Matt Ruff: "Lovecraft-Country"

Literarische Antirassismus-Sensibilisierung

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Matt Ruff: Auf den Spuren des Rassismus und H.P.Lovecrafts © Foto: dpa, Cover: Verlag Carl Hanser
Von Wolfgang Schneider · 02.06.2018
Horror gepaart mit Rassismus – Matt Ruff nimmt in seinem neuen Roman ein Motiv des legendären Horror-Autors H.P.Lovecraft auf. Wenn er den Horror des Rassismus schildert, geht das unter die Haut – aber danach bleibt Ruff um Längen hinter Lovecraft.
"Lovecraft Country" nimmt die Konstellation der berühmten Lovecraft-Novelle "Schatten über Innsmouth" auf, in der ein Mann in eine Stadt kommt, in der ihm merkwürdige, kollektive Feindseligkeit entgegenschlägt – bald wird der Aufenthalt für ihn lebensgefährlich.
Matt Ruff gibt dieser Vorlage einen ebenso ungewöhnlichen wie plausiblen Dreh: Seine Hauptfiguren sind Schwarze und sie leben im Jahr 1954 als Unwillkommene in einer Jim-Crow-Welt, die etwas erschreckend Innsmouthhaftes für sie hat: Blicke, in denen der Hass glimmt, Misstrauen und Unterstellungen, wo sie auch hinkommen.
Der Korea-Veteran Atticus Turner bricht von Chicago in die Südstaaten auf, um seinen verschwundenen Vater im mysteriösen Ort Ardham zu suchen. Es ist eine schikanöse Reise: Autowerkstätten verweigern Schwarzen nach Pannen die Hilfe, in vielen Restaurants werden sie nicht bedient, jede Begegnung mit einem Sheriff kann schnell lebensgefährlich werden. Lynchstimmung liegt in der Luft.
Matt Ruff gelingt es, eine Lovecraft-Atmosphäre der ständigen Bedrohung zu schaffen, ohne dafür monströse Wesen in Anspruch nehmen zu müssen. Der amerikanische Alltag von 1954 bietet Horror genug – wenn man schwarz ist. Wie sich Rassismus anfühlt – das vermittelt dieser Roman auf unter die Haut gehende Weise.

Geheimbund-Hokuspokus

Leider aber verliert er nach einem Viertel deutlich an Zugkraft. Der Vater von Atticus Turner ist in Ardham in die Fänge einer weißen Geheimgesellschaft um den mysteriösen Mr. Braithwhite geraten, aus dem Atticus und seine Helfer ihn knapp befreien können. Trotzdem durchzieht allzu viel Geheimbund-Hokuspokus fortan den Roman – als verbindendes Hintergrundgeflecht eines Zyklus von Novellen, die jeweils aus dem Blickwinkel eines Angehörigen oder nahen Vertrauten von Atticus Turner erzählt werden.
Da geht es um ein Geisterhaus, ein Zauberbuch, eine verwunschene Sternwarte, um menschenfressende Felsblöcke und andere phantastische Bedrohungen. Der jungen Ruby wird ein magischer Trank verabreicht, der sie in eine weiße Frau verwandelt. Zunächst ist sie schockiert, draußen in den Straßen aber erlebt sie die Vorzüge der veränderten Hautfarbe: keine misstrauischen Blicke, ein Polizist bietet seine Hilfe an. Während den Lesern zuvor die "schwarze" Perspektive nahegebracht wurde, können sie nun die Privilegien des Weiß-Seins erleben.
Allerdings wirkt die literarische Antirassismus-Sensibilisierung hier nun doch zu berechenbar und pädagogisch. Der Haupteinwand gegen den Roman ist jedoch ein anderer. Zwar hat er immer wieder starke Passagen; trotzdem liest man ihn zunehmend gleichgültig, weil das Übernatürliche ohne psychologische Tiefenwirkung beschrieben wird.
Wer bei Lovecraft die subtile Einfädelung des Schreckens schätzt und den gleitenden Übergang von der vertrauten Realität ins Grauenhafte, kann Matt Ruffs pulphafte Darbietung solcher Motive nur enttäuschend finden. Solange der Roman sicher auf dem Boden der rassistischen Realität von 1954 steht, ist er überzeugend und geradezu magisch; sobald er ins Phantastische driftet, wirkt er fade. Schade.

Matt Ruff: "Lovecraft Country"
Aus dem Englischen von Anna und Heinrich Leube
Carl-Hanser-Verlag, 2018
432 Seiten, 24 Euro

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