Marina Abramović: "Durch Mauern gehen"

Ein Leben für die Performance-Kunst

Besucher einer Ausstellung sehen auf einem Bildschirm die Video-Performance "Die Zwiebel" von Marina Abramovic.
Besucher einer Ausstellung sehen auf einem Bildschirm die Video-Performance "Die Zwiebel" von Marina Abramovic. © dpa picture alliance/ Salvatore Di Nolfi
Von Wiebke Hüster · 18.11.2016
Marina Abramović bringt sich und die Zuschauer mit ihren Performances immer wieder an ihre Grenzen. Ob sie sich mit einem Messer verletzt oder Besuchern die Gelegenheit gibt, sie zu erschießen - Schmerz und Leiden sind Gegenstand ihrer Kunst. Nun hat die 70-Jährige ihre Autobiografie vorgelegt.
Marina Abramović ist 70 Jahre alt geworden und legt ihre Autobiographie "Durch Mauern gehen" vor. In Belgrad geboren als Kind einer mehr als stürmischen Ehe von Partisanen, wächst sie im Schatten dieser zerstörerischen Beziehung auf. Ihre Großmutter, bei der sie zeitweise lebt, ist streng religiös und macht sie mit der beruhigenden Wirkung kirchlicher Rituale und religiöser Praktiken vertraut.
Abramovićs Mutter ist streng und nicht sehr liebevoll, unterstützt aber bedingungslos die künstlerische Arbeit ihrer malenden Tochter.
So beginnt Marina Abramović an der Staatlichen Kunsthochschule Malerei zu studieren. Sie kann alles malen, sagt sie nach dem Abschluss von sich, interessiert sich aber nicht mehr dafür. Stattdessen beginnt sie ihren eigenen Körper zum Gegenstand jener staunenswerten Kunstpraktiken zu machen, für die sie so berühmt geworden ist. Mit verschiedenen Messern bewaffnet sitzt sie in einer Galerie und und legt ihre Hände nacheinander auf Blätter weißen Papiers. Sodann beginnt sie, schnell und immer schneller mit dem Messer zwischen die einzelnen Finger zu stechen und natürlich trifft sie mit steigenden Tempo immer öfter das eigene Fleisch.

Magie, Metaphysik und Mysterien

Von da an kreisen ihre Performances immer um den Schmerz, das Leiden, die Suche nach Grenzerfahrungen. Die Tatsache, dass der Mensch seine ganze Existenz hindurch in Angst vor dem Tod lebt und ein Leidender ist, dessen Sterblichkeit ein Faktum ist, deren zeitliches Eintreten aber ganz ungewiss ist, bringt sie dazu, immer wieder nach Transzendierung der Materialität zu streben, Magie, Metaphysik, Mysterien prägen ihre Arbeit.
Als sie sich in den deutschen Künstler Ulay verliebt, gehen die beiden am selben Tag Geborenen für zwölf Jahre eine symbiotische, von tiefer sexueller Anziehung geprägte Liebes- und Schaffensverbindung ein.
In einer ihrer ersten Performances laufen die beiden immer wieder nackt aufeinander zu und lassen ihre nackte Haut gegeneinander prallen und nehmen die Geräusche auf Band auf.
Mit den Jahren wird Abramović mehr und mehr als Star der Doppel-Performances wahrgenommen. Ihre Mischung aus Schönheit und Sehnsucht nach Zerstörung und Auflösung, ihre Hingabe an das Todesrisiko führen in wirklich gefährliche Situationen. Einmal wird sie in der Mitte eines brennenden Sterns ohnmächtig und ihre Gliedmaßen fangen Feuer, in letzter Sekunde wird sie gerettet. Einmal will ein Galeriebesucher von der Pistole, die sie auf den Tisch vor sich gelegt hat, Gebrauch machen und legt eine Kugel für Russisches Roulette ein, aber er wird rechtzeitig von anderen überwältigt.

Die Künstlerin ist Opfer und Priesterin zugleich

Abramović inszeniert ihre Kunst als Ritual, aber sie ist das Opfer und die Priesterin zugleich. Der Einsatz ist die Unversehrtheit ihres Körpers. Selbst ein harmloser Workshop mit Studenten beginnt bei ihr damit, dass alle einschließlich der Professorin fünf Tage fasten.
Das Buch, das die Künstlerin über ihre Arbeit und ihr Leben geschrieben hat, ist in einem sachlichen, beinahe neutralen Ton der Selbstbeobachtung gehalten. Es ist frei von Eitelkeit und oft ist die Intensität, ist das Zu-Weit-Gehen-Wollen erschreckend. Schmerzen und Ängste zu überwinden vor Publikum, so könnte man Abramovićs Anliegen beschreiben: Für das Publikum tut sie es so sehr wie für sich selbst.
Nach zwölf Jahren beendet sie ihre Beziehung zu Ulay auf spektakuläre Weise.
Vielleicht tritt sie danach bereits in die selbstreflexive Phase ihres Schaffens ein, die sie zurück in Museumsräume und auf Bühnen führt, ihr einen Löwen auf der Biennale einträgt und viele weitere berühmte Preise. In den neunziger Jahren wird sie von der jüngeren Generation entdeckt und bis heute verehren sie alle, die es lieben, Zeugen und Partizipanten künstlerischen Handelns und Denkens zu werden.
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