Matthias Heine: "100 deutsche Wörter ..."

Der "Problembär" hat überlebt

Der ausgestopfte Braunbär "Bruno" wird 2008 im Museum Mensch und Natur in München (Oberbayern) präsentiert. Der junge Bär war im Sommer 2006 aus dem italienischen Trentino nach Bayern eingewandert.
Der ausgestopfte Braunbär "Bruno" wird 2008 im Museum Mensch und Natur in München (Oberbayern) präsentiert - als Problembär machte er bereits im Deutschen Karriere. © picture-alliance/ dpa / Peter Kneffel
Matthias Heine im Gespräch mit Dieter Kassel  · 20.05.2016
"Geil", "Hiwi" oder "Problembär" – Journalist Matthias Heine untersucht in seinem Buch "Seit wann hat geil nichts mehr mit Sex zu tun?" die Karrieren von Wörtern. Und er zeichnet nach, wie der Wildbär Bruno Einzug in die deutsche Sprache hielt.
Mit einem Missverständnis muss Heine sofort aufräumen: Zwar war es Bayerns damaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber, der Bruno als "Problembär" bezeichnete. Doch erfunden habe er das Wort nicht.
Matthias Heine, Autor und Journalist
Matthias Heine, Autor und Journalist © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Es sei vielmehr bereits in den 90er-Jahren vom Schweizer Bärenmanagement benutzt worden. Mit Stoiber habe es aber ein großes Medienecho gefunden - es sei wie ein "Donnerhall" gewesen:
"Der Problembär hat überlebt, weil er eine Benennungslücke schloss. Es ist ja ein sehr anschauliches Wort, das man vor allem auch übertragen benutzen konnte. Es wurde schnell dann auch auf ungeschickte Fußballspieler oder unbeholfene Politiker übertragen. Wir haben ja mit echten Problembären in Deutschland relativ wenig zu tun, aber mit dieser Art Problembären haben wir sehr viel zu tun. Diese Anschaulichkeit, dieses Tapsige, das in dem Wort steckt, das hat dafür gesorgt, dass es so eine Karriere gemacht hat."
Heine hat auch die Karrieren anderer Begriffe verfolgt - etwa von "geil", "Hiwi" und "Panzer". Und dies nicht nur im Deutschen. Gerade "Panzer" werde in fast allen Ländern verstanden. Das Wort bringe zwei Seiten zum Ausdruck: Bewunderung für das deutsche Ingenieurswesen, aber auch Unbeweglichkeit und Bedrohlichkeit. Vor allem in italienischen Medien werde damit bis heute die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bezeichnet. Überprüfen lässt sich das wieder im Juni: bei der Europameisterschaft in Frankreich.

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Als Wildbär Bruno am 20. Mai 2006 die tschechisch-bayrische Grenze überschritt, da war zunächst niemandem klar, was das für die deutsche Sprache bedeuten würde, weil zunächst niemand mit dem Bären- und Gefahrenexperten Edmund Stoiber rechnete.
O-Ton Edmund Stoiber: Wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär, und dem Problembär.
Kassel: Und der Bär, der das alles in sich vereinigte, wurde drei Tage später abgeschossen, Edmund Stoiber war ein gutes Jahr später nicht mehr Ministerpräsident. Aber das Wort Problembär ist geblieben. Wie finden solche Begriffe Einzug in unsere Alltagssprache, wie verändern Worte ihre Bedeutung – eigentlich im doppelten Sinne, Bedeutung im Sinne von Wichtigkeit, aber auch von dem, was man wirklich mit ihnen sagen will?
Dazu ist jetzt Matthias Heine bei mir im Studio, er ist Redakteur im Kulturressort der Tageszeitung "Die Welt" und er ist Autor des Buches "Seit wann hat geil nichts mehr mit Sex zu tun – 100 deutsche Wörter und ihre erstaunlichen Karrieren". Schönen guten Morgen, Herr Heine!
Matthias Heine: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Warum hat der Problembär in Ihren Augen als Wort überlebt, der Schad- und Risikobär nicht?
Heine: Ja, der Problembär hat überlebt, weil er eine Benennungslücke schloss. Es ist ja ein sehr anschauliches Wort, das man vor allen Dingen auch übertragen benutzen konnte. Es wurde ja schnell dann auch auf ungeschickte Fußballspieler oder unbeholfene Politiker übertragen.
Wir haben ja mit echten Problembären in Deutschland relativ wenig zu tun, aber mit dieser Art von Problembären haben wir sehr viel zu tun. Und diese Anschaulichkeit, dieses Tapsige, was in dem Wort steckt, das hat glaube ich dafür gesorgt, dass es so eine Karriere gemacht hat.
Kassel: Haben Sie damals vor zehn Jahren, als Stoiber dieses Wort erfunden hat, schon das Gefühl gehabt, oh, das ist so ein Wort, das bleibt? Oder waren Sie dann doch im Laufe der Jahre überrascht?
Heine: Nein, ich glaube, ich war damals nicht überrascht. Ich war damals ziemlich sicher, dass es bleibt, weil es wirklich sofort auch von den Medien aufgegriffen wurde. Übrigens hat Stoiber das Wort nicht erfunden.

