Matthiae-Mahl in Hamburg

Das wahrscheinlich älteste Festmahl der Welt

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Das Matthiae-Mahl im grossen Festsaal des Hamburger Rathauses. Das Matthiae-Mahl ist seit 1356 historisch belegt und damit das älteste noch begangene Festmahl der Welt.
Das Matthiae-Mahl 2018 im grossen Festsaal des Hamburger Rathauses. © imago stock&people
Holger Hettinger im Gespräch mit Dieter Kassel · 22.02.2019
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Eine Hansestadt pflegt ihre Tradition: Seit 1356 werden jährlich zum Matthiae-Mahl erlesene Gäste nach Hamburg geladen. Zu ihnen zählt heute Bundespräsident Steinmeier. Unser Redakteur Holger Hettinger erwartet aber keine "Pinzettenkunst" auf dem Teller.
Dieter Kassel: Ein sehr besonderer Morgen in der Hansestadt Hamburg, da wird nämlich im großen Festsaal des Hamburger Rathauses der große Kronleuchter angemacht, wobei nicht der, es gibt schon mehrere, und man sieht dann da ganz deutlich das auf Hochglanz polierte Silber, und im Porzellan spiegeln sich unter anderem auch eine ganze Menge Prominente, denn zum ältesten Festmahl der Welt, wie die Hamburger selber sagen, zum Matthiae-Mahl sind unter anderem eingeladen und haben auch zugesagt in diesem Jahr der Bundespräsident und der Präsident Lettlands und natürlich ganz, ganz viel Lokalprominenz.
Wir wollen über dieses Essen jetzt reden mit Holger Hettinger, unserem Spezialisten für Kulinarisches und Gelage aller Art, wie Sie sich selber mir gegenüber jetzt angekündigt haben. Schönen guten Morgen, Herr Hettinger!
Holger Hettinger: Jetzt ist es raus! Schönen guten Morgen, hallo Herr Kassel!

Einladungen, um den Handel am Laufen zu halten

Kassel: Ehrengäste, erlesener Silberschmuck, Gegenstände auf dem Tisch. Ich frage mich ja was ganz Einfaches: Also zurückverfolgen lässt sich das halbwegs glaubhafterweise bis ins Jahr 1356. Was wird denn heute Abend tatsächlich noch so ähnlich sein wie damals?
Hettinger: Na ja, hoffentlich nicht aller Ballast des 14. Jahrhunderts wird da auf den Tischen landen, aber es gibt in der Tat ein Motiv, das seit 1356 sich ständig hier wiederfindet, nämlich der Brauch, Gäste einzuladen und zu bewirten. Also, zwei Ehrengäste sind es immer. Das Fest selbst sagt, da sitzen der Vertreter der Hamburg freundlich gesonnenen Mächte mit am Tisch, und das ist bei einer Stadt, deren Existenzgrundlage ja der erfolgreiche Handel ist, also seit dem 12. Jahrhundert, da waren solche symbolbehafteten Einladungen und Pflege der Geschäftsbeziehungen der Treibstoff, der diese Aktivitäten, der dieses Merkantile auch am Laufen hält.
So ein bisschen auch wie der Lauf der Elbe muss man sich das vorstellen im Lauf der Jahrhunderte. Also es wird einiges aufgewirbelt, dann ein Stückchen mitgeschleppt, und irgendwann wird es auch wieder fallengelassen. Daher ist das Matthiae-Mahl jetzt nicht eine Institution, die sich irgend so ein mittelalterlicher Eventmanager mal in seiner Veranstaltungsdramaturgie ausgedacht hat und das dann als Tradition zementiert hat, sondern es ist eher ein Oberbegriff für eine bestimmte Idee, die dann je nach Zeitenlauf immer wieder anders ausgedeutet und formuliert wurde.
So zum Beispiel im 14. Jahrhundert, da gründet der Brauch, für diese Gäste ein Messer einzudecken. Da denkt man, was, ein Messer ist doch eine Selbstverständlichkeit, aber im 14. Jahrhundert war es normal, entweder mit den Fingern zu essen oder man hatte bestenfalls einen Löffel, um sich an den allgegenwärtigen Breis zu laben. Ein Messer am Tisch war unüblich, war eine große Ehre. Messer war auch ein Stück weit eine Waffe. Also das ist so eine Art Vertrauensvorschuss, eine Art Vertrauensbeweis, den man seinem Gast gegenüber signalisiert. Also auch das nicht ganz unüblich, um wirklich eine Tischgemeinschaft zu schaffen. Es war natürlich auch ein direkter Verweis darauf, dass es das teure, edle und seltene Fleisch gab, dass man sich da also mit seinen Gästen richtig Mühe macht.
Also Etliches, was heute traditionell wirkt, ist da letztlich auch eine Zutat späterer Jahrhunderte. Man darf nicht vergessen, zwischen 1742 und 1956 gab es kein Matthiae-Mahl. Also, das hat man dann in der Nachkriegszeit, nachdem sich Hamburg nach den furchtbaren Luftangriffen dann wieder ein wenig sortiert hat, wieder aufgenommen. Das war damals auch was Konstituierendes, dass man quasi in den Ruinen, in den Trümmern sich seiner Vergangenheit noch mal begegnet, gerade in dieser großen institutionellen Einrichtung. Also hatte das durch die Jahrhunderte immer wieder andere Akzente und auch Bedeutungen.

