Donnerstag, 18. April 2024

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Kampf gegen das Coronavirus
"Über allem steht, die Ausbreitung des Virus in den Griff zu kriegen"

Wie lange die derzeitigen Beschränkungen noch gelten müssen, sei derzeit nicht abzusehen, sagte Stephan Mayer (CSU), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, im Dlf. Es wäre deshalb auch falsch zu signalisieren, dass ab dem 20. April das Leben wieder normal weitergehen könne.

Stephan Mayer im Gespräch mit Philipp May | 28.03.2020
Der CSU-Politiker Stephan Mayer auf dem CSU-Parteitag am 18.10.2019 in München
Der CSU-Politiker Stephan Mayer auf dem CSU-Parteitag in München (dpa / Sven Simon)
Sicher sei nur, dass die Maßnahmen bis zum 19. April gelten werden, sagte Stephan Mayer (CSU), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, im Dlf. Die Beschränkungen könnten auch länger gehen. Im Moment könne nur von Woche zu Woche entschieden werden. Es sei auch nicht auszuschließen, dass es bis zum Sommer gehen werde. Seriöse Angaben dazu seien nicht möglich.
Gesundheit muss über allem stehen
Derzeit müsse klar sein, dass die Gesundheit über allem stehe. Das sehe auch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung so. Erst wenn verlässlich und nachhaltig feststellbar sei, dass die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamt worden sei, könne auch über Erleichterungen für die Wirtschaft nachgedacht werden.
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Das Interview in voller Länge
Bundeskanzlerin Merkel und die Regierungschefs der Bundesländer hatten sich in der letzten Woche auf Regeln geeinigt, um Sozialkontakte in der Coronakrise weitgehend zu vermeiden. In den meisten Bundesländern dürfen jetzt nur noch maximal zwei Menschen gemeinsam in der Öffentlichkeit unterwegs sein. Kernpunkt der Vereinbarung ist die neue Abstandsregelung, wonach Menschen in der Öffentlichkeit einen Mindestabstand "von mindestens 1,5 Metern, besser noch zwei Metern" einzuhalten haben. Dazu im Gespräch der CSU-Innenstaatssekretär Stephan Mayer.
"Wir müssen die Testkapazitäten deutlich erhöhen"
Philipp May: Hammer und Tanz, jetzt rigide Einschränkungen mindestens bis zum 20. April, haben wir heute auch wieder von Kanzleramtschef Helge Braun gehört, dann schrittweise Lockerung, gepaart mit Massentests und konsequenter Kontaktverfolgung bei Infizierten, Stichwort Südkorea beziehungsweise so ist es in Südkorea passiert und passiert es. Ist das der präferierte Weg der Bundesregierung?
Stephan Mayer: Ich glaube, das ist der einzig richtige Weg, dass man jetzt also klar kommuniziert, dass die Maßnahmen, die ergriffen wurden, die natürlich für alle im persönlichen, im wirtschaftlichen Leben erhebliche Einschnitte bedeuten, was das Zurückfahren des gesellschaftlichen, des wirtschaftlichen Lebens anbelangt, was die Kontaktsperre anbetrifft, dass all diese Maßnahmen auf jeden Fall bis zum 20. April anhalten müssen – und dann man sich ansehen muss, ob diese Maßnahmen greifen. Und wenn man auch so viel sagen darf, die Quintessenz dieses Strategiepapiers des Bundesinnenministeriums ist: testen, testen, testen. Wir müssen die Testkapazitäten in den kommenden Tagen und Wochen deutlich erhöhen, um insgesamt auch mehr über die Ausbreitung der Infektion, über die Lage zu wissen. Es ist derzeit noch mit Sicherheit ausbaufähig oder ausbaubedürftig, zumal Deutschland ohnehin ja eigentlich das Land ist mit den stärksten und höchsten Testkapazitäten, aber wir müssen insgesamt über die Situation in Deutschland mehr wissen, was auch die Infizierung von Kontaktpersonen anbelangt. Und ich glaube, das ist auch entscheidend, jetzt gegenüber der Bevölkerung klarzumachen, dass wir durch dieses tiefe Tal müssen bis zum 20. April und alles dafür tun müssen, die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. Wir haben derzeit eine Verdopplung der Infiziertenzahlen alle drei bis vier Tage, wir sind der Auffassung, dass wirklich nachhaltig spürbar sein muss, dass sich diese Rate der Verdopplung der Infiziertenzahlen deutlich streckt. Erst dann kann man wirklich über das Zurückfahren von der einen oder anderen Maßnahme ernsthaft nachdenken.
May: Deutlich streckt heißt – so wie die Kanzlerin es gesagt hat – mindestens zehn Tage, bevor sich die Fallzahl verdoppelt?