Stoiber hat den Problembären nicht erfunden

Kassel: Oh!
Heine: Es ist schon in den 90er-Jahren vom Schweizer Bärenmanagement – übrigens auch ein Wort, das ich total interessant finde, Wolfsmanagement, Bärenmanagement – benutzt worden. Also, es ist nicht so, dass es eine Privatschöpfung von Stoiber wäre, der muss es irgendwo aufgeschnappt haben. Auch wenn es das bayrische Bärenmanagement nicht so gebraucht hat.
Kassel: Aber dann ist es doch ganz interessant, dann ist es ja doch ein Beispiel für etwas, wo ich schon fürchtete, dafür ist es eben kein Beispiel, nämlich ein Beispiel für ein Wort, das es schon gab und bis auf Fachleute hat es keiner gekannt, und dann machte es Karriere. Also, da muss so was zusammenkommen wie ein spektakulärer Fall und dann eben heutzutage auch ein großes Medienecho, oder?
Heine: Ja, natürlich. Wir erinnern uns ja alle und deswegen machen wir ja auch diese Sendung, wir reden jetzt darüber, dass der Problembär Bruno damals ein unglaubliches Medienecho hatte. Und Stoiber war ja auch nicht irgendwer, sondern bayrischer Ministerpräsident, ehemaliger Kanzlerkandidat. Und als er das sagte, das war natürlich ein Donnerhall, damit wurde das Wort, das vorher im Bärenmanagement – ich kann dieses Wort gar nicht oft genug sagen, weil es so schön ist – ein etwas verstecktes Dasein gefristet hatte, hinaus in die Welt trompetet.
Kassel: Wichtig übrigens: Bärenmanagement ohne Bindestrich, ganz wichtig, zumindest im bayrischen Deutsch. Das ist aber, dass das Presseecho so eine große Rolle spielt für die Karriere eines Wortes, nicht immer so gewesen. In Ihrem Buch sind natürlich viele Begriffe, die zu einer Zeit populär wurden, als es noch nicht so war.
Was mich überrascht hat – nehmen wir das mal jetzt als völlig anderes Beispiel – ist das Wort Tanker. Panzer, nicht Tanker. Tanker kennen wir auch, aber ich meine jetzt Panzer. Wo ich immer gedacht hatte, na ja, was ist das Besondere, das ist ein ganz normales Wort, es gibt kein anderes. Aber eigentlich ist das ein ganz besonderes Wort, oder?
Heine: Ja. Der Anlass dafür, dass ich mich damit beschäftigt habe – der droht uns jetzt auch wieder, die Fußball-Europameisterschaft –, ist, dass, wie wir alle wissen, in italienischen und überhaupt in romanischen Medien, sage ich mal, Argentinien, wird ja die deutsche Nationalmannschaft immer als Panzer bezeichnet, die Panzer bezeichnet. Und ich habe mich dann mit der Wortgeschichte dieses Wortes beschäftigt, weil ich a) wissen wollte, wie kommt das, und b) seit wann gibt es dieses Wort überhaupt?

Der Panzer steht für Nationaleigenschaften

Wir würden ja alle immer denken, seit dem Ersten Weltkrieg, weil dort die ersten Panzer aufgetaucht sind. Es war aber so, dass es im Ersten Weltkrieg noch gepanzerte Schlachtschiffe eher bezeichnet hat. Wenn Sie in der Literatur aus und nach dem Ersten Weltkrieg irgendwo lesen, ein Panzer, dann ist eigentlich immer ein gepanzertes Schlachtschiff gemeint. Deswegen hat man im Ersten Weltkrieg auch in Deutschland immer noch von Tanks gesprochen oder Tanks, dann vielleicht auch Englisch ausgesprochen, so hießen die Dinger ja, als sie erfunden wurden, oder auch von Panzerkampfwagen.
Und dass das Wort so eine Weltkarriere gemacht hat und mittlerweile in fast allen Ländern der Welt verstanden wird, hat natürlich damit zu tun, dass es so bestimmte Nationaleigenschaften des Deutschen idealtypisch zu verkörpern scheint: Einerseits die Bewunderung für das deutsche Ingenieurswesen, für deutsche militärische Fähigkeiten, die kann man ja durchaus auch bewundern, wenn man möchte; aber andererseits auch das Unbewegliche, dieses etwas Bedrohliche.
Das ist alles in diesem Wort Panzer verkörpert und genau das, darauf spielen natürlich italienische Sportreporter an, wenn sie über die deutsche Nationalmannschaft schreiben, die früher so in den Zeiten von Hans-Peter Briegel sicher auch noch panzermäßiger war als heute. Mesut Özil ist ja kein Panzer.

