Mauerbau im DDR-Rundfunk

Als Humor getarnte Kriegsrhetorik

18:04 Minuten
Ein Volkspolizist beobachtet mit einem Fernglas an der kriegsmäßig abgeriegelten Sektorengrenze in der Berliner Friedrichstraße auf einem gepanzerten Fahrzeug mit Maschinengewehr bestückt den Westen. Aufnahme vom September 1961.
DDR-Volkspolizisten beobachten den Westen 1961 an der abgeriegelten Sektorengrenze: Der Rundfunk brachte zeitgleich anti-westliche Propaganda. © picture alliance / dpa
Von Thomas Klug · 11.08.2021
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Im August 1961 verstärkt die DDR ihre Propaganda auf allen Kanälen. Westberlin wird hermetisch abgeriegelt. Ein Akt der Verzweiflung, umetikettiert zum antifaschistischen Schutzwall. Der Rundfunk setzt auf Siegerposen und Lieder mit zweifelhaftem Humor.
"Go up to the Olympic stadion in Westberlin to the police show. You see more SS troopers there you have even seen in your life."
Das Radio empfiehlt einen Besuch im Westberliner Olympiastadion. Da kann man SS-Leute sehen, die jetzt eine Polizei-Show zeigen. Der Radiosender, der diesen Tipp zum Besten gibt, sitzt im Osten der Stadt. Der mit dem Westen gar nichts mehr zu tun haben will. Oder soll.

Mauerbau 1961
Ein kurzfristiger wirtschaftspolitischer Erfolg der SED? [Audio]
Jens Schöne sieht den Mauerbau 1961 in Berlin aus Sicht der SED kurzfristig als wirtschaftspolitischen Erfolg, um die Abwanderung zu stoppen und wieder "Ruhe ins Land" zu bringen. Aber langfristig funktioniere dieses Modell des Sozialismus nicht. Der Historiker ist stellvertretender Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Historiker Jens Schöne ist stellvertretender Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Er steht draußen, in schwarzem Anzug mit kurzen Haaren.
© Fanny Heidenreich
Die wahre Information, die richtige Erziehung erhalten die amerikanischen Truppen in Westberlin aus der Friedrichstraße in Ostberlin, heißt es da.
"Mit diesen OPS-Berlin-Sendungen sollte versucht werden, auf die amerikanischen Truppen in Westberlin Einfluss zu nehmen, auch mit Propaganda, in englischer Sprache und mit Jazz-Titeln", sagt Karin Pfundstein, wissenschaftliche Dokumentarin im Deutschen Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg.

Mauer wird zum antifaschistischen Schutzwall umetikettiert

August 1961. Die DDR verstärkt ihre Propaganda auf allen Kanälen. In der Nacht zum 13. August, einem Sonntag, beginnen Nationale Volksarmee, Grenztruppen und Betriebskampfgruppen Westberlin hermetisch abzuriegeln.
"Lasst euch nicht erzählen, dass Schutz nicht nötig sei. Sie werden uns bestehlen, wo unsere Wachen fehlen, sie waren schon dabei", heißt es im Lied "Wir sind wachsam".
Niemand soll mehr vom Osten in den Westen gelangen können. In der Realität ist es ein Akt der Verzweiflung, um die Abwanderung zu stoppen. Die Propaganda macht daraus einen siegreichen Abwehrkampf gegen den Feind: Die Mauer wird zum antifaschistischen Schutzwall umetikettiert. Die DDR soll durch sie vor Nazis, Menschenhändlern und Saboteuren geschützt werden. Und vor Herrn Raffzahn, der im Osten billig lebt und im Westen Geld verdient.
"Herr Raffzahn ist ein übler Wicht, er säet nicht, er erntet nicht, doch hat er unser Brot im Kasten. Mit seinem Job in Westberlin will er ganz doof Profite ziehen. Und lebt zu unseren Lasten. Na hör mal her, na hör mal hin, das hat doch alles keinen Sinn", so der Liedtext in "Herr Raffzahn".

Uniformierte und Bewaffnete im Funkhaus Nalepastraße

Berlin-Oberschöneweide. Die Spree ist nah und das SED-Zentralkomitee weit weg. Eigentlich. Doch hier in der Nalepastraße steht der Funkhauskomplex der DDR, entstanden ab 1951 auf dem Gelände einer ehemaligen Sperrholzfabrik. Alle zentral ausgestrahlten Radioprogramme werden von hier gesendet, kontrolliert und reglementiert von der SED. Das zweite Augustwochenende beginnt normal, ohne besondere Vorkommnisse.
"Es war Dienstbeginn wie jeder andere. Und irgendwann im Laufe des Abends oder der Nacht kamen dann wichtige Menschen in den Sender und verfügten, dass die Programme gleichgeschaltet wurden auf ein zentrales Programm. Das ging einher mit der Regierungsmitteilung über die Grenzschließung, die da ins Funkhaus kam", erinnert sich Karin Pfundstein.
"Das Alarmsystem der Betriebskampfgruppen setzte ein, also alle Kampfgruppengenossen waren tatsächlich uniformiert und bewaffnet an zentralen Stellen des Funkhauses, auf dem Gelände, in den studiotechnischen Einrichtungen wirklich einsatzbereit. Alles wurde auch da auf Befehl mobilisiert."

