María Cecilia Barbetta

"Ich habe sehr lange in diesem Buch gelebt"

Die Buchautorin María Cecilia Barbetta, aufgenommen 2008 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main
Die Buchautorin María Cecilia Barbetta © dpa / Arno Burgi
María Cecilia Barbetta im Gespräch mit Frank Meyer · 15.08.2018
Mit "Nachtleuchten" hat es María Cecilia Barbetta auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. In dem Roman geht es um das Leben der einfachen Leute während der argentinischen Diktatur, um magische Momente und darum, wie Integration gelingen kann.
Frank Meyer: Änderungsschneiderei "Los Milagros", mit diesem Roman ist María Cecilia Barbetta vor zehn Jahren aufgetaucht in unserer Literaturszene. Für den Roman gab es gleich viel Aufmerksamkeit, einige eher verhaltene Besprechungen, aber auch richtig beglückte: eine Rezensentin hat damals ihr großes Leseglück mit einem magisch realistischen Roman gestanden. Die Änderungsschneiderei, die hat in Buenos Aires gespielt, und in dem Großraum Buenos Aires führt auch das neue Buch von María Cecilia Barbetta, in ihre Heimatstadt. Sie ist 1996 aus Argentinien nach Deutschland gekommen, und jetzt ist sie hier zu uns ins Studio gekommen. Seien Sie herzlich willkommen, Frau Barbetta!
María Cecilia Barbetta: Vielen herzlichen Dank, Herr Meyer!
Meyer: Sie stehen jetzt seit gestern auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis mit Ihrem Roman "Nachtleuchten". Was sagen Sie denn zu der guten Nachricht?
Barbetta: Ich bin sehr, sehr glücklich und sehr, sehr dankbar, auf dieser Liste zu sein. Das ist wirklich ganz fantastisch, und dann habe ich als allererstes meiner Mutter in Argentinien eine Nachricht hinterlassen, weil ich weiß, sie freut sich mit mir und für mich.
Meyer: Was hat die Mutter dazu gesagt?
Barbetta: Meine Mutter hat sich auch sofort gemeldet, also sobald sie konnte, hat sie sich gemeldet, und ich sage Ihnen die Wahrheit: Sie hat natürlich geweint. Am Telefon hat sie geweint, und da ich auch selber geweint habe, passte alles. Also wir sind hochemotional, aber wie könnte es anders sein. Ich habe sehr lange mit diesem Buch gelebt, und ich freue mich, wenn, wie gesagt, wenn es Aufmerksamkeit bekommt.

"Meine Liebe gilt der deutschen Sprache"

Meyer: Und wie gesagt, Sie sind aus Argentinien nach Deutschland gekommen, schreiben auf Deutsch. Fühlen Sie sich beim Deutschen Buchpreis eigentlich so richtig aufgehoben?
Barbetta: Ja, selbstverständlich! Viele fragen mich, wieso ich nicht auf Spanisch schreibe, und das würde ich niemals tun. Meine Liebe gilt der deutschen Sprache, und ich mache etwas, was zu mir gehört, und zwar zwei Dinge zusammenführen, die vielleicht auf einer Landkarte nicht zusammenpassen würden, aber in der Literatur passen sie schon.
Meyer: Und wenn Sie jetzt durch die deutsche Sprache hindurch auf Argentinien schauen mit Ihren Romanen, die in Argentinien spielen, hat das für Sie noch mal einen besonderen Effekt, rückt das etwas ferner, verfremdet das etwas auf vielleicht fruchtbare Weise?
Barbetta: In der Tat, das ist so. Das, was ich dann beschreibe, ist mir in der Regel sehr, sehr nah, und durch das Feld der deutschen Sprache kriege ich eine Distanz zu dem, was ich erzählen möchte. Und genau diese Ambivalenz, also Nähe und Distanz, ist etwas, was ich sehr fruchtbar finde.
Meyer: "Nachtleuchten" heißt jetzt der Roman. Das spielt an auf eine magische Erscheinung, die es gibt in Ihrem Roman, die wiederum aber eine ganz profane Erklärung hat. Würden Sie uns davon erzählen, was bringt denn das Nachtleuchten in Ihr Buch?
Barbetta: Es gibt sehr viele Figuren in dem Roman, aber es gibt eine kleine Figur, die kleinste von allen Figuren – der Roman beschäftigt sich mit den kleinen Leuten –, und die kleinste Figur ist eine unwahrscheinliche Figur, das ist eine fluoreszierende Madonna. Und diese fluoreszierende Madonna wird von einem jungen Mädchen von Tür zu Tür zu ihren Nachbarn gebracht, damit die Nachbarn diese Plastikmadonna beherbergen können. Diese Madonna leuchtet in der Nacht. Das wäre die eine Möglichkeit, sich dem Titel anzunähern, aber es gibt in dem Roman auch eine andere Figur: ein kleiner Junge, der in der Nachfolge Sherlock Holmes ein beratender Detektiv ist, und er behauptet auch, er würde Licht ins Dunkel bringen.
Es gibt viele Rätsel im Roman, und es gibt auch Katzen beispielsweise, die eine nach der anderen verschwinden. Und von diesen Katzen heißt es auch in dem Roman, die Augen dieser Katzen, die leuchten auch in der Nacht. Nicht nur das, nicht nur die Katzen, nicht nur die kleine Madonna, nicht nur der junge Detektiv, es gibt auch sehr viele Glühwürmchen im Roman, und die leuchten auch in der Nacht. Es gibt eine Glühwürmchen-Safari.

