Matthew L. Tompkins: "Die Kunst der Illusion"

Warum wir unseren Augen nicht trauen sollten

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Cover von Matthew L. Tompkins: "Die Kunst der Illusion" vor aquarelliertem Hintergrund
Viele berühmte Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts waren vom Spiritismus überzeugt – darunter auch fortschrittliche Wissenschaftler. © Cover: Dumont / Collage: Deutschlandradio
Von Anne Kohlick · 21.12.2019
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Zauberkünstler und Psychologe Matthew L. Tompkins erklärt in "Die Kunst der Illusion", warum wir scheinbar Übernatürliches wahrnehmen. Sein Sachbuch gibt erkenntnis- und bilderreich Einblick in die Geschichte von Bühnenmagie und Geisterglauben um 1900.
"Wenn ein Mann nicht mehr an das glauben kann, was ihm seine Sinne sagen, und an die Aussagen all der Menschen, die mit ihm im Zimmer waren – woran kann er dann noch glauben?" – Arthur Conan Doyle (1859-1930) ist nicht nur der Erfinder des wohl berühmtesten Detektivs der Literaturgeschichte, Sherlock Holmes, sondern auch ein überzeugter Anhänger des Spiritismus. Er glaubt, mit den Geistern seiner Mutter und seines Bruders gesprochen zu haben, und streitet darüber jahrelang mit seinem Freund Harry Houdini.
Anders als der Schriftsteller glaubt der Entfesselungs- und Zauberkünstler Houdini (1874-1926) nicht an das Übernatürliche. Die Sinne aller Anwesenden irrezuführen und sie das scheinbar Unmögliche erleben zu lassen – genau das tun Bühnenmagier wie er. Houdini macht es sich deshalb in den 1910er-Jahren zur Aufgabe, Medien, die angeblich mit Geistern in Kontakt stehen, als Betrüger zu entlarven – indem er ihre scheinbar übersinnlichen Fähigkeiten mit Zaubertricks nachahmt. Conan Doyle kann Houdini damit aber nicht vom Geisterglauben abbringen. Der Autor ist überzeugt: Die magischen Fähigkeiten seines Freundes sind echt.

Fortschrittliche Wissenschaftler als Spiritisten

Mit solchen Ansichten war Arthur Conan Doyle kein Einzelfall. Viele berühmte Persönlichkeiten des langen 19. Jahrhunderts waren vom Spiritismus überzeugt – darunter fortschrittliche Wissenschaftler wie der Evolutionstheoretiker Alfred Russel Wallace (1823-1913). Das schildert Matthew L. Tompkins in seinem ersten Sachbuch "Die Kunst der Illusion". Der Autor hat als Zauberkünstler gearbeitet und 2018 in Oxford seine Doktorarbeit in experimenteller Psychologie abgeschlossen. Darin untersucht er, welche Mechanismen unserer Wahrnehmung Bühnenmagier nutzen, um Dinge scheinbar verschwinden zu lassen.
In seinem Sachbuch zeigt der Autor, dass Zauberkünstler wissenschaftliche Erkenntnisse über die Kognition lange vorweggenommen haben. So basiert der Damenkartentrick von Henry Hardin (1849-1929) auf der "Veränderungsblindheit", die 1997 erstmals in psychologischen Fachtexten beschrieben wird. Im Buch kann man anhand von Abbildungen selbst ausprobieren, ob der Trick bei einem funktioniert – verblüffende Aha-Effekte inklusive.

Die Geister klopfen aus dem Jenseits

Matthew L. Tompkins ist fasziniert von der Frage, warum wir glauben, Dinge wahrzunehmen, die es nicht geben kann. Spannende Fallbeispiele dafür liefert ihm die Zeit um die Jahrhundertwende, die der Autor aus drei Perspektiven schildert.
Er beginnt mit der Sicht der Geistergläubigen: Zeitgenossen berichten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts immer häufiger von Erscheinungen und Geräuschen, deren Ursprung sie in der Welt der Verstorbenen vermuten. In Anwesenheit von Medien mit angeblich übersinnlichen Fähigkeiten machen sich die Geister mit Klopfzeichen bemerkbar, spielen Musikinstrumente scheinbar von selbst, erscheinen Botschaften aus dem Jenseits auf zuvor unbeschriebenen Tafeln.
Dass viele der selbsterklärten Medien schon damals als Scharlatane entlarvt wurden, schildert Matthew L. Tompkins anhand von Gerichtsverfahren – zum Beispiel dem letzten Hexenprozess in Großbritannien 1944, dessen Urteil glücklicherweise unblutig ausfiel: Fünf Pfund Geldstrafe musste Jane Rebecca Yorke zahlen, weil sie gefälschte Nachrichten von Geistern vermittelte.

Auf der Suche nach der vierten Dimension

Zweitens erzählt der Autor von Zauberkünstlern um 1900, die sich wie Harry Houdini häufig gegen den Spiritismus wandten. Die Mehrheit der Magier hielt ihre Tricks zwar geheim, ließ ihr Publikum aber wissen, dass alles, was auf der Bühne geschah, auf Geschicklichkeit, Technik und Ablenkung basierte.
Drittens geht es in dem Buch um Forscher, die den menschlichen Geist und seine Wahrnehmung untersuchten. Einige waren Pioniere der modernen Psychologie, andere überzeugte Spiritisten, die versuchten, mit wissenschaftlichen Mitteln die Existenz einer vierten Dimension zu beweisen, in der Geister existieren. In einer Zeit, in der unsichtbare Kräfte wie der Magnetismus gerade erst entdeckt wurden, hielten viele Wissenschaftler so etwas für möglich.

Geisterfotos sind Doppelbelichtungen

Diese spannenden Entwicklungen beschreibt Matthew L. Tompkins in einem zugänglichen und flüssigen Stil, opulent angereichert mit 400 farbigen Abbildungen. Historische Fotografien, die angeblich Geister zeigen – in Wahrheit sind es Doppelbelichtungen –, Illustrationen aus Anleitungen für Zaubertricks, Werbeplakate für Auftritte von Magiern lassen die Leser auch visuell in die vom Übernatürlichen faszinierte Welt der Jahrhundertwende eintauchen.
Die wichtigste Botschaft des Buches gilt dabei heute wie damals: Wir sollten unserer eigenen Wahrnehmung gegenüber misstrauisch sein. "Was man 'sieht', beruht nicht nur auf direkten Sinneseindrücken, sondern setzt sich auch aus Erinnerungen und Vermutungen zusammen", betont Matthew L. Tompkins. In Zeiten von Fake News und Filter Bubbles können wir uns dessen gar nicht bewusst genug sein.

Matthew L. Tompkins: "Die Kunst der Illusion. Magier, Spiritisten und wie wir uns täuschen lassen"
Aus dem Englischen von Petra Frese
Dumont, Köln 2019
224 Seiten, 34 Euro

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