Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ben Becker
"Ich bin kein Messias"

Ben Becker, einst das enfant terrible der Schauspielszene, ist wieder auf Tour: mit seiner Performance "Ich, Judas – Einer von Euch wird mich verraten". Der Künstler, der sich selbst als Kommunist bezeichnet, füllt Hallen und Theater - aber auch Kirchen, die an Sonntagen nicht annähernd so voll sind.

Von Bernd Sobolla | 03.11.2016
    Der deutsche Schauspieler und Sänger Ben Becker. Mit seiner Performance "Ich, Judas" tourt er vom 21. Oktober 2016 bis zum 9. April 2017 durch Deutschland.
    Der deutsche Schauspieler und Sänger Ben Becker. Mit seiner Performance "Ich, Judas" tourt er bis zum 9. April 2017 durch Deutschland. (Deutschlandradio / Bernd Sobolla)
    "Verrat? Das ist doch Aberwitz. Was war denn schon zu verraten? Frage ich Euch. Sein Aufenthaltsort? Der Garten von Gethsemane? Aber den kannten doch Tausende. Und die Geheimpolizei und die römischen Spitzel, die seit Jahr und Tag seine Schritte verfolgten, wussten erst recht Bescheid. Oder glaubt ihr vielleicht, ich hätte den Behörden sein großes Geheimnis verraten, dass er Gottes Sohn sei?"
    Es begann 2015, als Ben Becker dieses Hörbuch produzierte: "Die Verteidigungsrede des Judas Ischariot". Ein Text, den der Schriftsteller, Christ und Pazifist Walter Jens 1976 geschrieben hatte. Für Becker war es zunächst nur eine Auftragsarbeit - die er souverän meisterte. Vielleicht auch, weil er bereits zuvor - 2008 - mit seiner Performance "Die Bibel" genügend Erfahrung mit religiösen Texten auf der Bühne gesammelt hatte.
    "Ich habe die Bibel gemacht, weil mich das interessiert hat. Weil ich aus einem 68er Haushalt komme, in einer Künstlerfamilie groß geworden bin, und weil die Bibel da nie eine große Rolle gespielt hat. Man tritt an, weil man neugierig auf etwas ist, weil man eventuell Neuland entdecken möchte."
    "Ich bin auch kein Priester"
    Und doch will Becker nicht in jene Schublade gesteckt werden, auf der steht: "Der Mann, der immer religiöse Themen macht".
    "Ich habe mich jetzt da nicht dran vernarrt. Ich bin ja kein Messias. Ich bin auch kein Priester. Aber ich finde da durchaus Texte oder Themen, die mich wahnsinnig interessieren, so dass ich sage: Ich möchte die über die Bühne bringen. Oder – in diesem Falle "Judas" – in einer Kirche vorlesen oder vorführen."
    Der Schauspieler Ben Becker steht am 18.11.2015 in Berlin im Berliner Dom bei den Proben zu dem Stück "Ich, Judas - Einer unter euch wird mich verraten!" vor dem Altar.
    Ben Becker im Berliner Dom bei den Proben zu dem Stück "Ich, Judas - Einer unter euch wird mich verraten!". (picture alliance / ZB / Britta Pedersen)
    "Wer bereit ist, den Teufel zu spielen, darf nicht, wenn es ernst wird, darauf hoffen, den Engel herauskehren zu können."
    "Es gibt auch Leute, die sagen: "Wann kommen Sie denn mit Ihrer Show?" Wo ich immer sage: "Das ist keine Show, sondern das ist ein Vortrag oder eine Auseinandersetzung mit einem Text von einem wunderbaren großen Rhetoriker namens Walter Jens."
    Wobei Walter Jens den Judas nicht als Verräter darstellt, sondern als gehorsamen Jünger, der die Rolle des Verräters nur spielt, um den göttlichen Plan zu erfüllen und Jesus zum Erlöser zu machen.
    "Oh, Herr! Wenn Du es denn wirklich gesagt hast, bedachtest Du auch, was es bedeutet für einen wie mich, einen ganz gewöhnlichen Menschen, nicht aufschreien zu dürfen: Halt ein! Ich bitte Dich, höre auf, ich kann nicht mehr!"
