Massenproteste in Kiew

"Die EU muss konkrete Schritte von der Ukraine einfordern"

Demonstrierende auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew
Demonstrierende auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew © dpa / picture alliance / Hermann Wöstmann
03.12.2013
Gabriele Baumann, Leiterin des Auslandsbüros Ukraine der Konrad-Adenauer-Stiftung, plädiert dafür, Kiew weiter ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu ermöglichen. Die Ukraine müsse sich aber bewegen.
Nana Brink: Die Bilder erinnern an die Orangene Revolution. Revolution, hallt es denn auch über den Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Über 350.000 Menschen sind in der Ukraine am Wochenende auf die Straße gegangen, und es scheint, als würde sich ein lang angestauter Unmut entladen. Immerhin waren die Proteste die größten seit jener besagten Orangenen Revolution vor neun Jahren.
Und wie schon damals gab es auch wieder massive Auseinandersetzungen mit der Polizei, noch und immer wieder. Wie sagte Box-Weltmeister Vitali Klitschko, der Teile der Opposition unterstützt, gestern? "Ein Regime, das Gewalt anwendet, gehört abgeschafft." Und genau das will das Parlament heute versuchen. Gabriele Baumann leitet das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine. Einen schönen guten Morgen, Frau Baumann!
Gabriele Baumann: Guten Morgen!
Brink: Heute also soll es ein Misstrauensvotum im Parlament gegen die Regierung geben. Hat es denn Aussicht auf Erfolg? Ist sich die Opposition einig?
Baumann: Die Opposition ist sich insofern einig, dass die alle drei - es gibt drei Oppositionsparteien im Parlament - für den Rücktritt der Regierung sind. Und heute wird es auch einen runden Tisch geben im Parlament, zusammen mit der Fraktion der Partei der Regionen, wo um diese Frage gerungen wird. Vielleicht berichte ich dazu noch mal, diese drei Oppositionsparteien, das ist zum einen Udar mit Vitali Klitschko an der Spitze, das ist Batkiwtschina mit der Vorsitzenden, Parteivorsitzenden Julia Timoschenko, und jetzt (…), der auch im Parlament die Fraktion leitet, und der Partei Swoboda, das ist eine rechtsnationale Partei, rechtsextreme Partei auch von vielen genannt mit Oleg Tjagnybok an der Spitze. Und die werden heute, die drei Partei- und Oppositionsführer werden heute an dem runden Tisch sitzen mit der Fraktion der Partei der Regionen und der Regierung, um diese Frage zu behandeln.
Brink: Das ist ja allerdings sehr ungewöhnlich, dass sich die Opposition jetzt sozusagen zu einem gemeinsamen Vorgehen formiert. Das war in der Vergangenheit ja nicht unbedingt der Fall. Ist das jetzt anders geworden, oder, anders gesagt, hat man einen gemeinsamen Feind, der einen jetzt zusammenschweißt?
"Das gemeinsame Ziel ist da"
Baumann: Zum einen hat man einen gemeinsamen Feind, und das hatte sich auch schon 2012 vor den Parlamentswahlen herauskristallisiert, dass diese drei Parteien auch teilweise gemeinsame Wahllisten aufgestellt haben und dann jetzt auch in der Opposition, im Parlament auch stark gegen die Regierungspolitik gekämpft haben, allerdings jetzt auch zum Schluss, und das zeugt auch davon, dass die Opposition sich zumindest auch auf dem proeuropäischen Weg sehr sicher ist, alle Gesetze mit verabschiedet, die also für die europäische Integration auch der Ukraine waren und somit auch sehr, sehr konstruktiv gearbeitet haben, gerade in den letzten Monaten, wo ja auch die Regierung und der Präsident Janukowitsch sich sehr stark gemacht haben für Europa und auch die eigenen Reihen eingeschworen haben auf Europa.
