Martin Schröder: "Wann sind wir wirklich zufrieden?"

Das Glück im traditionellen Rollenbild

11:51 Minuten
Eine Frau füttert ihren Mann im Schlafanzug und posiert dabei für die Kamera.
Auch wenn wir es vielleicht oft für besser halten, ein anderes Leben zu leben, ist das Leben in tradierten Rollen im Schnitt die Lage, in der wir am zufriedensten sind. © imago images / Gerhard Leber
Martin Schröder im Gespräch mit Christian Rabhansl · 06.06.2020
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Ein Leben in den typischen Geschlechterrollen dient der Zufriedenheit. Das legen Daten nahe, die über mehrere Jahrzehnte erhoben wurden. Deren Deutung ist allerdings schwierig, sagt der Soziologe Martin Schröder.
Christian Rabhansl: Wann sind wir glücklich? wann sind wir wirklich zufrieden? Der Soziologe Martin Schröder untersucht solche Fragen in seinem Buch "Wann sind wir wirklich zufrieden - Überraschende Erkenntnisse zu Arbeit, Liebe, Kindern und Geld".


Überraschende Erkenntnisse, Herr Schröder, ist ziemlich vornehm ausgedrückt. Als ich Ihr Buch gelesen habe, da ist mir wirklich ein paar Mal die Spucke weggeblieben, was Sie da so beschreiben, wann wir zufrieden sind und vor allem auch, wann wir nicht zufrieden sind. Besonders in dem Kapitel, in dem Sie sich mit Ehe und Familie beschäftigen.
Was hat Sie persönlich am meisten überrascht?

Schröder: Das worauf Sie anspielen ist einer von mehreren Aspekten, die mich natürlich auch sehr überrascht haben: Dass man sehr oft sehr merkwürdige Männer-Frauen-Dynamiken findet. Männer, vor allem Väter, sind umso zufriedener, je länger sie arbeiten - bis über 50 Stunden pro Woche. Bei Müttern zeigt sich überhaupt kein Zusammenhang zwischen den Arbeitsstunden und der Lebenszufriedenheit.
Und noch so ein komisches Ding, das man vielleicht nicht vermuten würde: Männer und Frauen sind nicht zufriedener, nachdem sie Kinder bekommen haben. Eine weitere ganz merkwürdige Sache: Frauen sind auch dann unzufrieden, wenn Männer fast die gesamte Hausarbeit machen.
Das sind teilweise wirklich Ergebnisse, bei denen man sich denkt, wenn man sich wirklich die Daten angeschaut hat: Kann das jetzt sein?

Nach zehn bis fünfzehn Jahren verfliegt das Eheglück

Rabhansl: Das ist ja wirklich krass. Also sowieso, Heiraten macht nicht so richtig zufrieden und besonders nicht, wenn man zu früh heiratet -

Schröder: Moment, das habe ich nicht gesagt. Heiraten macht schon zufriedener. Heiraten bringt Ihnen auf einer Hunderterskala so drei Punkte. Und Sie sind in den Jahren nach der Heirat viel zufriedener. Nur die Zufriedenheit geht dann immer weiter zurück, bis Sie irgendwann - so zehn, fünfzehn Jahre nach der Heirat - so zufrieden sind wie vorher, aber Heiraten macht schon zufrieden.

Rabhansl: Aber eben auch nur, wenn man relativ spät heiratet.

Schröder: Genau. Es zeigt sich zumindest, dass die langfristige Zufriedenheit stärker und nachhaltiger ansteigt, je später Leute heiraten - also Richtung 30, Mitte 30 geht -, als wenn Sie sehr früh heiraten.

"Ein bisschen verstörend"

Rabhansl: Aber der eigentliche Knaller ist ja wirklich: Die Frau muss weniger verdienen, damit beide zufrieden sind, auch die Frau. Und der Mann muss weniger Hausarbeit machen, damit beide zufrieden sind, auch die Frau.

