Mariko Minoguchi über ihren Film "Mein Ende. Dein Anfang."

Geschichten, die vorwärts und rückwärts laufen

Mariko Minoguchi im Gespräch mit Patrick Wellinski · 23.11.2019
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In ihrem Debütfilm "Mein Ende. Dein Anfang." erzählt Mariko Minoguchi auf drei Zeitebenen Beziehungsgeschichten. Die Regisseurin pflegt eine besondere Beziehung zu ihren Figuren und hat eine Schwäche für alles, was vorwärts wie rückwärts funktioniert.
Patrick Wellinski: Für den angehenden Physiker Aron ist das ganze Leben vorherbestimmt, vor allem seine Beziehung mit seiner Freundin Nora. Doch kurz nach diesem Dialog ist Aron tot, erschossen bei einem Banküberfall. Für Nora, seine Freundin, beginnt mit dem Verlust eine neue Geschichte oder eben auch nicht. In "Dein Ende. Mein Anfang." versucht sich Regisseurin Mariko Minoguchi an den großen Themen Zufall und Unausweichlichkeit. Themen, die das Kino schon immer interessiert haben, auch weil das Kino eben ein so schöner Raum ist für Was-wäre-wenn-Szenarien. Über den Wert des Zufalls im Leben und im Kino konnte ich vor der Sendung mit der Regisseurin sprechen. Ist es jetzt Zufall oder war es unausweichlich, dass wir jetzt miteinander sprechen?
Minoguchi: Was denkst du oder was denken Sie?
Wellinski: Ich denke, dass es unausweichlich war, weil ich ja den Termin angemeldet habe.
Minoguchi: Das stimmt, aber was hat dazu geführt, ist die große Frage.

Wellinski: Ich habe den Film gesehen.

Minoguchi: Und … Okay, das kann man jetzt unendlich weiterspielen das Spiel, aber letztendlich, glaube ich, kann man selber entscheiden, ob das Zufall war oder nicht oder ob das alles so passieren musste.
Wellinski: Die Fragen nach dem Zusammenhang von Ereignissen, also auch wie sehr unser Leben vorherbestimmt ist, sind im Zentrum von "Mein Ende. Dein Anfang.". Seit wann beschäftigen Sie sich denn mit diesen sehr alten, dann doch philosophischen Fragen?

Worte, die vorwärts wie rückwärts funktionieren

Minoguchi: Ach, ich glaube, das ist eine Frage, die man sich wahrscheinlich im Heranwachsen immer mal stellt. Gibt es einen Grund, warum alles passiert oder eine höhere Ordnung, oder ist alles einfach nur Zufall. Und dann erst später wieder, weil mein Bruder ist Quantenphysiker, und der hat dann mal versucht, mir die Quantenphysik oder die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie zu erklären. Es hat bedingt funktioniert, also ich glaube, ich habe es ein bisschen verstanden, und was eigentlich bei mir so hängengeblieben ist, ist eher dieser philosophische Aspekt, und den fand ich total spannend. Am Anfang, glaube ich, bei der Entwicklung war dieses Physikalische noch mal wichtiger, als es jetzt im Film ist.
Wellinski: Ja, genau, wie entwickelt man aus solchen Gedanken oder aus einem Schwester-Bruder-Gespräch einen Plot eines Films? Also ist vielleicht zuerst eine Figur wie Nora da, oder war wirklich erst die Quantenphysik da?
Minoguchi: Also unabhängig von dem Thema, glaube ich, gab es für mich immer schon dieses Paar Nora und Aron, weil ich das mit den Namen mochte und ich so ein Ding habe für vorwärts, rückwärts. Ich kann rückwärts sprechen, und dadurch suche ich immer Worte, die rückwärts auch funktionieren.

