Maria Odoevskaya

Nachwuchsautorin auf dem Weg nach oben

Von Silke Lahmann-Lammert · 21.11.2013
Die Lübeckerin Maria Odoevskaya hat es geschafft: Sie ist eine von 20 Preisträgerinnen, die zum Treffen junger Autoren in Berlin eingeladen wurde. Ihre Texte sind drastisch und polarisieren.
Eine zierliche Person in schwarzem T-Shirt und Batman-Leggings betritt die Bühne. Sie angelt das Mikro und zieht den Schwenkarm zu sich herunter. Groß ist Maria Odoevskaya nicht. Energisch wirft sie das dunkle, asymmetrisch geschnittene Haar aus dem Gesicht, tritt ein paar Schritte zurück und torkelt wie eine schräg abgeschossene Rakete wieder nach vorn.
"Na, fickt euch doch alle! Scheiße. Ich geh jetzt nach Hause."
Das Ende der Geschichte kommt bei Maria gleich am Anfang: Alkoholreich, blutig und begleitet vom Verlust mehrerer Zähne. Dabei hatte der Abend – von dem ihre Figur erzählt – so vielversprechend begonnen:
"Eigentlich wollte ich den Weltuntergang am 21.12.2012 genießen, indem ich mir eine Dauerschleife von alten Bernd das Brot-Dauerschleifen reinzog und mir dabei Zigaretten auf den Armen ausdrückte, die ich mir extra zu diesem Zweck gekauft hatte, da ich eigentlich nicht rauche. Dann klingelte aber meine Freundin an der Tür. Mmmh, ja. Sie sah sehr, sehr schön aus, wenn auch durch den kurzen Rock ein bisschen nach Blasenentzündung, und wollte in die Disco. In meiner Freizeit höre ich fast ausschließlich Black Metal, der in Besenkammern mit Kinderkassettenrekorder aufgenommen wurde – ich mag keine Discos."
Maria steht inzwischen regelmäßig auf der Bühne
Im Stakkato spuckt Maria ihre Sätze ins Mikrofon. Ein Rhythmus der unaufhörlich nach vorn treibt. Ihre schwarz geschminkten Augenlider klappern im Takt. Das Publikum hat sie längst in der Tasche.
"Um ehrlich zu sein, bin ich mir gar nicht sicher, was mich eigentlich geritten hat, mit der Slambühne anzufangen, weil es sehr sehr lange in meinem Leben so war, dass ich einen regelrechten Horror davor hatte, auf einer Bühne zu stehen und gesehen zu werden, irgendwie angeschaut und beurteilt zu werden und da quasi schutzlos ausgeliefert zu sein. Und dann kam dann einfach der Tag, man hat mir 'nen Tipp gegeben, dass hier so'ne Schreibgruppe wär und nach der Schreibgruppe fände auch eine U-20-Slamgruppe statt. Ich hatte keine wirkliche Ahnung, was Slam überhaupt ist."
Vor einem Jahr war das. Inzwischen steht Maria regelmäßig auf der Bühne des Lübecker Jugendliteraturhauses Bücherpiraten – und wird zu Slams in der ganzen Republik eingeladen. Mit dem Text, den die 19-Jährige heute vorträgt, betritt sie neues Terrain. Komik beurteilt die junge Autorin nicht als ihre Stärke.
"Das ist eine Grenze, die ich eigentlich nicht überwinden kann. Ich komme mir albern dabei vor, mich selbst lustig zu finden."
Marias Ehrgeiz ist so ausgeprägt wie ihr Hang zur Selbstkritik
Zuhause fühlt sie sich in düsteren, abgründigen Geschichten. Ihre Figuren rebellieren gegen den Zwang, sich anzupassen, resignieren vor Erwartungen. Sie quälen sich mit Selbstzerstörungsfantasien, Angst und Einsamkeit.