Verlässliche Beziehungen als Lebenselixier

Kassel: Nun betont ja Hamburg sehr, dass es das älteste noch existierende Festmahl dieser Art ist. Da hört man ja schon ein bisschen heraus, dann kann es ja nicht wirklich das einzige sein. Gibt es noch so ähnliche Sachen in Deutschland?
Hettinger: Es gibt Etliches, ja. Also in Hamburg war dieses Matthiae-Mahl keines … Also, da gibt es selbst in Hamburg schon Konkurrenz, also gibt es ein Petri-Mahl oder gerade eine Stadt, die sehr stark von der Schifffahrt, vom Handel auf dem nautischen Wege lebt, die ganzen Kapitänskonvivien, also solche Zirkel gibt es dann auch. Also insofern steht das nicht alleine. Es gibt in Bremen beispielsweise das Schaffer-Mahl, die Schaffer-Mahlzeit. Ich sage, das kann man jetzt nicht unbedingt vergleichen. Ein Hamburger würde sagen, das darf man nicht vergleichen. Ein Bremer würde sagen, was ist Hamburg.
Aber diese Zirkel, in denen solche Ideen in geschlossener Weise – also das ist ja immer so closed shop, das ist immer so ein geschlossener Zirkel – gepflegt wird, das ist eigentlich eine relativ typische Geschichte, die man aber auch gerade in Handelsstädten kennt, wo gute, tragfähige, belastbare und im Zweifelsfall auch verlässliche Beziehungen das Lebenselixier sind.
Kassel: Wie viel bleibt dann eigentlich auch so über die Länge, oder anders muss ich natürlich erst mal die Frage stellen: Wie viel können wir, können Sie darüber wissen, weil das sind ja schon – ich meine, selbst wenn es das damals schon gegeben hätte, hätte man das 1356 nicht im Fernsehen übertragen.
Hettinger: Nicht unbedingt.
Der große Festsaal der Rathauses Hamburg mit langen, festlich gedeckten Tischen
Alles auf Hochglanz: Im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses wird wieder viel Prominenz zum Matthiae-Mahl erwartet.© imago / Chris Emil Janßen
Kassel: Wie nachhaltig sind denn diese Dinge? Kann man wirklich sagen, das und das ist dann überhaupt nur passiert, weil es dieses Festmahl gab?
Hettinger: Nun gut, das Ur-Matthiae-Mahl also in den ersten Jahrhunderten, das war quasi die konstituierende Versammlung für die Organisation des Gemeinwesens. Da wurden also die Senatoren beauftragt und ihre Amtsbereiche eingeführt, der Erste Bürgermeister wurde gewählt. Also das war in der Tat das konstituierende Element der Stadtregierung. Da kann man … Also, es ist von der Dokumentation, was diese Verwaltungsakte anbetrifft, immer relativ gut sortiert.
Das Drumherum dann eher weniger. Ich muss gestehen, ich war jetzt nicht in irgendwelchen tiefen Archivalienkellern und habe da jetzt gesucht, sondern einfach mal geschaut: Was gibt es denn da an Dokumentationen, an Lektüre? Und das ist ganz okay, aber es wandelt sich dann auch so ein bisschen. Ich habe ein bisschen was Nettes gefunden, so von 1715 gibt es eine Speisekarte. Also, das Menü, was sie da heute Abend kriegen, das ist noch ein großes Geheimnis ...

Wildschweinrücken, verziert mit Krammetsvögeln

Kassel: Ich wollte gerade sagen, das ist ein Klassiker: einfache Frage, keine einfache Antwort. Alle warten, glaube ich, drauf, dass ich Sie endlich frage, was gibt es denn heute zu essen?
Hettinger: Was gibt es denn zu essen – man weiß es noch nicht. Das weiß man immer erst hinterher. Früher war es so, dass also quasi die Bewirtung des Ratskellers dafür verantwortlich war. Mittlerweile ist es so, dass sich die Gastronomen – und Hamburg hat eigentlich eine ganz ordentliche gastronomische Szene –, dass sich die Hamburger Gastronomen da bewerben können. Ich habe mal geschaut, also so richtig der Knaller ist es nicht. Es ist Bankettküche. Was will man anderes machen. Da sitzen 400 Leute, und die muss man weitestgehend gleichzeitig bewirten. Da verbietet sich irgendwelche Pinzettenkunst auf dem Teller eigentlich von selbst. Das muss ratzfatz gehen. Das dient eher dazu, einen protokollarischen Ablauf da abzuarbeiten. 1715 gab es beispielsweise ein gebratenes Reh garniert mit Rebhühnern, dann gab es einen Wildschweinrücken, der seinerzeit mit Krammetsvögeln verziert war.
Kassel: Mit was?
Hettinger: Mit Krammetsvögeln. Also, das würde man heute jetzt wahrscheinlich nicht mehr so als das groß politisch Korrekte jetzt sehen. Und dann Fasanen mit Finken. Also die vegetarische Alternative ist da noch nicht notiert worden, warum auch immer, aber das steht so ein bisschen auch für den Zeitgeist, dem dieses Fest auch immer wieder untergeordnet war. Also diese Küchenkunst des Barock, da schwappt auch so ein bisschen die frühe Aufklärung mit rein. Der Mensch im Zentrum der Betrachtung und all the world is a stage, Shakespeare, die ganze Welt ist eine Bühne, und auf dieser Bühne agiert der Mensch und richtet sich die Natur so ein bisschen zurecht.
Also das Reh mit den Rebhühnern, da werden schon Sachen zusammengespannt, die so der naturnahen Verwendung von Lebensmitteln eigentlich widerspricht, aber gerade dieses Zurichten, dieses aktive Gestalten, das sind dann ganz typische Ideen, und natürlich, die spiegeln sich dann auch wieder in solchen Menüfreuden.
Kassel: Holger Hettinger über das Matthiae-Mahl, das heute wieder stattfindet in Hamburg und zum ersten Mal mit relativ großer Wahrscheinlichkeit 1356 stattfand, und damals wie heute kann man keinen Tisch bei open table dafür reservieren. Herr Hettinger, vielen Dank!
Hettinger: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.