Schröder: Das muss ich ein bisschen einschränken. Das sind ja nur Beobachtungsdaten. Ich sage den Leuten jetzt nicht: Bitte so das Leben leben! Es sind auch nur die Daten, die ich in Deutschland seit 1984 finde. Ich sage auch nicht: So sind Männer und so sind Frauen und werden es in 50 Jahren auch sein. Aber ja, die Ergebnisse zeigen sich so, das ist merkwürdig.

Um die Frage direkt vorwegzunehmen: Wie kann das denn sein? Wenn ich jetzt nicht sage, dass Männer und Frauen so und so sind, dann ist die andere Alternative, dass das einfach die Rollen sind, die wir für normal halten. Auch wenn wir es vielleicht oft für besser halten, ein anderes Leben zu leben, ist das tatsächliche Leben manchmal - oder im Schnitt - sogar die Situation, mit der wir dann doch am zufriedensten sind.
Vielleicht ist das so, weil uns das als Normalitätsvorstellung vorgelebt, vielleicht sogar als wünschenswert präsentiert wurde. Aber das sind Interpretationen.

Mit den Daten kann ich zunächst nur zeigen, dass es so ist. Ich möchte gar nicht vorgeben, woran es liegt. Sondern wir müssen uns dann eben mal überlegen, wie es denn sein kann, dass Menschen in diesen traditionellen Konstellationen oft gerade dann außergewöhnlich zufrieden sind. Das ist schon wirklich merkwürdig und tatsächlich auch ein bisschen verstörend.

An bestimmte Rollenmuster gewöhnt

Rabhansl: Die Daten umfassen Jahrzehnte hin und gehen wirklich bis in die Gegenwart. Das erscheint mir doch verblüffend. Auch wenn Sie jetzt nicht so richtig interpretieren wollen, können Sie sich das erklären, warum Frauen tatsächlich bis in die Gegenwart lieber aufhören zu arbeiten, wenn sie erst mal richtig gut verdienen, um ihren Partner nicht zu verstören?
Schröder: Es gibt eine total merkwürdige Untersuchung aus Dänemark, und die geht so: Sobald die Frau mehr als 50 Prozent des Verdienstes eines Paares verdient, dann steigen bei Männern der Absatz von potenzfördernden Produkten und bei Frauen der Absatz von angstlösenden und schlaffördernden Medikamenten.
Die Studie haben dänische Wissenschaftler erstellt, die sowohl Zugang zu den Einkommensdaten als auch zu den Krankenakten von Menschen hatten. Das ist ja völlig wahnsinnig. Also wie kann das sein? Es spricht eben dafür, dass wir alle bestimmte Rollenmuster von unserem Partner gewöhnt sind und verunsichert sind, wenn wir die nicht spielen.
Sagen wir mal, Sie sind eine Frau, und Sie sind mit einem Mann verheiratet, und der würde morgen sagen "Ich habe mich jetzt entschieden, ich laufe nur noch im Rock herum". Oder Ihre Frau würde sagen "Ich habe mir jetzt die Haare abrasiert und probiere, mit einer möglichst rauchigen Stimme zu sprechen". Dann werden wir eben verunsichert. Das fänden wir merkwürdig, wir würden auch auf mehr Widerstand treffen in den Kreisen, in denen wir unterwegs sind.

Und insofern spricht einiges dafür, dass wir zufriedener sind, wenn wir diese typischen Geschlechterrollen leben. Nicht unbedingt, weil die natürlich sind – dazu kann ich nichts sagen, ich bin kein Biologe. Aber weil es natürlich immer einfacher ist, so zu leben wie das, was einem - ich sage mal - normal vorkommt und vielleicht auch als wünschenswert vorgelebt wird.

Soziale Kontakte machen glücklich

Rabhansl: Das heißt, dann wäre Gewohnheit so ein bisschen so ein Zufriedenheitsfaktor. Sie gehen ja unglaublich viel durch: Macht Geld glücklich, Religion, eine tolle Wohnung, viele Freunde. Kann man da eine Sache rauskristallisieren?