Als die Magie an der Macht war

Meyer: Ein ganzer Reigen leuchtender Erscheinungen, aber noch mal kurz zurück zu der leuchtenden Madonna. Sie haben gesagt, ein Mädchen trägt die herum von Nachbar zu Nachbar. Warum tut sie das?
Barbetta: Am Anfang des Romans befinden wir uns in einer katholischen Mädchenschule, in einer privaten Schule, und es gibt Mädchen, die unterrichtet werden von Nonnen. Diese Nonnen sind in der Regel alt. Es gibt aber eine sehr besondere Nonne, die ist blutjung und bildhübsch, das ist die Schwester María, und Schwester María verlässt immer wieder diese Schule, diese katholische Mädchenschule und fährt mit einer roten Vespa in ein Armutsviertel, und sie propagiert die Theologie der Befreiung. Also wir befinden uns in Argentinien Anfang der 70er-Jahre, und die Folgen des zweiten Vatikanums werden thematisiert.
Diese junge Nonne sagte zu den Mädchen, es ist die Zeit gekommen, die Kirche zu den Menschen zu bringen, und diese eine Schülerin, Theresa Gianelli, die interpretiert es wortwörtlich: Sie will in der Tat die Kirche zu den Menschen bringen. Und sie besucht ihre eigene Kirche und stellt vor Ort fest, sie kann absolut nichts zu den Leuten tragen, denn diese Statuen in der Kirche da, sind sehr schwer und perlenbehangen und sehr teuer. Dann erinnert sie sich, bei sich zu Hause im Wohnzimmer hat sie ein Geschenk ihres Opas, und das ist eine kleine leuchtende Madonna.
Meyer: Und die spielt dann eine wichtige Rolle für dieses junge Mädchen und die Nachbarschaft. Sie haben gerade gesagt, frühe 70er-Jahre, da spielt der Roman. Sie sind 1972 geboren an dem Ort, an dem der Roman spielt, in der Stadt Ballester, frühe 70er-Jahre, daran können Sie eigentlich kaum eigene Erinnerung haben, weil Sie einfach noch zu jung waren. Warum wollten Sie trotzdem gerade von dieser Zeit erzählen?
Barbetta: In der Tat, ich war sehr jung. Ich bin '72 geboren, und der Roman spielt '74, '75, am Vorabend der Militärdiktatur. Diese historische Zeit würde ich mit einem Schlagwort benennen wollen. Ich würde sagen, diese zwei Jahre, '74, '75, das sind zwei Jahre, in der – und jetzt kommt das Schlagwort – die Magie an der Macht war. Die Präsidentin damals ist die dritte Ehefrau Juan Domingo Peróns, nicht die hier bekannte Evita, sondern María Estela Martínez de Péron. Sie ist eine Politikerin, die von Politik absolut keine Ahnung hat, und sie überlässt das Land ihrer rechten Hand. Das ist der Minister für Wohlfahrt, eine sehr dunkle Figur, eine finstere Figur, ein Okkultist, jemand, der eine paramilitärische Terrororganisation ins Leben ruft nach esoterischen Prinzipien. Mich hat diese dunkle Seite, wenn Sie so wollen, des Magischen interessiert. Ich habe sehr viel gelesen darüber, und dann musste ich mich natürlich von der großen Geschichte, also von der Geschichte – großgeschrieben – distanzieren, um meine kleinen Geschichten zu erfinden, und das war die Herausforderung.