"Ursprünglich war es mal eine Zeitreisegeschichte"

Wellinski: Ihr Film hat ja einen Rhythmus einer Zeitreisegeschichte auch daher, also verstärkt auch durch die Tatsache, dass er auf drei Zeitebenen erzählt wird. Eine davon wird achronologisch, also quasi rückwärts erzählt. Auf welchen Effekt wollten Sie eigentlich hinaus? Das ist relativ ungewöhnlich für einen deutschen Debütfilm, dass man sich gleich drei Zeitebenen nimmt, um seine Geschichte zu erzählen.
Minoguchi: Also ursprünglich war es tatsächlich auch eine Zeitreisegeschichte. Ich glaube, dadurch kommen diese Ebenen zustande, oder das war ein bisschen ein Grundding, und wie bei jeder Zeitreisegeschichte kommt man irgendwann an ein Logikproblem, wo man sich denkt, okay, wie ist es denn jetzt, kann man denn die Zukunft beeinflussen oder nicht. Dann kam mir irgendwann die Idee, einfach alles ins Jetzt zu verlegen.
Wellinski: Aber wird Ihrer Meinung nach immer noch die Geschichte von Nora und Aron erzählt, oder ist der Plot in dem Fall vielleicht eine Art Experiment?
Die Regisseurin Mariko Minoguchi ist auf einem Filmfestival zu sehen. 
Die Regisseurin Mariko Minoguchi hat keine Filmhochschule besucht, verfügt jedoch über ein gutes Netzwerk in die deutsche Filmszene.© imago / Becker & Bredel
Minoguchi: Oh, das ist schwierig zu beantworten. Also ich glaube, es wird beides erzählt.
Wellinski: Also eine Art Versuchsanordnung.
Minoguchi: Ja, oder ich glaube, es ist einfach eine Geschichte, oder es sind drei Geschichten. Es ist die Geschichte von einer Frau, die trauert nach dem Tod ihres Freundes, und es ist die Geschichte eines Paares, was sich verliebt, die rückwärts erzählt wird, und dann gibt es die dritte Geschichte von Nathan und seiner Tochter.

"Filme von Christopher Nolan oder Inárritu inspirieren"

Wellinski: Hatten Sie für diese Art der Erzählung, der Konstruktion, Kinovorbilder? Es ist ja von vielen Regisseuren ein gern genutzter Kniff, mit den Zeitebenen zu spielen. Gab es Vorbilder, haben Sie sich inspirieren lassen, gab es Ideen?
Minoguchi: Ja, man lässt sich ja immer sehr inspirieren, oder die Filme, die einen selber irgendwie bewegt haben, die inspirieren immer, und definitiv Filme von Christopher Nolan oder auch Inárritu. In den USA gibt es Arthouse-Science-Fiction, könnte man sagen, oder Indiefilme, die eigentlich in einer sehr realen Welt spielen, aber einen Aspekt haben, der irgendwie ein bisschen in was Überirdisches geht.
Wellinski: Das ist in Deutschland zum Beispiel gar nicht so, nicht wahr. Also letztendlich ist Ihr Film auch Neuland dahingehend.
Minoguchi: Ich hoffe, in positiver Hinsicht zumindest.

In die Welt des Drehbuchs hineingeworfen

Wellinski: Warum musste das Drehbuch zu "Mein Ende. Dein Anfang"." in einem kleinen Zimmer in Taiwan entstehen?
Minoguchi: Ob das nun so sein musste, weiß ich natürlich nicht, aber es ist passiert. Ich bin dahingefahren, beziehungsweise ich habe hier gearbeitet an meinem Projekt und habe gemerkt, ich brauche ein bisschen Abstand und habe dann spontan einen Flug gebucht und kam da an, und es war dann, glaube ich, ganz gut. Wenn man woanders ist, hat man eine andere Perspektive auf die Dinge, und man ist sehr fokussiert. Ich kannte da keinen Menschen, ich konnte die Sprache nicht, dadurch war ich auch recht isoliert. Das war natürlich währenddessen nicht so einfach, aber ich glaube, für den Schreibprozess war es sehr gut, weil ich mich wirklich sehr in diese Welt auch reingeworfen habe.
Wellinski: Müssen Sie innerlich erleben, was Sie aufschreiben?
Minoguchi: Also ja oder irgendwie fühlen wahrscheinlich schon, weil ich glaube, wenn man Figuren entwickelt, dann mag man die und ist nah an denen dran. Um eine Szene schreiben zu können, muss man sie doch innerlich durchspielen, auch auf einer emotionalen Ebene. Insofern kann das schon was sehr Belastendes sein, zu schreiben.
Wellinski: Ich frage auch, weil Sie die Figuren oder das Leben Ihrer Figuren mit größten, auch heftigsten Schicksalsschlägen konfrontieren. Also die Palette reicht von Leukämie bis Mord. Warum hat es gerade diese Palette gebraucht, oder hatten Sie auch gezögert, diese ganz großen Schicksalsschläge rauszuholen?
Minoguchi: Also ich glaube, in Geschichten kann man ja Dinge überspitzen, und es ist spannend so den größtmöglichen Konflikt herzustellen für die Figuren und zu gucken, wie sie sich entscheiden müssen, und das war eigentlich der Grund.

