und nimmt zur Zeit die Form an, dass die Teilnehmer ein libanesisch-syrisch-palästinensisches Komitee gründen möchten, das sich einmischen und Stellung beziehen könnte, wenn irgendetwas passiert."
    Zum Beispiel Übergriffe von beiden Seiten, Razzien in Betrieben, die Syrer ohne Papiere beschäftigen oder Vertreibungen von Flüchtlingen aus manchen Ortschaften. So etwas häuft sich seit einiger Zeit - und mit dem gerade beginnenden Wahlkampf im Libanon wird der Ton gegenüber den Syrern immer rauer.