Die Erinnerung zurückerobern

Meyer: Sie haben gerade darüber gesprochen, dass so eine Magie in den Jahren, von denen Sie erzählen, an der Macht war, aber eine sehr gewalttätige dunkle Magie, wenn man so sagen will, mit all den Ereignissen, die damit zusammenhängen. Die tauchen jetzt in Ihrem Roman, an dem Schauplatz Ihres Romans, bei den Menschen in einer Stadt in der Nähe von Buenos Aires mehr so auf, würde ich sagen, wie ein Wetterleuchten, wie ein Echo ferner Ereignisse, das sie eigentlich nur am Rande zu berühren scheinen, diese Menschen. Wieso haben Sie das so weggerückt erzählt vom Zentrum der Ereignisse?
Barbetta: Mir war wichtig, nicht die großen Kämpfe zum Tragen zu bringen. Ich wollte mir was anderes angucken. Also ich wollte nicht die großen Helden und auch nicht die großen Schurken in dieser Zeit zum Thema machen, sondern es hat mich das interessiert, was ich sehr wohl kenne. Ballester ist ein Stadtviertel, völlig unspektakulär, und da bin ich aufgewachsen in einer Art, so sagen wir auf Spanisch, in einer kleinen Tupperware. Diese Figuren, die ich beschreibe, haben wenig mit dem Zentrum der Macht zu tun, sondern sie versuchen ihr Leben zu führen, und natürlich sind sie keine naiven Figuren. Sie kriegen schon mit, was im Lande passiert. Sie kriegen mit, es gibt Bomben, es gibt Entführungen, es gibt Morde – darüber reden sie –, und sie nehmen natürlich auch Positionen ein, aber was mir wichtig erschien, war, in dieser dunklen Zeit, das Licht aufzuzeigen, denn auch in bedrohlichen Situationen ist Leben möglich.
Meyer: Sie erzählen auch von vielen Eigenarten von Menschen, es sind ja sehr viele Figuren, denen man begegnet in Ihrem Roman, auch von Dingen, die man genießen kann am Leben, die vielen Teile von Rindern, die man zum Beispiel in Argentinien offenbar gerne auf den Grill legt oder das feine Gebäck in den Konditoreien von Buenos Aires. Ist das für Sie auch eine Art Schwelgen in eigenen Erinnerungen, wenn Sie davon erzählen?
Barbetta: Na ja, Schwelgen würde ich so nicht sagen, weil der zeithistorische Hintergrund alles andere als schwelgerisch erscheint. Der ist natürlich da, und der durchzieht den ganzen Roman von Anfang bis Ende, und da gibt es auch eine Steigerung. Also die Bedrohung wird immer plastischer, wenn Sie so wollen. Trotzdem gibt es immer wieder Dinge, die es zu retten gibt, das mache ich natürlich mit der Kraft der Sprache und mit der Einbildungskraft, natürlich auch mit dem Erinnerungsvermögen. Aber all das musste ich mir – ich habe sehr lange an diesem Buch geschrieben –, ich musste mir all das wieder zurückerobern, weil diese zwei Jahre, die ich beschreibe, alles andere als leichte Kost sind, auch für die Figuren.

"Diese Geschichte hat viel mehr mit Deutschland zu tun"

Meyer: Sie erzählen davon sehr ausgiebig, sehr fein differenziert in einer Weise, die man eher kennt aus der Romantradition Südamerikas als jetzt aus der deutschen Romantradition. Das heißt, obwohl Sie auf Deutsch schreiben, ist Ihnen aber diese Romanwelt, die südamerikanische, näher als die deutsche?
Barbetta: Ich weiß nicht, ob ich das so sagen würde. Natürlich bin ich damit aufgewachsen, und ich lebe das Fabulieren und das Erzählen, und meine Geschichte ist eine, die zwar im Argentinien der 70er-Jahre spielt und etwas Argentinisches beschreibt, aber trotzdem glaube ich, dass es mir möglich war, diese Geschichte zu schreiben, weil ich in Deutschland bin und dank der deutschen Sprache.
Sie dürfen nicht vergessen, dass Argentinien ein Einwanderungsland ist, und das, was "Nachtleuchten" tut, ist eine Art Gesellschaftspanorama zu entfalten, und natürlich erzähle ich von der Not der Menschen, die emigrieren mussten und vom Leiden dieser Menschen, aber "Nachtleuchten" erzählt auch eine Geschichte von Integration. Auch viele deutsche Einwanderer sind nach Argentinien gekommen und sind … Ballester, dieses Stadtviertel, ist ein Stadtviertel, in dem sehr viele Deutsche bis heute leben und wohnen. Das heißt, die Geschichte, die ich erzähle, ist eine von einer gelungenen Integration - so unterschiedlich diese Milieus sind, so unterschiedlich diese Menschen sind, die Argentinien bevölkern, die aus dem Nahen Osten kommen, wie man Opa aus dem katholischen Libanon, aber auch aus Italien, aus Spanien. Also diese Geschichte hat viel mehr mit Deutschland zu tun als Sie vielleicht sich denken können.
Meyer: Das können wir jetzt mitlesen, weil Sie uns davon erzählt haben, María Cecilia Barbetta, "Nachtleuchten" heißt Ihr Roman, im S. Fischer-Verlag erschienen mit 528 Seiten, 24 Euro ist der Preis. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Barbetta: Ich danke Ihnen, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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