Rundfunkprogramm möchte gute Laune verbreiten

Die SED ahnte durchaus, dass die Absperrung Westberlins in der eigenen Bevölkerung keine Freude auslösen würde. Angst, Wut und Verzweiflung der Bevölkerung sollten aber keinen Eingang ins Programm finden. Stattdessen: Gute Laune und Siegerpose, Häme und ein Horoskop.
"Für Schützen, einschließlich Willy Brandt, geboren am 18.12.: Sonntag nicht empfindsam werden, denn Sonntag wird kaum nach Wunsch verlaufen", ertönt es in der "Aktuellen Ätherwelle" des Rundfunks DDR.
"Vor ein paar Tagen im August
hatte er noch nicht gewusst,
dass er heute klare Lieder singen muss.
Damals hat er nicht entfernt
dran gedacht was er nun lernt,
mit dem Menschenhandel ist in Zukunft Schluss.
Und riskierte auch Herr Brandt einen ziemlich großen Rand,
ist trotz großem Rand im Prinzip er ziemlich klein,
wenn der liebe Willy laut
auch auf Lemmers Pauke haut.
Was bleibt übrig ihm
als schließlich einzusehen:
Die Zeit von eh und je wie einst im Mai,
die ist in Schöneberg für ihn vorbei."
Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von Westberlin, und Ernst Lemmer, der Minister für gesamtdeutsche Fragen in Bonn, waren bevorzugte Zielscheiben der musikalischen Propaganda.
"Herrn Lemmers Schafe blöken auf tiefstem Herzens Grund,
in jeder Wechselstube heult ein getroffener Hund.
Es weint der schöne Willy, in seiner Einsamkeit,
sein Plan ging in die Brüche. Das war die höchste Zeit.
Unsere duften Jungens, die stehen auf Wacht
und hüten das eigene Haus.
Unsere Jungen sind der Stolz der Arbeitermacht.
Mit Schmarotzern und mit Schiebern
ist es aus."

Rhetorik des Kalten Krieges im Radio

"Der Rundfunk wollte schnell und schlagkräftig auf politische Tagesereignisse reagieren, einen Song, ein Lied, ein Sketch, in der Glosse. Dafür wurden diese Kollektive gegründet. Sie sollten eben auch in einer Rhetorik des Krieges, des Kalten Krieges, diesen Ätherkrieg ausfechten, um den es hier letztendlich geht", sagt Karin Pfundstein.
Alte Menschen springen aus ihren Häusern in ein Sprungtuch im Westen. Eine 80-jährige Frau stirbt einen Tag später im Krankenhaus. Satire gepaart mit Zynismus.
"Das bekannte Ostberliner Mütterchen, das sich seit nunmehr bereits 12 Tagen waghalsige Sprünge durch den ostzonalen Stacheldraht auszeichnet, hatte gestern beim Überspringen der Grenze am Brandenburger Tor einen leichten Schwächeanfall. Die alte Dame wird deshalb in den nächsten Tagen nur mit Stock springen", heißt es in der "Aktuellen Ätherwelle".
Ab dem 13. August 1961 werden besondere Leistungen erwartet. Die SED kann auf kreative Köpfe zurückgreifen, die später sogar ernstzunehmende Werke verfassen werden: die Schriftsteller Peter Hacks und Heinz Kahlau zum Beispiel und der Komponist Siegfried Matthus.
Was sie aber in den Augusttagen 1961 zum kulturellen Leben des antifaschistischen Schutzwallstaates deutscher Nation beitragen, ist eintönige propagandistische Flachware. Immer wieder wird die Luft besungen, die jetzt wieder rein sei, als wäre die Mauer eine riesige Luftfilteranlage, die die gesamte DDR zum Luftkurort macht. Und immer wieder Brandt und Lemmer und die bösen Amis - als hätte jemand sehr genaue Wünsche bei den Auftragstextern geäußert.

Manche Metaphern häufen sich

"Diesen Eindruck hatte ich auch, als ich mich mit diesen Liedern beschäftigt habe. Es ist in der Tat auffällig, dass sich manche Bilder, manche Metaphern einfach häufen", sagt Karin Pfundstein.
"Endlich mal atmen, endlich mal atmen,
Luft, die vom brand(t)igen Ami befreit.
Endlich mal atmen, endlich mal atmen,
Kinder, das war höchste Zeit."
So heißt es in "Endlich mal atmen". Und in "Im August in Berlin":
"Nun ist die Luft wieder rein und das ist gut.
Und wer sie trüben will, kriegt eine auf den Hut.
Nun ist die Luft wieder klar und frisch,
denn im August machen wir hier reinen Tisch
Brandt und Lemmer sind verschwunden."
Auch das Lied "Die 13" knöpft sich Willy Brandt vor.
"Was war das für ´ne Lust,
am 13. August.
Der Brandt bekam eins auf den Hut.
Ihr glaubt ja nicht, wie gut das tut.
Und als er wieder zu sich kam,
fing´s ihm zu dämmern an…"
Dass sich die Menschen bei diesen Klängen gleich untergehakt und geschunkelt haben, ist nicht überliefert.
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