Mayer: Das ist mit Sicherheit so, ja. Also, wenn die Rate der Verdopplung der Infiziertenzahlen sich nur alle zehn oder zwölf Tage verdoppelt, dann ist dies mit Sicherheit ein klares Indiz dafür, dass unsere Strategie erfolgreich ist, die Ausbreitung des Coronavirus deutlich zu verlangsamen und damit auch den Virus natürlich stärker einzudämmen.
May: Das heißt, die Maßnahmen könnten auch über den 20. April hinausgehen, es muss wirklich erst mal das stattfinden, der 20. April muss nicht das Enddatum dieser rigiden Maßnahmen sein?
Mayer: Das ist auch nie anders seitens der Bundesregierung kommuniziert worden. Es wäre jetzt falsch, zu erwarten, dass kategorisch mit Ende der Osterferien der Normalzustand wiederhergestellt wird beziehungsweise dass in erheblicher Weise Maßnahmen zurückgefahren werden können.
"Das sind ganz schwere Tage für die Staatengemeinschaft"
May: Ich frage jetzt nur, weil jetzt von Thüringens Innenminister Mayer, Ihr Namensvetter, der Einwurf kommt, dass eigentlich mehr als vier Wochen für die Bevölkerung nicht durchhaltbar sei – das hieße ja am 20. April wäre Schluss.
Mayer: Ich habe persönlich sehr viel Verständnis für den wachsenden Unmut in der Bevölkerung natürlich ist das jetzt eine Durststrecke, die Deutschland durchschreiten muss, aber nicht nur Deutschland, sondern die der gesamte Globus durchschreitet. Dass dies natürlich allen voran für die Wirtschaft, aber natürlich auch für jeden einzelnen von uns eine besondere Belastung darstellt, das liegt auf der Hand sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht, aber natürlich auch in psychischer Hinsicht. Das sind jetzt ganz schwere Tage für die gesamte Staatengemeinschaft, für alle Bürgerinnen und Bürger, aber ich glaube, es wäre zum jetzigen Zeitpunkt falsch und sogar kontraproduktiv, wenn man der Bevölkerung signalisieren würde, dass mit Sicherheit es zum 20. April es zu erheblichen Erleichterungen kommt, was die Maßnahmen angeht.
May: Sie haben es schon gesagt, gleichzeitig muss jetzt diese Zeit bis zum 20. April genutzt werden unter anderem vor allem, um die Coronatests massiv auszuweiten. 200.000 täglich, das ist die Benchmark, die genannt wird. Da sagt jetzt beispielsweise die Vorsitzende des Berufsverbands der Amtsärzte, das sei undurchführbar, man sei schon an der Kapazitätsgrenze.
Mayer: Das ist mit Sicherheit richtig, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt an der Kapazitätsgrenze sind, nur es gibt ja zum Glück sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern erhebliche Anstrengungen, die Testkapazitäten, die Testmöglichkeiten deutlich auszuweiten, insbesondere auch was das Zugreifen auf Schnellverfahren anbelangt, auf Testkits, die schon nach wenigen Minuten verlässlich eine Aussage zulassen, ob sich jemand infiziert hat mit dem Coronavirus oder nicht. Vor dem Hintergrund stimmt diese Aussagen mit Sicherheit zum Status quo, aber man sollte, glaube ich, nichts unversucht lassen in den nächsten Tagen, die Testkapazitäten in Deutschland, aber natürlich auch in anderen Ländern deutlich zu erweitern.
"Sinnvoll, die Bewegungsprofile von Kontaktpersonen nachzuverfolgen"
May: Anderes Thema, was wahrscheinlich auch gemacht werden müsste, wenn man Südkorea als Beispiel nimmt, wäre eine rigorose Nachverfolgung von Kontaktpersonen. Das hieße dann wahrscheinlich auch, der Datenschutz müsste gelockert werden, das geht beispielsweise über Handy-Bewegungsprofile, die ausgewertet würden – anders wäre das wahrscheinlich nicht zu machen?
Mayer: Zum einen wäre es natürlich sinnvoll, wenn die Bewegungsprofile von Kontaktpersonen besser nachverfolgt werden könnten. Um auch eines klar zu sagen, keiner wünscht sich in Deutschland chinesische Verhältnisse, was den zwangsweisen Zugriff auf diese Daten anbelangt. Aber es gibt ja durchaus auch Länder wie unser Nachbarland Österreich, die diese App, die entwickelt wurde, schon erfolgreich einsetzen auf freiwilliger Basis. Und ich denke, man sollte auch dieser Idee in Deutschland näher treten, wir müssen dafür mitnichten unseren Datenschutz ad acta legen und in die Tonne werfen, aber wenn Personen freiwillig bereit sind, ihre Bewegungsprofile zu offenbaren, dann sollte das aus meiner Sicht auch genutzt werden.
