Markus Gasser: "Launen der Liebe"

Was nützt die Liebe in Romanen

Ein Mann und eine Frau stehen nebeneinander und schauen glücklich in die Ferne
Bis der Tod sie schied: der Dichter Ted Hughes und die Dichterin Sylvia Plath, die sich das Leben 1963 nahm © Granata Images/imago
Markus Gasser im Gespräch mit Andrea Gerk · 25.01.2019
In seinem Werk "Launen der Liebe" erzählt Markus Gasser von Literaten, die wie Sylvia Plath und Ted Hughes über ihre Liebesgeschichten schrieben. Ihn fasziniere, wie sie das machten. Lügen sie die Wirklichkeit schön oder schreiben sie, was war?
Andrea Gerk: Den "Launen der Liebe" widmet sich der österreichische Literaturwissenschaftler und Autor Markus Gasser in seinem neuen Buch, das hat den Untertitel "Wahre Geschichten von Büchern und Leidenschaften", und wir erleben darin 15 bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller in tiefe, manchmal wilde Leidenschaften verstrickt, von Sylvia Plath über Bettina von Arnim bis hin zu García Márquez oder Robert Browning. Es sind Geschichten über die Liebe, nicht zuletzt über die Liebe zum Schreiben und zur Literatur. Davon erzählt Markus Gasser auch in seinen früheren Büchern und auf seinem Buchkanal "Literatur ist alles" auf YouTube. Jetzt bin ich mit ihm in einem Studio an seinem Wohnort in Zürich verbunden. Guten Morgen, Herr Gasser!
Markus Gasser Guten Morgen, Frau Gerk!

"Etwas fing sofort Feuer in mir"

Gerk: Sie erzählen ja lauter ungewöhnliche und, wie ich fand, wirklich packende Liebesgeschichten in diesem Buch. Eigentlich weiß ich gar nicht, welche ich da rausnehmen soll. Zum Beispiel Bettina von Arnim, die den viel älteren Goethe anschmachtet oder das erträumte Liebesleben von John Updike beziehungsweise seiner Figur Rabbit Angstrom oder Robert Browning und seine Frau Elizabeth Barrett, die in ewiger Liebe glühend dahinschied. Was sind denn das für Paare? Warum haben Sie gerade diese ausgesucht?
Gasser: Ausgegangen bin ich von der Liebesgeschichte des Dichterpaars Plath, Hughes, die Sie vorhin schon erwähnt haben. Ich bin vor zwei, drei Jahren darauf gestoßen, und etwas fing sofort Feuer in mir. Die Geschichte kam mir wie ein Kriminalfall, wie ein Thriller vor, und da ich ein großer Graham-Greene-Fan bin und Thriller sehr gerne habe, auch die von Dennis Lehane, war ich sofort angestachelt. Die Geschichte ist ja die, wie allgemein bekannt hat Sylvia Plath sich umgebracht, und auf den ersten flüchtigen Blick schien ihr untreuer Ehemann Ted Hughes dafür verantwortlich zu sein. Er hatte nach ihrem Suizid über Jahrzehnte bis zu seinem eigenen Tod an einem Zyklus von Gedichten