    Viele Aufführungen ausverkauft
    Ben Becker geht jetzt wieder auf Tour, weil die Nachfrage so groß ist. Ein Erfolg, der durchaus überrascht. Denn während sich vielerorts nur wenige Gläubige in die sonntäglichen Gottesdienste schleppen, sind die meisten Aufführungen von "Ich, Judas" in den Kirchen bereits ausverkauft. Darunter Auftritte im Hamburger Michel oder im Berliner Dom vor über 1.000 Besuchern. Wobei die Karten bis zu 45 Euro kosten. Mag sein, dass die intellektuelle Schärfe des Romans von Walter Jens in einer Performance-Lesung seine ideale Form findet. Irgendwie, so scheint es, schafft es Ben Becker, den Text mit einem Leben zu erfüllen, den der reine Text nicht bietet. Denn der Verlag verkauft nur rund 120 Bücher pro Jahr.
    "Ich liebe mein Publikum, und ich kann mittlerweile ungefähr einschätzen, wer kommt. Und die wissen auch, dass bei mir eine ernste Auseinandersetzung mit Literatur stattfindet. Wie Sie wissen, mache ich ja nicht so viel Fernsehen, weil ich keine Lust habe, bei RTL 2 mich vom 7er BMW überfahren zu lassen. Oder zu schreien: "Halt! Stehen bleiben, oder ich schieße!" Insofern führe ich ja gerne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Literatur, mit Publikum, mit Texten, mit unserem hiesigen Dasein. Und das wissen die Leute."
    Und so wie Judas nach Walter Jens nur scheinbar zum größten Verräter der Weltgeschichte wurde.
    "Eine kleine Bewegung meines Kopfes, ein Schütteln statt eines Nickens. Und Gottes Plan wäre, klipp, ein Nichts."
    "Liebenswerte Charaktere - die mag ich unheimlich gerne"
    So ist Ben Becker vielleicht ja nur scheinbar das 'enfant terrible' der deutschen Schauspielszene.
    "Liebenswerte Charaktere mag ich unheimlich gerne. Werden mir leider zu selten angetragen. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich unheimlich Angst vor Obrigkeit oder so habe, vor Befehlston, vor Aggressivität, vor Bösartigkeit. Also, ich kann unheimlich gut so tun, als wäre ich das größte Schwein, was rumrennt. Das bin ich aber nicht. Letztlich näher und eher und mehr an mir dran sind die leicht Naiven, Feinfühligeren. Das ist so, weil: Das bin mehr ich."
    Zudem bereitet sich Ben Becker auf seine Rollen und Inszenierungen immer akribisch wie ein Schuljunge vor - auch auf die des Judas.
    "Ich male ja meine Bühnenbilder und Kostüme und so, mache das Zuhause wie ein kleiner Junge, so mit Wachsmalstiften. Also immer schon. Und das ist dann schon so, dass man sich in ein Abenteuer begibt und ein Wagnis stattfindet, allein dadurch, dass man sich so einen Tisch bauen lässt, wie ich ihn da habe. Es ist ein schöner Vortrag, eine schöne Vorstellung geworden, die zum Nachdenken anregt."
    "Hilf mir, Herr! Erbarme Dich meiner! Gib mir ein Zeichen, das sagt: "Du hast Recht getan, Judas!""
    "Ich bin immer noch Kommunist"
    Becker hat auf jeden Fall Recht getan – und tut es wieder. Dass die Massen in seine Performance strömen, ist ein sicheres Indiz dafür. Natürlich freut sich der Schauspieler über die voll besetzten Kirchen und Theater, in denen er jetzt wieder auftreten wird. Vielleicht auch, weil er sich als bekennender Kommunist mit den Lehren des Christentums, die von Gleichheit und Nächstenliebe handeln, durchaus identifizieren kann.
    "Ja. Ich bin immer noch Kommunist. Und zwar nicht vom ehemals real existierenden, der DDR–Scheiß da, sondern ich rede da auch gerne von einer Utopie mittlerweile. Und es gab so etwas wie einen Ur-Kommunismus. Und das finde ich in der christlichen Lehre wieder. Wenn man einer katholischen Messe beiwohnt, und am Ende stehen Leute auf und geben sich wirklich herzlichst die Hände und sagen: "Friede sei mit dir, Bruder!", hat das für mich mit Ur-Kommunismus zu tun oder mit dem Gedanken des Kommunismus. Alle Menschen werden Brüder. Ich gebe zu, Frau Merkel würde zu mir sagen: "Herr Becker, das ist aber naiv!" Dann würde ich sagen: "Frau Merkel, ich bin aber gerne naiv. Deswegen bin ich Schauspieler und Künstler geworden – und nicht in die Politik gegangen."