Von daher ist die Opposition durchaus jetzt erst mal geeint. Es gibt natürlich Unterschiede ideologischer Art, die sind auch teilweise erheblich, aber das gemeinsame Ziel ist da und beherrscht auch die Diskussion der letzten Tage.
Brink: Deshalb hat es ja auch sozusagen diesen Aufruhr gegeben. Unter dem Druck Russlands hatte Janukowitsch ein über mehrere Jahre ausgehandeltes EU-Assoziierungsabkommen nicht unterzeichnet, hat sich damit den Zorn vieler Ukrainer auf sich gezogen. Ist die Stimmung wirklich so EU-freundlich in der Ukraine, oder ist sie eher antirussisch?
Baumann: Die Stimmung in der Ukraine ist proeuropäisch. Ich bin jetzt hier gerade in Vinnitsa, das ist 250 Kilometer entfernt von Kiew. Auch hier sind die Menschen für Europa. Auch hier gab es gestern eine große Demonstration, getragen von Studenten von der Zivilgesellschaft und Politikern der Opposition. Über 60 Prozent der Menschen in der Ukraine sind für Europa. Bei den jungen Menschen ist es noch ein größerer Teil.
Das betrifft nicht nur den Westen der Ukraine – da ist es besonders stark –, sondern mittlerweile auch den Osten der Ukraine, also den Teil der Ukraine, der ganz nah an Russland liegt. Die Menschen möchten unabhängig sein und sehen die europäische Perspektive stärker als die Perspektive, jetzt in die Zollunion mit Russland eingegliedert zu werden. Von daher würde ich ganz klar unterstreichen, dass die Menschen mehrheitlich in der Ukraine für Europa sind.
"Man sollt auch nicht zu lange warten"
Brink: Wenn Sie also, wie Sie es gerade beschreiben, auch auf den Straßen unterwegs sind, mit den Menschen sprechen - gibt es denn eine klare Vorstellung davon, was nach Viktor Janukowitsch kommen soll?
Baumann: Das ist eine Frage, die jetzt auch immer schon in den letzten Tagen diskutiert wird - was kommt danach? Natürlich, jetzt, zunächst einmal geht es darum, eine Einigung zu finden, wie es in den nächsten Tagen und Wochen weitergeht. Und wichtig ist, wirklich diesen Schritt auch zu machen in Richtung Assoziierung mit der Europäischen Union.
Und dann wird man sehen, ob eventuell die Regierung zurücktreten wird, weil auch da wird es davon abhängen, dass möglicherweise im Parlament eine Mehrheit die Regierung abwählen kann. Und natürlich, das hatten Sie ja auch gesagt, die Frage, inwieweit die politische Opposition sich da in wesentlichen Punkten auf später einigen kann, die wird dann auch im Vordergrund stehen.
Brink: Also dann ist eigentlich das Verhalten der EU richtig, also, wie Kommissionspräsident Barroso, der gesagt hat, wir fahren da noch mal hin und halten an unserem Angebot sozusagen fest. Ist das die richtige Antwort vonseiten der EU?
Baumann: Ja, ich würde sagen, auf jeden Fall, nur, man sollte auch nicht zu lange warten, es gibt ja noch mal den Gipfel im März, das Gipfeltreffen EU und Ukraine. Und ich denke, bis dahin sollte es auch möglich sein, die Bedingungen seitens der Ukraine so weit zu erfüllen, dass dann das Abkommen auch unterzeichnet werden kann.
Zu lange sollte man nicht warten, aber das Angebot sollte weiterhin bestehen. Die Türen, das wurde ja auch mehrfach gesagt, Richtung EU sind ja für die Ukraine offen. Und das immer wieder auch zu beweisen, halte ich für richtig. Und da auch ganz konkrete Schritte einzufordern von der Ukraine. Darum geht es jetzt in den nächsten Monaten aus meiner Sicht.
Brink: Gabriele Baumann leitet das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine. Schönen Dank, Frau Baumann, dass Sie mit uns gesprochen haben!
Baumann: Ja, vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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