Den Hiwi gab es schon im Zweiten Weltkrieg

Kassel: Warten wir ab, was in Frankreich passiert diesbezüglich. Aber was ich erstaunlich fand, ist, dass dieses berühmte Luther-Zitat, er habe dem Volk aufs Maul geschaut, vielleicht ein bisschen was hat, auch nicht unbedingt nur immer im Zusammenhang mit Luther und der Reformation, weil es ja nicht nur Fachbegriffe gibt, die irgendwann aus welchen Gründen plötzlich in aller Munde waren, sondern viele Worte – Hiwi haben Sie als Beispiel unter diesen Hundert – sind ja eher Begriffe, wo ich glaube, das haben Leute unter sich einfach mal so gesagt und dann wurde es immer üblicher, oder?
Heine: Ja, ja. Also, bei Hiwi, das kennen wir ja alle, wenn wir studiert haben, aus der Uni. Und für mich war das dann sehr interessant, weil ich vorher – das gebe ich jetzt mal zu – als 13-Jähriger "Landser"-Hefte gelesen hatte und mich viel mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt hatte. Sie sehen …
Kassel: Der Panzer.
Heine: Das Panzer-Interesse war früh angelegt. Und Hiwi hat ja im Zweiten Weltkrieg Hilfskräfte aus den jeweiligen besetzten Ländern bezeichnet, die niedrige Dienste für die Wehrmacht leisteten, die dann den Tee servierten, die Pferde fütterten oder so was. Das taucht auch in den Protokollen der Nürnberger Prozesse auf.
Und ich fühlte mich dann, als dann plötzlich die Hiwis mir da die Bücher rüberreichten in der Seminarbibliothek, ein bisschen sprachlich in den Zweiten Weltkrieg zurückversetzt und ich habe dann in dem Buch eben versucht herauszufinden, wie es zu diesem Bedeutungswandel gekommen ist. Aber natürlich, denn seltsamerweise … "Hiwi" ist ja eine Abkürzung für "wissenschaftliche Hilfskraft", das müsste man ja eigentlich "Wihi" abkürzen.
Kassel: Ist aber einfach sehr viel schwerer auszusprechen.
Heine: Ja, wahrscheinlich erstens das und zweitens vermute ich auch mal, dass es einfach Professoren gab in den 50er-Jahren, die nahtlos von der Wehrmacht an die Uni übergegangen sind und für die dieses Wort auch naheliegend war, um ihre Hilfskräfte damit zu bezeichnen.

Geil hieß früher einfach nur fröhlich

Kassel: Mein Hiwi – der wird jetzt übrigens jahrelang böse sein, dass ich ihn so nenne –, mein Hiwi winkt jetzt schon, weil uns eigentlich die Zeit ausgeht. Aber wir können jetzt ja nicht aufhören, ohne was zu dem Wort geil zu sagen! Das ist ja so ein Dreierschritt gewesen: Erst bedeutete es nichts Sexuelles, dann ausschließlich, und jetzt bedeutet es eigentlich alles. Ein geiler Film muss ja kein Porno sein.
Heine: Ja, genau. Ich habe versucht herauszufinden, seit wann diese neue Bedeutung als neutrales Steigerungswort im Gebrauch ist. Das ist seit den 70er-Jahren, davor hatte das Wort tatsächlich jahrhundertelang in erster Linie, seit dem Barock, diese Bedeutung – unkeusch im sexuellen Sinne – gehabt. Aber ursprünglich hat es früher mal eine sehr weite Bedeutung gehabt, es konnte auch einfach nur fröhlich bedeuten.
Und wie jeder Biologe weiß, bedeutet es in Bezug auf Pflanzen auch: schnell wachsend, geile Ranken. Es gibt auch den Begriff Vergeilung aus der Biologie, aus der Botanik. Und es geht ursprünglich auf ein indogermanisches Wort zurück, das goilos ungefähr hieß, so hat man es rekonstruiert, und überschäumend bedeutete.
Kassel: Jetzt sind wir an der Grenze, die an einem Morgen für weitere Worterklärungen gesetzt wird, aber Weiteres kann man in dem Buch finden: "Seit wann hat geil nichts mehr mit Sex zu tun" heißt es, im Verlag Hoffmann und Campe ist es erschienen und sein Autor Matthias Heine war bei uns zu Gast. Herr Heine, vielen Dank!
Heine: Bitte, gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Matthias Heine: "Seit wann hat geil nichts mehr mit Sex zu tun? 100 deutsche Wörter und ihre erstaunlichen Karrieren", Hoffmann und Campe, 368 Seiten, 16 Euro

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