Mario Thaler: Plattenfirmen müssen Dienstleister werden

Mario Thaler im Gespräch mit Holger Hettinger · 12.08.2008
Nach Ansicht des Musikproduzenten Mario Thaler muss die Musikindustrie umdenken: Da der reine Tonträgerhandel nicht mehr profitabel sei, müssten die Plattenfirmen nicht nur Musikproduktion, sondern Merchandising und Konzertmanagement aus einer Hand anbieten. Zudem glaubt Thaler, dass die Zeit großer Studioproduktionen vorüber sei. Man könne auch im Heimstudio mit entsprechender Technik hervorragende Ergebnisse erzielen.
Joachim Scholl: Früher war das nur so: Um eine Platte aufzunehmen, musste eine Band in ein voll ausgestattetes Studio gehen. Nur hier war die notwendige Technik für eine professionelles Produkt. Um so gefragter waren die Studios und etliche sind mit den Jahrzehnten zur Legende geworden, auch in Deutschland. Das uphon-Studio im kleinen oberbayerischen Weilheim war so eins. Hier entstanden etwa die Aufnahmen von der lokalen Band "The Notwist", deren Sound mittlerweile längst international Kultstatus hat. Produziert hat Mario Thaler in seinem uphon-Studio. Doch jetzt hat es die Schotten erstmal dicht gemacht. Mario Thaler ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

Mario Thaler: Guten Morgen!

Scholl: Was waren genau die Gründe für diesen Schritt?

Thaler: Der Hauptgrund war sicherlich, dass mein Mietvertrag ausgelaufen ist. Es ist ein gewerblicher Mietvertrag über zehn Jahre, der war zu Ende. Ich hätte zwar verlängern können, aber die wirtschaftliche Lage hat es eigentlich nicht erlaubt. Und ich hatte auch eigentlich keine Lust mehr, weil ich wollte auch nie Studiobetreiber sein, sondern das war eher, ich musste ein Studiobetreiber werden, um zuhause, quasi da, wo ich herkomme, überhaupt arbeiten zu können.

Scholl: Sie sagen wirtschaftliche Gründe. Sind das genau diese Gründe, unter der die Industrie momentan leidet? Die Leute brauchen keine Studios mehr, weil sie zu Hause produzieren. Die Leute kaufen keine CDs mehr, weil sie sie aus dem Netz beziehen?

Thaler: Ja, vereinfacht dargestellt kann man das schon so sagen.

Scholl: Ist es denn vom Ergebnis inzwischen wirklich dasselbe, wenn man zu Hause mit einem Softwareprogramm Musik produziert, wie in einem großen kompletten Studio?

Thaler: Nö.

Scholl: Nö ...

Thaler: Die Produktion ist dann so der erste Schritt, sagen wir mal, die Aufnahme und der Mix. Aber dann gab es ja auch unlängst so eine größere Diskussion über das Masterring, sprich der technische Schritt, der das dann auf die CD bringt, wird heute sehr viel mit Dynamikeinschränkung gearbeitet, was dem Klang überhaupt nicht zuträglich ist. Dieser Schritt plus, dann hören die Leute es auf den schlechtesten Kopfhörern, zum Beispiel iPods, die wirklich echt schlecht klingen, alles schlechte MP3. Dann ist es irgendwann auch egal. Die Leute haben sich selbst ... so eine Gegenentwicklung vom HiFi-Boom in den 70er-Jahren.

Scholl: Ja, das ist ja ganz interessant. Man hört, wenn man manchmal in der U-Bahn sitzt und die Leute hören über Handys oder diese quäkenden kleinen Geräte, denkt man immer, das hört sich so grauenhaft an. Und früher, da hat man irgendwie noch auf den Klirrfaktor gehört oder so.

Thaler: Genau, genau.

Scholl: Aber das heißt praktisch auch, dass so eine veränderte Konsumentenhaltung auch, die sich dann auch auf die Produzentenhaltung niederschlägt, dass die Bands da gar nicht mehr aufpassen? Das bringt genau die professionellen Studios in die Bedrängnis, in der sie jetzt stecken?

Thaler: Ja, das könnte man schon so sagen.

Scholl: Nun sagt man aber doch gerade auch, zum Beispiel dass ein Produzent ganz entscheidend ist für eine Aufnahme, den Stil einer Platte mitbringt mit seinen Ideen und Tüfteleien. Verschwindet mit den Studios nicht auch diese Qualität?

Thaler: Ich glaube nicht. Sagen wir mal, der Bedarf an großen Studios ist mindestens gedeckt, vielleicht sind immer noch ein bisschen zu viel große Studios da, es werden vielleicht noch mal eins, zwei weniger werden. Und viele Produzenten, so wie ich auch, man arbeitet halt modular, dass man das große Studio wirklich für die kurzen Teilabschnitte einer gesamten Produktion belegt, wo man es tatsächlich braucht, zum Beispiel Aufnahme von Streichern oder Aufnahme von Schlagzeug oder so was, was wirklich ein Bruchteil ist der gesamten Aufnahme. Und den Rest kann man auch "mit kleinerem Besteck", quasi in Anführungszeichen, überall eigentlich machen, was auch ein bisschen an der Technik liegt.

Auch heutzutage kann man wirklich im Computer mit hochwertigen Vorverstärkern sicherlich hervorragende Ergebnisse erzielen, wenn man weiß, wie man es bedient und so.

Scholl: Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? Wird der Anteil sozusagen selbst gebastelter Musik bald überwiegen?

Thaler: Der überwiegt ja schon längst, rein, was veröffentlicht wird. Das Bild, dass die Leute weniger ins Studio gehen, liegt auch daran, dass immer mehr Leute Musik machen im Vergleich zu früher. Eben, weil wir laden Computer und drücken ein bisschen auf den Knöpfen rum und verschicken ein Demo.