May: Freiwillig ist ja das eine, aber die Frage ist eben, ob das freiwillig kommt oder tatsächlich gesetzlich verfügt für jeden. Das wäre ja wahrscheinlich erst mal aus Sicht der Kontaktverfolgung deutlich effektiver, nehme ich an.
Mayer: Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Überlegungen, jetzt massiv in den Datenschutz einzugreifen oder generell in den Datenschutz einzugreifen. Aber wie wir am Beispiel Österreichs sehen, es gibt sehr wohl auch in westlichen Demokratien durchaus erfolgreiche Ansätze, was das Nutzen von neuen Apps anbelangt, die Bewegungsprofile von Kontaktpersonen zulassen.
"Man muss seriöserweise immer von Woche zu Woche voranblicken"
May: Was wäre denn, wenn wir nie in die Lage kommen, diesen Weg von Südkorea zu gehen, weil einer der obigen Punkte, über die wir jetzt gesprochen haben, gar nicht erfüllt wird. Hieße das dann, dass wir über einen Lockdown bis zu den Sommerferien zum Beispiel reden?
Mayer: Ich glaube, Herr May, es wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur unredlich, sondern es wäre, glaube ich, auch nicht fair gegenüber der Bevölkerung, wenn man hier mit Horrorszenarien hantiert oder bestimmte Dinge mit Sicherheit in Aussicht stellt.
May: Aber diese Horrorszenarien, mit denen hantieren Sie ja auch zum Beispiel in Ihrem Bericht, deswegen können wir ja auch da offen drüber reden.
Mayer: Ja, indem eben bestimmte mögliche Szenarien aufgeführt werden. Aber ich glaube, es wäre zum jetzigen Zeitpunkt falsch, der Bevölkerung definitiv in Aussicht zu stellen, dass diese Maßnahmen jetzt bis zum Beginn der Sommerferien anhalten. Ich glaube, man muss seriöserweise immer von Woche zu Woche oder von zwei Wochen zu zwei Wochen voranblicken. Und man kann jetzt seriöserweise nur sagen, dass die Maßnahmen, die ergriffen wurden, Kontaktsperren, das Zurückfahren des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, bis zum 20. April anhalten. Und dann muss man sich im Lichte der gemachten Erfahrungen Gedanken machen und dann natürlich auch die Entscheidungen entsprechend treffen, wie es weitergeht. Aber zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, dass definitiv diese Maßnahmen, dieser Lockdown unseres Landes, unserer Volkswirtschaft bis zum Beginn der Sommerferien anhalten werden, das wäre aus meiner Sicht in keiner Weise redlich und seriös.
May: Nein, definitiv wollte ich jetzt auch gar nicht sagen. Die Frage ist nur, ob auch die Möglichkeit besteht, dass wir tatsächlich drei, vier Monate in diesem Zustand verharren, eben weil wir anders die Pandemie nicht in den Griff kriegen hier in Deutschland.
Mayer: Das habe ich ja zu Beginn schon gesagt, es wäre, glaube ich, jetzt falsch, bestimmte Dinge auszuschließen, deswegen habe ich auch darauf hingewiesen, dass es – so lieb es uns wäre – auch falsch wäre, der Bevölkerung in Aussicht zu stellen, dass wir ab dem 20. April unser liebgewonnenes Leben, unsere liebgewonnenen Freiheiten von der Zeit vor dem Coronavirus alle wieder genießen werden können. Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt wirklich verlässlich nicht sagen.
"Die Ausbreitung des Virus in den Griff bekommen"
May: Meine Frage zielt darauf hin: Gibt es einen Punkt, wo die Bundesregierung gar nicht umhinkommt, die Maßnahmen zu lockern, auch wenn das Virus noch nicht vollständig unter Kontrolle ist in Deutschland, eben weil irgendwann auch dieser Punkt kommt, an dem Ökonomen anmahnen, jetzt ist auch der Leidensdruck für die Wirtschaft zu groß.
Mayer: Ich habe persönlich sehr viel Verständnis für die Befindlichkeiten und die Forderungen der Wirtschaft, aber ich habe schon den Eindruck, dass die weit überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung der Auffassung ist, dass die Gesundheit derzeit über allem steht. Und wenn man sich ansieht, welch katastrophale Krankheitsverläufe manchmal, natürlich nicht immer, zum Glück nicht immer, aber durchaus manchmal die Covid-19-Krankheit vollzieht, dann glaube ich, muss uns allen klar sein, dass über allem steht, dass die Krankheit, dass die Ausbreitung des Virus in den Griff zu bekommen ist, dass die Gesundheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger über allem steht. Und erst dann, wenn wirklich verlässlich und nachhaltig feststellbar ist, dass die Ausbreitung des Virus verlangsamt wird, dann kann man über Erleichterungen auch für die Wirtschaft ernsthaft nachdenken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.