gearbeitet, den berüchtigten und berühmten "Birthday Letters" und sich darin selber schuldig und zugleich auch wieder freigesprochen. Dann wieder kam es mir so vor, als wäre Syliva Plath die, die sich selbst in den Selbstmord getrieben hätte. Diese große Liebesgeschichte, die musste ich unbedingt erzählen, und dann drängten sich andere Geschichten von Schriftstellern herein, die sich und ihre Liebesgeschichten in Literatur verwandelt haben.
Gerk: Und Sie erzählen das auch immer so, tatsächlich hat das was Krimihaftes. Wie gesagt, ich fand es wirklich packend, und das hat gar nichts von so einem literaturwissenschaftlichen Essay, sondern es sind eigentlich kleine Romane, die Sie da geschrieben haben. Das wirkliche Liebesleben kippt immer in das Erzählte dieser Schriftsteller. War das denn für Sie der Dreh- und Angelpunkt, der auch all diese Paare irgendwie verbindet?
Gasser: Die Idee war die der Verwandlung. Es ging immer darum, wie haben Schriftsteller ihre Liebesgeschichten erlebt, glücklich oder unglücklich, also in dem Fall erlitten, und wie haben Sie sie dann in Literatur umgemünzt und verwandelt. Haben sie sie umgelogen oder haben sie die Wahrheit erzählt. Das war eigentlich eine dieser Grundfragen, die auch die Leserinnen und Leser interessieren werden. Zuerst einmal waren sie konfrontiert mit der realen Liebesgeschichte, und dann sehen die Leserinnen und Leser in meinem Buch zu, wie der Schriftsteller das … am Schreibtisch manchmal kann man dem zusehen, wie sie das dann verwandeln, umarbeiten, zum Beispiel E. M. Forster, der britische Schriftsteller, berühmte "Wiedersehen in Howard’s End" und "Zimmer mit Aussicht", wie er als heimlicher Homosexueller in einer Welt leben muss in Großbritannien, wo die Homosexualität ja unter Strafe stand, wie er ewig große Sehnsucht nach der Liebe seines Lebens hatte, eine unerwiderte Liebe erlebte, und wie er sich dieses Verbotene, dieses Unerwiderte dann erfüllt hat in seinem Roman "Maurice", den er bis zu seinem Tod nicht hat veröffentlichen lassen. Da können wir dann richtig zusehen, wie er schreibt, diese Liebesszene, die er selber nie erlebt hat – er hatte selber, wenn ich das im Radio so offen sagen kann, keinen Sex –, wie er diesen Liebesakt beschreiben muss und kriegt märchenschöne Zeilen hin. Dann streicht er das wieder aus, und dann nimmt er es wieder rein, schreibt sie wieder um und so weiter. Das kann man also mitverfolgen. Dann, wie das eben dann doch noch am Schluss in seinem Leben, nachdem er "Maurice" vollendet hat, dann doch noch eine schöne Liebesgeschichte erlebt. Das geht auch bis in unsere Gegenwart rein.