"Ich war nicht auf der Filmhochschule"

Wellinski: Haben Sie keine Angst vor Pathos? Das ist etwas, wovor deutsche Regisseure meistens Angst haben. Deshalb sind viele, vor allem Debütfilme recht realistisch verankert.
Minoguchi: Anscheinend nicht. Ich war nicht auf der Filmhochschule und deswegen bin ich sehr geprägt von internationalen Filmen, und da ist es ja eh ganz anders, der Umgang mit der Emotionalität.
Wellinski: Genau, also das Kino als Affektraum, das gehört für Sie auch dazu?
Minoguchi: Auf jeden Fall. Ich muss sagen, ich gehe gerne ins Kino und spüre was oder weine oder lache oder werde in eine ganz andere Welt entführt. Bei dem Film geht es auch gar nicht darum, den Zuschauer zu verführen, dass er denkt, dass er in der Realität ist, sondern eher für einen Moment zu vergessen, dass das nicht ist.
Wellinski: Was ich auch spannend finde, ist, dass für mich zum Beispiel der Begriff des Zufalls, vielleicht auch des Schicksals, ein verweltlichter religiöser Begriff ist. Für Sie ist es – Sie haben das Gespräch mit Ihrem Bruder schon erwähnt, und wenn man auch Arons Rolle als angehender Quantenphysiker nimmt – eher ein Begriff aus der Wissenschaft. Überhaupt diese ganze Ebene des Religiösen, was auch irgendwie da mitspielt, die haben Sie ausgeklammert. Bewusst, oder war das vielleicht auch ein Gedanke, den Sie beim Projekt hatten?

Von den anderen am Set lernen

Minoguchi: Es ist insofern ausgeklammert, da ich selber eher mit dieser Wissenschaft was anfangen kann und nicht im klassischen Sinne gläubig bin. Aber es gibt tatsächlich eine Nebenfigur, die eigentlich auch noch den Aspekt ein bisschen mit reinbringen soll. Das war beim Drehbuch stärker, das ist die Freundin von Nora, wo der Sohn fragt, ob er dann in den Himmel kommt. Das ist natürlich die dritte Anschauung. Die ist dann im Schnitt ein bisschen geringer geworden.
Wellinski: Wie ist es eigentlich mit der Frage Zufall oder Determinismus beim Filmemachen selbst? Denn der Prozess des Filmemachens selbst, da müssen sich Regisseure ja auch die Frage stellen: Lasse ich den Zufall walten, also Improvisation am Set zu, oder weiß ich penibel genau vom ersten Drehtag an, so wird der Film aussehen? Zu welcher Gruppe gehören Sie denn als angehende Regisseurin?
Minoguchi: Also ich glaube, irgendwo dazwischen tatsächlich, weil ich versuche mich schon gut vorzubereiten und aufzulösen, und keine der Szenen ist improvisiert, aber während des Drehens passieren so viele Dinge, also sowohl von außen als auch die Dynamik zwischen den Menschen, die da zusammen sind, dass man das gar nicht, oder ich zumindest, nicht 100 Prozent kontrollieren kann und auch gar nicht will.
Wellinski: Ach, Sie wollen das nicht?
Minoguchi: Nein, das ist ja auch das Tolle, dass dann irgendwie eine Saskia Rosendahl als Nora noch mal ganz neue Ideen mit reinbringt für die Figur und Kleinigkeiten, wie man die Szene spielt, weil es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, so eine Szene zu spielen. Da ist es ja auch toll … Also ich bin nur eine Person und eine Sichtweise, und am Set kommen so viele Leute zusammen, die zum Teil viel, viel mehr Erfahrung haben als ich, und dann ist es auch schön, das mit einzubeziehen und davon lernen zu können.

