Maritimer Bildhauer

Von Michael Hollenbach · 20.12.2005
Beim Wort "Galionsfigur" fällt einem oft zuerst der altgediente Parteivorsitzende oder Unternehmenschef ein. Claus Hartmann will mit seiner Arbeit dafür sorgen, dass sich das ändert. Er ist der weltweit einzige Galionsfigurenschnitzer und lebt auf der Weserinsel Harriersand.
Seicht plätschern die Wellen am Weserstrand der Flussinsel Harriersand. Nur wenige Meter vom Strand entfernt steht Claus Hartmann. Trotz der Kälte trägt der 48-Jährige nur ein T-Shirt, eine Lederweste und eine Jeans. Bei dieser Arbeit, erzählt er, werde ihm nie kalt. In der Hand hält er eine Kettensäge.

"Hier haben wir jetzt eine Galionsfigur, die schon relativ weit fortgeschritten ist, so etwa einssechzig groß, aus einem ganzen Eichenholzstamm. Der hatte mal einen Durchmesser von etwa siebzig Zentimetern und stammt hier aus der Gegend und wir haben jetzt den Sommer an dieser Figur gearbeitet, man sieht hier schön die Risse. Gestalt: eine Frau, schöne lange wehende Haare, hält eine Harfe in der Hand."

Die Harfe kommt nicht von ungefähr, denn die Galionsfigur ist für den Drei-Master "Santa Barbara Anna" bestimmt, das Segelschiff von Joey Kelly, Mitglied der aus Irland stammenden Kelly-Family.

""Die soll mal richtig Saiten bekommen, diese Harfe, also bzw. nicht Saiten sondern Stahlbänder also etwa, das ein breiterer Windwiderstand entsteht und die auch tatsächlich zum Klingen gebracht wird durch den Wind."

Claus Hartmann und seine Frau Birgit sind Galionsfigurenschnitzer und maritime Bildhauer, weltweit die letzten in diesem Gewerbe. Doch erst seit zehn Jahren widmet er sich intensiv dem Schnitzen. Davor war Hartmann vor allem als Hausmann und Vater aktiv, hat dann eine Ausbildung zum Heilerzieher gemacht und später auch noch Medizin studiert. Doch nun hat er seine Profession gefunden. Claus Hartmann zieht seine Arbeitshandschuhe aus und streicht sich über seinen Drei-Tage-Bart. Seine blauen Augen leuchten, wenn er von den alten Galionsfiguren erzählt, mit denen er zu Hause groß geworden ist:

"Das sind Figuren, die mein Urgroßvater von abgewrackten Schiffen geborgen hat, (...) ich denke, (...) dass er den Niedergang der Segelschiffe zwischen 1900 und 1920 sehr intensiv auch miterlebt hat. Er ist Segelschiffkapitän gewesen, und hat die Veränderungen mitbekommen, und die ganze Dramatik, wie sich dieser Beruf auch verändert letztendlich, und ich denke, er hat diese Segelschiffzeit auch direkt mit den Galionsfiguren verbunden."

Sein Vater, ein Architekt, hat dann die historischen Galionsfiguren zu Hause restauriert:

"Das sind sehr unheimliche Gestalten und auch wieder quietschebunte Figuren, das hat Faszination und Thrill zugleich, und das habe ich nie vergessen, dann die maritime Ader, Sozialromantiker und ich musste während des Studiums Geld verdienen, (...) und habe gedacht: Galionsfiguren schnitzen, das könnte es sein, macht keiner, und so hat das begonnen."
Der Mann aus dem Weserstädtchen Elsfleth leidet nicht an mangelndem Selbstbewusstsein. Als Student erfuhr er von dem Segelschiff "Lili Marleen", das damals gerade in einer Weserwerft gebaut wurde. Ohne große handwerkliche Erfahrung von Galionsfiguren hat er sich an die Reeder gewandt:

"Die habe ich einfach angesprochen und gesagt: wollt ihr eine haben, ich bin hier der Galionsfigurenschnitzer, und dann ging das relativ flott.

Das ist eigentlich eine Epoche, die ihre Hochzeit im 19. Jahrhundert und davor hatte, und in der nüchternen Seefahrt und im Verschwinden der Segelschiffe (,...) ist dann auch die Galionsfigur abhanden gekommen, und dieser ehemals sehr verbreitete Berufsstand Schiffsbildhauer und Vergolder – gab es in jedem Hafen – und das ist alles dahin gegangen.

Menschen sind Landlebewesen, gehen die aufs Wasser, ist es unsicher, und was tat man in früheren Zeiten, wenn man unsicher ist, man ruft die Götter an oder die Geister und bittet um Hilfe und Unterstützung und in dieser Ebene entstanden Galionsfiguren, Bemalung von Schiffen, das Auge bei den Griechen auf den Schiffen."

Die Galionsfiguren sehen oft geradezu klassisch aus: die üppige Frauengestalt mit den langen Haaren, die Meerjungfrau. Manch ein Kunstkritiker mag da die Nase rümpfen und die maritime Bildhauerkunst als Kitsch abtun.

"Wir müssen uns gegen nichts wehren. (..) ich glaube, wenn man das als Künstler anfängt, solche Dinge in seine Kreativität mit einzunehmen, dann haben wir schon verloren."

Bei den Preisen herrscht Verschwiegenheit, doch die meisten Galionsfiguren dürften deutlich mehr als 10.000 Euro kosten. Mittlerweile haben die Künstler vom Harriersand rund 60 Skulpturen produziert - unter anderem stolze Galionsfiguren, die unterm Bugspriet von Großseglern wie der Gorch Fock, der Royal Clipper oder der Fridtjof Nansen thronen, aber auch maritime Skulpturen für das Schiffsinterieur.

In den vergangenen Jahren kam neue Kundschaft dazu: die scheue Szene der Mega-Yachtbesitzer. Und bei dieser Klientel, die bei der Bezahlung schon mal etwas großzügiger sind, kann Claus Hartmann mit neuen Materialien experimentieren. So ist ihm mit einem neuen Verfahren die detailgenaue Umformung einer Stahlguss-Figur gelungen. Ein sehr aufwändigen Verfahren, das sich aber lohnt: wiegt der Guss aus Edelstahl 400 Kilo und die Holzskulptur noch 90, so bringt die Figur aus Stahlblechplatten nur 30 Kilo auf die Waage.

"Wir haben dünne Stahlblechplatten (..) gesprengt, mit Plastiksprengstoff (...) dadurch knallt die Blechplatte in die negative Form, (...) und diese einzelnen Teile der Skulptur, die wurden dann wieder geschweißt."

Und dadurch entsteht die leichte Skulptur aus Stahlblech. Aber bevor die ersten Meerjungfrauen und Klabautermänner aus Edelstahl ausgeliefert werden, muss erst noch die Galionsfigur für die Santa Barbara Anna fertig werden. Joey Kelly wartet schon.
Der Albatros, die Galionsfigur der "Gorch Fock"
Der Albatros, die Galionsfigur der "Gorch Fock"© AP Archiv