Materialschlacht

Von Jochen Stöckmann · 04.04.2009
Die aus Großbritannien kommende Ausstellung "Krieg und Medizin" ist im Dresdner Hygiene-Museum kräftig angereichert worden. Gezeigt werden Bilder und schockierende Exponate wie ein Gehirn in Formalin, in dem noch ein Granatsplitter zu sehen ist.
Grausame Bilder, blutige Schockfotos – wenn es nur darum ginge, ließe sich das Thema "Krieg und Medizin" mit einem einzigen Buch abhandeln, mit dem Erfahrungsbericht "War Surgery in Afghanistan and Iraq" von zwei Chirurgen und einem Internisten der US Army. Auch James Peto, Museumskurator aus London, kennt das medizinische Handbuch, dessen Veröffentlichung das Pentagon und US-Präsident Bush gerne verhindert hätten. Es lag bei den Ausstellungsvorbereitungen auf seinem Schreibtisch:

James Peto: "Über diese sehr brutalen Fotos haben wir alle lange nachgedacht. Nur etwas davon sieht man hier – wir wollen ja niemanden brutalisieren. Denn am aussagekräftigsten sind Bilder, die nicht ausschließlich schockieren." (Übersetzung)

Im Hygiene-Museum steht der Besucher dann aber doch mit einigem Unbehagen den blutigen Resultaten der Grabenkämpfe, des Trommelfeuers gegenüber: Wachsmodelle von Herz und Leber demonstrieren die Folgen eines Bajonettstichs, in einem Gehirn in Formalin ist der Granatsplitter zu sehen. Das Weltkriegsplakat für "Prall-Ab", den "amtlich erprobten Kugelpanzer" des deutschen Kaiserreichs wirkt daneben nur noch grotesk. Heute allerdings gehört die Splitterweste zur normalen Ausrüstung des Soldaten – und damit ändern sich auch die Aufgaben der Militärmedizin:

James Peto: "Die Art der Verletzungen ist anders: Schusssichere Kleidung schützt die inneren Organe, Herz und Magen – aber nicht die Extremitäten. Größtes Problem sind starke Blutungen – und Amputationen. Auch der Helm nützt bei starken Explosionen nichts, das Hirn wird regelrecht durchgeschüttelt." (Übersetzung)

Mittlerweile überleben 90 Prozent der Schwerstverwundeten, aber sie sind durch Amputationen verstümmelt, durch Verbrennungen entstellt.

Colleen Schmitz: "Natürlich überleben heute mehr Soldaten als früher, aber zugleich hat der zurückkehrende Soldat viele Behinderungen. Dementsprechend gibt es schon einen Bewusstseinswandel, dass man sich nicht mehr verstecken muss wegen einer Behinderung – was das Bild von Bryan Anderson aus dem Irak sehr gut verdeutlicht."

Für Colleen Schmitz, die Dresdner Kuratorin, hat das Foto des an beiden Beinen amputierten US-Soldaten Bryan Anderson eine besondere Bedeutung: Er zeigt demonstrativ - in kurzen Hosen, mit nacktem Oberkörper - seine orthopädischen Prothesen. Im Kontrast dazu ein Hochzeitsbild: ein Sergeant der US Marines in Gala-Uniform, das Gesicht ein unförmiger Fleischklumpen. Die Verbrennungen – so lässt das Farbfoto vermuten – haben auch seelische Verletzungen, Traumatisierungen hinterlassen:

Colleen Schmitz: "Normalerweise wird in der Presse nicht berichtet über die verletzten Soldaten. Sodass es einige Fotografen gab, die gesagt haben: Moment mal, hier kommen Soldaten zurück, wo sind sie, wir sehen sie nicht! Zum Beispiel Nina Berman, sie machte eine ganze Serie von Menschen, die aus dem Irak zurückgekehrt sind, auch mit neurologischen Verletzungen. Man sieht dadurch das ganze Grauen des Krieges."

Diese Fratze des Krieges tritt illustrativ zutage in den Gemälden von Otto Dix und George Grosz. Sie ist kaum noch sichtbar im Arrangement von vier schlichten, weißen, gelben, roten oder grünen Pappschildern für die sogenannte "Triage": Bei dieser Selektion entscheiden Militärärzte, ob die Versorgung eines Verletzten noch aufgeschoben werden kann, ob sie sofort nötig ist – oder angesichts knapper Ressourcen unterbleiben muss. Genau da aber liegt die eigentliche Museums-Aufgabe für James Peto, der in der vor zwei Jahren eröffneten Wellcome Collection zahlreiche Objekte zur Medizingeschichte gesammelt und gesichtet hat:

James Peto: "Die Leute denken dabei an clevere Weißkittel hinter verschlossenen Türen. Unsere Ausstellungen zeigen Medizin in sozialen, kulturellen Zusammenhängen." (Übersetzung)

Und die Kuratoren zeigen auch die Nacht- und Schattenseiten der angeblich doch nur helfenden und heilenden Profession: Unter dem Titel "Medizinische Experimente" sind Fotos von den mörderischen Menschenversuchen zu sehen, die deutsche Luftwaffen-Ärzte mit KZ-Insassen unternahmen. Doch auch moralisch oder ethisch unbedenkliche Entwicklungen der jüngsten Zeit werden unter dieselbe Kategorie gefasst: Etwa das "Exoskeleton", eine Art Muskelpanzer, der die Kräfte des Infanteristen vervielfachen soll, oder das mit einem Chip versehene Pflaster für die drahtlose Übertragung medizinischer Daten direkt ins Feldlazarett:

James Peto: "Insbesondere die US Army hat viele Sanitäter bei der Bergung von Soldaten verloren, die bereits tot waren. Das war sozusagen eine unnötige Verschwendung von Leben. An diesen Erfindungen hängen also ethische Dimensionen – mit etwas unheimlichen Untertönen." (Übersetzung)
Unheimlich, weil dieselbe Technik auch für einen Helmsensor genutzt wird, mit dem das US-Militär Hirnströme von Soldaten im Kampfeinsatz kontrolliert und Einsatzbefehle entsprechend abändert. Auch Übermüdung soll durch medizinische Anwendungen wie die transkranielle Magnetstimulation verhindert werden. All das kann in Dresden nicht gezeigt werden, es wird noch nicht einmal angedeutet.

James Peto: "Mit der Technik wächst die Entfremdung, aber bis zum Kampfroboter ist es noch weit. Und Medizin wird von Menschen gemacht."

Deren Geschichten, die "Storys" von Opfern und Helfern erzählen die Ausstellungsmacher, illustrieren sie mit Gemälden, Plakaten und Objekten, auf Videomonitoren und mit beeindruckenden Film-Installationen. Aber was es wirklich auf sich hat mit der "liaison dangereuse", dem gefährlichen Verhältnis von Krieg und Medizin, das bleibt durch die Fülle des Materials verborgen.