"Also ich wohne da. Ich wohne in emotionalen Grenzzuständen, was Literatur angeht. Das sind Texte, bei denen ich mitunter auch davon ausgehe, dass sie nur einen geringen Teil des Publikums – wenn überhaupt – erreichen. Und dass manchmal der Rahmen einfach der falsche ist. Das ist mir bewusst. Deswegen nehm' ich das auch nicht so persönlich."
Negative Reaktionen betrachtet sie als Ansporn, ihre Texte und ihre Performance zu verbessern. Ihr Ehrgeiz ist so ausgeprägt wie ihr Hang zur Selbstkritik. Videos eigener Auftritte findet sie schwer erträglich:
"Wenn gleich am Anfang irgend etwas kommt, was völlig schrecklich klingt, wie zum Beispiel 'Ich hab euch einen Text mitgebrrrrracht': Da hab ich erstmal ein Video ausgeschaltet, wo ich drauf war." (lacht)
Die ersten Texte mit 13 Jahren geschrieben
Das gerollte "R" ist ein Überbleibsel aus ihrer früheren Heimat. Maria Odoevskaja wurde in Moskau geboren. Die Eltern trennten sich, als sie drei war. Einige Jahre verbrachte sie in einem Dorf in der Nähe von Minsk. Mit sieben zog sie mit ihrer Mutter nach Lübeck. Ausreisen durften die beiden im Rahmen eines Hilfsprogramms für jüdische Emigranten aus den GUS-Staaten. Religion spielt in ihrem eigenen Leben zwar keine Rolle, aber Marias Großvater war Jude. In Deutschland angekommen, brauchte die Erstklässlerin nur wenige Monate, um sich die Sprache anzueignen.
"Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass dieser veränderte Zugang zur Sprache das ist, was mich zum Schreiben und zum Interesse für Literatur gebracht hat. Und auch eigentlich eher ein Vorteil, den ich gegenüber Muttersprachlern habe, als ein Nachteil."
Vielleicht, weil sie analytischer mit der Sprache umgeht, als jemand, für den es selbstverständlich ist, Deutsch zu sprechen. Ihre ersten Texte hat sie mit dreizehn Jahren geschrieben: Keine Kurzgeschichten, sondern Reflexionen über Musik. Inspiriert durch dunkle Gitarren- und Metal-Klänge, die sie bis heute in ihren Bann ziehen:
"Ich hab dann gemerkt, dass ich das, was ich höre, gut in Worte kleiden kann und kleiden will und hab mich auf der Suche nach Worten, die meine Ideen, meine Zustände am allerbesten und genauesten beschreiben, eben immer weiterentwickelt. Und irgendwann haben die Ideen sich verselbstständigt und dann hab ich eben angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben."
Nach dem Abitur will Maria Biologie studieren
Marias Schule unterstützt ihre literarischen Ambitionen. Trotz der vielen Auftritte will sie im kommenden Jahr Abitur machen. Und anschließend …
"… erstmal Biologie studieren, mich irgendwie verwendbar machen und mit dem Schreiben einfach nie aufhören und all die Möglichkeiten nutzen, die sich netterweise mir bieten hier."
Aber das ist ferne Zukunft. Heute gilt es, eine weitere Grenze zu überschreiten – und Witz mit Tiefe zu verbinden: Oberflächlich schildert ihre Bühnenfigur einen desaströsen Discobesuch. Doch darunter verbirgt sich eine Geschichte über Geschlechterrollen, Sprachlosigkeit und den sozialen Druck so zu sein, wie alle anderen. Ob diese Botschaft beim Publikum ankommt, bleibt ein Geheimnis. Dass die Gleichalterigen sich amüsieren, ist unüberhörbar. Komik ist eben doch eine ihrer Stärken.
Slam-Moderator: "Wir haben ein M, wir haben zwei M, drei M, vier für M und ein T. Damit heißt der Gewinner … Maria."
Maria Odoevskaya ist eine der 20 Preisträgerinnen, die am Treffen junger Autoren in Berlin teilnehmen. Höhepunkt des Programms mit Schreibworkshops und Gesprächen ist eine Lesung der Gewinner-Texte: Am Freitrag um 19 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.
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