Scholl: Ja, ich meine, früher, und da könnte man ja auch sagen, das hat die Musik auch ein bisschen demokratisiert. Ich meine, früher war es natürlich irgendwie so ein schmaler Tunnel. Man hat ein Demo produziert und schickte das dann an verschiedene Plattenfirmen, dass die erst mal gehört wurden oder dass man dann eingeladen wurde, das war ja dann meistens schon ein großer Schritt?

Thaler: Ja, sicherlich, und ich bin auch ein Freund der Demokratisierung der Musik. Ich finde, das ist gut so, wie es ist.

Scholl: Nun hat man gerade Ihrem Studio, Mario Thaler, in Weilheim so gewissermaßen kulturhistorische Weihen verliehen. Man sagt, bei Ihnen wäre so über die Jahre eine eigenständige Musikästhetik entstanden, mit so Bands wie The Notwist oder Console. Wie haben Sie das erlebt eigentlich? War das so eine Atmosphäre bei Ihnen?

Thaler: Wenn man da drinsteckt, bewusst war ich mir dessen nicht. Aber zurückblickend, wenn man anschaut, ist da sicherlich was Eigenes entstanden. Aber wir sind nicht losgezogen, um was Eigenes zu machen, sondern wir wollten halt unser Ding irgendwie machen.

Scholl: Und daraus wurde dann sozusagen das Ding in Weilheim?

Thaler: Könnte sein, ja.

Scholl: Vorhin haben Sie so gesagt, na ja, ich hatte sowieso eigentlich nie Lust, Produzent zu werden, sondern ich war es dann halt eigentlich, weil man in Weilheim nichts anderes machen konnte?

Thaler: Nein, ich hatte keine Lust, Studiobetreiber zu werden. Das musste ich. Produzent schon immer oder halt Musik, klar. Mit dem Studiobetreiber musste halt sein, man brauchte halt ein Studio. Damals ging es ja noch gar nicht anders quasi, um Musik überhaupt machen zu können.

Scholl: Was hat denn das eigentlich so gekostet, um mal so eine Dimension aufzumachen? Was kostet denn so ein Studio?

Thaler: Ach Gott! Ich würde sagen im mittleren sechsstelligen Bereich.

Scholl: Spannen wir mal den größeren Rahmen auf, Herr Thaler. Dass die Studios jetzt ihre einzige Relevanz verlieren, ist ja Teil dieser Revolution, die wir jetzt schon geschildert haben, die durch das Internet und Digitalisierung entstanden ist. Die großen Labels haben alle zu kämpfen. In der letzten Woche hat der Konzern Bertelsmann seinen Ausstieg aus dem traditionellen Musikgeschäft verkündet und seine Anteile an den Partner Sony verkauft. Das ist natürlich ein mächtiges Zeichen. Ist die Zeit der Majors, wie man sie so in der Branche nennt, jetzt wirklich vorbei?

Thaler: Ich glaube nicht. Es wird immer wieder Künstler geben, die es verdient haben oder die weltweit quasi funktionieren können. Und dazu braucht man -"YouTube" oder Filesharing hin oder her - dazu braucht man schon eine große Firma, die auch den Künstler bekannt macht. Und der reine Tonträgerhandel wird wahrscheinlich auch immer kleiner sein.

Von dem Dienstleistungsangebot dieser großen Firma, wie man ja auch in Amerika sieht, da geht es viel, dass auch quasi live die ganzen Tourneen, Merchandising, dass das alles in der Hand einer Firma ist. Das Tonträgergeschäft läuft dann noch neben zu, die werden auch ein größeres Dienstleistungsspektrum anbieten müssen. Der reine Tonträgerhandel und -vertrieb wird vielleicht nicht mehr reichen, um profitabel zu sein.

Scholl: Das heißt, die Firmen müssen sich eigentlich dann mehr zu Dienstleistungsfirmen dann entwickeln und nicht mehr zu reinen Produktions- und Verkaufsfirmen, so wie es praktisch traditionell eigentlich immer war, nicht?

Thaler: Ja, teilweise ist es auch schon so. Manche Plattenfirmen machen ja nur Bandübernahmeverträge. Das heißt, die sind auch im Produktionsprozess und auch bei der Finanzierung der Produktion gar nicht beteiligt. Die kaufen quasi einfach ein Band und veröffentlichen das und verkaufen das. Das ist auch jetzt schon üblich. Das wird noch aufgestockt oder was, teilweise auch jetzt bei den neueren Verträgen ist es auch schon. Die Plattenfirmen holen sich da auch schon die Merchandising-Rechte, die Lizenz. Die verdienen an jedem verkauften T-Shirt oder Zubehörartikel mit, und teilweise auch machen die das Management für die Band dann auch gleichzeitig mit, um da auch noch ihre zehn oder 20 Prozent von den Einnahmen sich zu sichern, damit das einfach funktioniert.

Scholl: Sie produzieren weiter Musik, Mario Thaler. Auf welchen Wegen werden Sie denn in Zukunft arbeiten?

Thaler: Wie ich vorhin schon mal leicht angedeutet habe, ich baue gerade im Moment ein kleineres Studio, das dann nur noch so 50 oder 60 Quadratmeter groß ist, wo man gut Overdubs, nachträglich quasi ...

Scholl: Einspielungen?

Thaler: Genau. Gesang oder Gitarre oder so. Sachen, die keinen großen Raum erfordern, die man da machen kann, und Schneiden und solche Sachen, was ja schon 80 Prozent der Produktionszeit einfach ist. Und dann für die Schlagzeug- oder Streicheraufnahmen mietet man sich einfach das passende Studio.
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