"Jeder will wissen, wie ein Autor durchs Leben kam"

Gerk: Oder Sie schreiben auch mal, dass es quasi das Gegenteil dessen ist, was einem selbst widerfahren oder zugefallen ist, schreiben Sie bei George Eliot über ihren Roman "Middlemarch", indem Sie also quasi sagen, da hat sie sich so in die Figuren hineinversetzt, und das ist eigentlich aus Mitgefühl zu anderen, denen es nicht so wohl ergangen ist. Ich dachte immer, sowas darf man als Literaturwissenschaftler gar nicht, so diese engen Verbindungen zwischen Leben und Werk ziehen.
Gasser: Ja, das ist eine Grund… Wie Marcel Proust bin ich eigentlich ein Gegner davon, wenn man in literarische Werke Biografien hineinliest oder umgekehrt aus den literarischen Werken die Biografien herausliest, aber das war ein Auswahlkriterium bei all diesen Paaren, die mehr oder weniger betont haben, dass ihre Werke autobiografisch sind. Das war also eine Grundvoraussetzung, sonst hätte ich das nie gemacht. Da kommt natürlich hinzu, denken Sie zum Beispiel mal an Hemingway, als man ihn fragte, schreiben Sie eigentlich auch über sich, und er darauf geantwortet hat, of course, as a writer I know anyone better, also so ungefähr, so wie jeder andere kennt ein Schriftsteller sich am besten. Ich glaube, dass das am Schluss für jeden Autor gilt. Also auch ein John Updike, der ja immer wieder gesagt hat, nein, nein, das hat mit meinem Leben nichts zu tun, hat sich ein Alter Ego geschaffen wie den von Ihnen schon genannten Harry Rabbit Angstrom, hat ihm praktisch sein ganzes Leben aufgehalst, das ganze Elend des Ehelebens aufgehalst und hat ihn sogar noch an seiner statt dann sterben lassen. Also das wird immer eine Debatte sein, ob man das darf, soll oder was auch immer. Schauen Sie, wir tun das automatisch. Sie tragen doch immer als Leserin, Leser einen Wissen vom Autor hinein in das, was Sie lesen. Wenn Sie Tolstoys, nehmen wir mal an, "Anna Karenina" lesen und von Ljewin lesen, dann denken Sie an Tolstoy – passiert Ihnen automatisch. Außerdem will jeder von uns wissen, wie ein Autor so durch das Leben gekommen ist, wie wir alle.
Gerk: Das ist ja auch ein Buch über die Leidenschaft zum Schreiben und zur Literatur. Wie ist denn das mit Ihrer eigenen Literaturleidenschaft? Sie unterrichten ja nicht nur. Sie haben auch verschiedene Bücher über das Lesen und über die Literatur geschrieben. Sie haben auch einen YouTube-Kanal, auf dem Sie sehr engagiert Bücher vorstellen. Ist Ihre Literatur lieber auch launisch, Herr Gasser?
Gasser: Nein. In keiner Art und Weise.
Gerk: Die ist stetig.
Gasser: Die ist stetig. Also es gibt überhaupt keine Laune. Das klingt vielleicht gelogen, ist es aber überhaupt nicht. Also seit meinem elften Lebensjahr, seit ich "Die Blechtrommel" von Günter Grass gelesen habe, das eine große Initialzündung war, bin ich einfach ein leidenschaftlicher Leser, das ist mein Leben. Lesen und Schreiben sind für mich ein und dasselbe. Nein, da hat sich nie was geändert. Das betrifft ja auch meinen YouTube-Kanal.
Gerk: Wie wählen Sie denn da aus, was Sie da vorstellen auf Ihrem Kanal?
Gasser: Also ich kann das nur so beantworten, dass ich sage, warum ich den Kanal gemacht habe und mache. Das erste mal grundsätzlich so: Es ist so, ich bin Literaturwissenschaftler, ich bin habilitiert, ein Universitätsdozent an der Universität Innsbruck, und ich habe mir gedacht, ich wollte meine Begeisterung jenseits des Betriebsjargons, der in den Literaturwissenschaften gang und gäbe ist, auf einen dennoch höheren Niveau meine Begeisterung mit einem YouTube-Publikum teilen, auf einem hohen Niveau, das auch weit über das Niveau anderer YouTube-Kanäle hinausgeht, wenn ich das so sagen kann. Es zeigte sich dann, dass es eine Riesencommunity da draußen gibt an Lesern, die leidenschaftlich über die Literatur diskutieren wollen, bis zu 13-Jährigen, die selbst Romane schreiben und über meine Videos dazu kommen, ihre Romane weiterzuschreiben. Das war der eine Punkt. Der andere Punkt ist der, dass ich empört war über die eliminatorische Literaturkritik, das heißt, über eine Kritik, die sich hauptsächlich auf Verrisse spezialisiert. Das Wichtigste für mich ist ganz einfach, ich bin gegen dieses Verriss-Entertainment und wollte das nicht und will das nicht. Der Grundsatz von YouTube, also von "Literatur ist alles", war für mich, man informiere sich über das Werk, das man sozusagen rezensieren soll, so gründlich wie möglich, aus dem Geist, aus dem Inneren des Werks heraus, und man schweige dann über das Schöpferische, wenn man da nur Unschöpferisches, nur zu Zerstörerisches zu sagen hat. Ich gehe nur nach Enthusiasmus, nur nach Begeisterung vor. Was mich begeistert, darüber spreche ich.
Gerk: Und da kann man sich anstecken lassen von Ihnen, Herr Gasser, auf Ihrem YouTube-Kanal, aber auch durch Ihr tolles Buch. Vielen Dank für dieses Gespräch!
Gasser: Ich danke Ihnen!
Gerk: Und das Buch, über das wir gesprochen haben, das erscheint am Montag, dann ist es in den Buchläden erhältlich unter dem Titel "Die Launen der Liebe: Wahre Geschichten von Büchern und Leidenschaften", erschienen beim Hanser Verlag. Es hat 320 Seiten und kostet 22 Euro.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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