"Ich habe immer eher ans Publikum gedacht"

Wellinski: Wie haben Sie das eigentlich erfunden? Sie haben schon erwähnt, dass Sie keine Filmhochschule besucht haben, und das muss man immer betonen, weil es wirklich eine Ausnahme ist. Sie haben das Arbeiten am Set gelernt durch Praktika und unterschiedliche Jobs. Ist das im Nachhinein hilfreich oder ist das hinderlich, wie empfinden Sie das selbst?
Minoguchi: Für mich war es sehr gut, aber ich glaube, da muss jeder für sich seinen Weg finden. Bei mir ist es auch einfach so passiert. Ich glaube, ich habe das Filmemachen auch weniger vom Arbeiten am Set gelernt. Da habe ich eher dieses Handwerk oder dieses wie man am Set ein Team zusammenhält, einfach auch die verschiedenen Departments kennengelern. Aber ich glaube, dieses Filmemachen kommt wahrscheinlich einfach durch das Machen. Ich habe einige Kurzfilme gedreht, ich war viel im Kino, ich habe mir viel über Szenen Gedanken gemacht, habe mir Filme fünfmal hintereinander angeschaut und überlegt, wie sie eine Szene inszeniert haben und so.
Wellinski: Wenn Sie sagen, für Sie war das gut, meinen Sie dann, dass so eine Verschulung des Filmemachens, also nicht nur des Praktischen, Handwerklichen, sondern auch des Filmdenkens für Sie hinderlich wäre? Also was war gut, dass Sie dann letztendlich nicht die Filmhochschule besucht haben?

Beim ersten Praktikum Produzentin kennengelernt

Minoguchi: Ich glaube, bei mir wäre vielleicht die Gefahr gewesen, dass ich mich im Vergleich mit den anderen gesehen hätte und mir gedacht habe, ah, so einen Film würde ich auch gerne machen, oder auch um einem Lehrer zu gefallen, weil da gibt es natürlich doch Geschmäcker, und der verteilt Noten. Dadurch war ich ein bisschen freier für mich. Also ich glaube, dass es Schüler gibt, die können damit total gut umgehen und trotzdem ihren Weg finden, aber ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Ich habe einfach immer eher ans Publikum gedacht und auch an mich, was ich selber gerne sehen würde und wofür ich auch bereit wäre, zehn Euro Eintritt zu zahlen.
Wellinski: Aber man muss sich dennoch in der Branche umsehen, man muss Kontakt haben. Ich habe immer das Gefühl, wenn mir Schüler von Filmhochschulen erzählten, dass es vor allem ein Ort ist, um dieses Netzwerk aufzubauen. Das hatten Sie ja da de facto ja nicht.
Minoguchi: Also bei mir war das Glück, dass ich bei meinem allerersten Praktikum meine Produzentin kennengelernt habe, die damals Produktionsassistentin war. Mit der habe ich eigentlich ab dann zusammengearbeitet, und die hat dann an einer Filmhochschule studiert. Ich muss auch ganz klar sagen, ich war in gewisser Hinsicht Nutznießer der Filmhochschule hier in München. Durch diese Kontakte mit meiner Produzentin und auch zu Kommilitonen von ihr war ich sehr viel dort. Wir haben da auch mal in einem Büro gearbeitet. Dadurch habe ich viele Leute kennengelernt. Also viele denken auch immer noch, dass ich dort studiert habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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