Schröder: Den einen Grund gibt es nicht. Aber man kann schon ein paar Sachen festhalten: Soziale Kontakte - egal, ob es jetzt eine Partnerschaft ist, egal, ob es Freunde treffen ist -, machen glücklich. Ganz viel Materielles, so im Sinne von Erfolg, macht nur dann glücklich, wenn man es nicht hat. Also auch wieder sehr vereinfacht: Sie sind mit mehr Geld zufriedener, aber nur bis ungefähr 2.000 Euro netto, dann wird der Zusammenhang schon sehr schwach.

Aber jetzt generell zu sagen, das sind die drei Sachen, die glücklich machen, ist schwierig. So verhäöt es sich ja nicht, wenn Sie mal über Ihr Leben nachdenken. Wenn Sie krank sind, wollen Sie vor allem gesund sein. Wenn Sie Ihre Freunde nicht sehen können, sehnen Sie sich nach Ihren Freunden. Darum ist das schwer, das jetzt so in die Formel im Sinne von: "Die drei Sachen sind’s" zu packen.

Die Herausforderung statistischer Zusammenhänge

Rabhansl: Eine Menge Faktoren und Daten, die Sie haben, stammt aus einer Langzeitstudie mit zehntausenden Teilnehmern, mit insgesamt mehr als 600.000 Befragungen. Es ist ein unglaublicher Datenschatz, wirklich der Traum eines jeden Soziologen.
Aber es ist ja auch knifflig, das auszurechnen. Wir haben vorhin schon gesagt: Heiraten macht schon so ein bisschen zufriedener, aber zu früh heiraten nicht. Wissen wir dann jetzt: Ist es das zu frühe Heiraten? Oder sind einfach unzufriedene Menschen eher geneigt früh zu heiraten? Also statistische Zusammenhänge sind ja keine Ursachen. Wie haben Sie das bewerkstelligt?

Schröder: Genau. Darum ist das Argument "Es macht zufrieden" immer schwierig. Was man aber sagen kann, ist: "Es geht mit Zufriedenheit einher". Was ich zum Beispiel in einem Fall konkret gemacht habe: Ich habe die Zufriedenheit vor der Ehe einbezogen in meine Berechnung, also immer nur Leute verglichen, die vor der Ehe gleich zufrieden waren. Und dann geguckt, wie sich die Zufriedenheit von Leuten, die vor der Ehe gleich zufrieden waren, nach der Ehe entwickelt hat, - je nachdem, ob sie früher oder später geheiratet haben.

Rabhansl: Woher wissen Sie, dass es nicht an der schönen oder viel zu kleinen Wohnung liegt, in der die beiden zusammenleben?

Schröder: Das kann man einerseits rausrechnen, wenn ich auch weiß, wie groß die Wohnung der Leute ist - also immer nur Leute mit einer gleichgroßen Wohnung vergleichen. Aber dann muss man eben auch einschränken, was man mit den Daten machen kann.

Wenn es jetzt zum Beispiel daran liegt, dass Leute, die später heiraten, dann auch in einer größeren Wohnung leben, und es ist die größere Wohnung, die Sie dann glücklicher mit Ihrer Ehe macht, und ich aber auf diese Idee nicht komme oder diese Daten nicht habe, dann kann ich nicht alles rausrechnen.

Das ändert nichts daran, dass der Befund erst mal so ist. Es stimmt ja trotzdem, dass Leute, die später heiraten, auch zufriedener sind. Und es ändert auch nur begrenzt etwas daran, dass man es für sich als Ratschlag annehmen kann. Denn wenn Sie später heiraten, und die statistische Wahrscheinlichkeit dadurch höher wird, dass Sie dann auch in eine größere Wohnung ziehen, dann sind ja auch Sie zufriedener, wenn Sie im Schnitt später heiraten. Es liegt nur nicht an der späteren Heirat, sondern an etwas, das damit einhergeht.

Die Vergleichbarkeit von Zufriedenheiten

Rabhansl: Es gibt noch eine Sache, bei der ich mir denke: Der Teufel steckt doch sehr im Detail. Nämlich die Frage "Wie zufrieden sind Sie auf einer Skala von eins bis zehn?" - das ist ja unglaublich subjektiv! Woher wissen wir, dass, wenn der eine sieben sagt, der andere mit vielleicht demselben Leben sagen würde, das ist eine Acht?
Oder: Ist eine Achter-Zufriedenheit doppelt so zufrieden wie eine Vierer-Zufriedenheit? Gibt es das überhaupt, eine doppelte Zufriedenheit? Wie sind Sie mit sowas umgegangen?

Schröder: Dazu kann man drei Sachen sagen. Erstens haben sich Wissenschaftler tatsächlich lange gefragt "Was sagen diese Daten aus?" und haben dann gemerkt: Aha, das geht im Extremfall damit einher, ob Leute sich umbringen, ob sie lächeln, ob ihre Freunde sie als glücklich bezeichnen. Diese Daten scheinen also schon was auszusagen.

Dann haben Sie recht, acht ist nicht doppelt so viel wie vier – das ist der zweite Aspekt. Aber ganz, ganz viele Untersuchungen zeigen: Im Wesentlichen kommen dieselben Ergebnisse dabei heraus, selbst wenn man es mit komplizierteren Methoden berechnet, die das so nicht in Rechnung stellen.

Was man drittens macht: Man guckt sich nicht an, hat der eine Acht oder hat der andere Vier. Sondern wenn der eine immer acht angibt, guckt man sich an, ob derjenige durch eine bestimmte Entscheidung auf neun kommt. Wenn der andere immer vier angibt, dann guckt man sich an, ob diese Person durch eine bestimmte Entscheidung auf fünf kommt. Man rechnet die Mittelwerte raus und guckt sich viel mehr an, ob Leute zufriedener oder unzufriedener sind, egal was ihr Durchschnittslevel ist, als sie normalerweise sind.

Die Verlässlichkeit von Langzeitdaten

Rabhansl: Eine letzte Frage zur Systematik, zur Methodik. Den Datenschatz haben Sie geerbt vom DIW, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die haben über Jahrzehnte ein Panel befragt. Das heißt, da steckt zum einen drin: Die Fragen sind durch eine Brille der, - ich glaube, 80er hat das angefangen -, und es ist die Brille eines Wirtschaftsforschungsinstituts. Gibt es da etwas, was Sie vielleicht anders gefragt hätten oder was, wenn Sie das weitermachen würden, anders gerne fragen würden?

Schröder: Ja, es gibt immer so Kleinigkeiten. Also generell muss man dem DIW da wirklich sehr danken. Wir haben da anerkannterweise die allerbeste Panel-Untersuchung weltweit. Es gibt zehn Länder, die haben das so. Und man ist sich wirklich ziemlich einig, dass Deutschland so mit die beste hat.

Es gibt so ein paar Sachen, zum Beispiel: Man hätte stärker Geschlechterrollenbilder abfragen können. Dann hätte man sich anschauen können: Geht das auch Leuten so, die sehr egalitäre Verständnisse haben, dass selbst da die Frauen unzufrieden sind, wenn sie mehr verdienen als der Mann? Da gibt es immer so Kleinigkeiten.

Und jetzt in der Covid-Krise war es ein bisschen schade, da habe ich nämlich schon Daten aus England, die ich auswerten kann, und das DIW hat auch schon Daten, aber die geben sie bisher noch nicht raus, sodass man für Deutschland noch nicht sagen kann, wie sich die Lebenszufriedenheit in der Krise entwickelt hat. Aber insgesamt macht das DIW wirklich Superarbeit.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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