Marcel Odenbachs "Es brennt" in der Kunsthalle Nürnberg

Fegefeuer der westlichen Zivilisation

05:40 Minuten
Eine Papiercollage, die einen brennenden Wald darstellen soll.
Marcel Odenbachs "Es brennt" ist ein sogenanntes Metabild: Eine Collage aus verschiedensten, farbigen Papierschichten, jede mit historischen Motiven bedruckt. © Vesko Gösel / VG Bild-Kunst Bonn, 2020
Von Tobias Krone · 04.10.2020
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Die Ausstellung "Es brennt" mit Werken von Marcel Odenbach wirkt wie ein Kommentar zur Weltlage. Odenbachs Collagen und Videoinstallationen lenken den Blick auf Gewalt und Machtmissbrauch.
"Es brennt" - dieser Titel ist Programm. Und natürlich, wir ahnen es, nicht nur für die Nürnberger Ausstellung Marcel Odenbachs, sondern auch für diese politische Gegenwart. Zum Titelbild, einem lichterloh brennenden Wald vor nächtlicher Finsternis, haben Marcel Odenbach die Waldbrände in Griechenland 2019 inspiriert – ebenso wie Bilder brennender Synagogen in der Reichskristallnacht. Das war die Bildgrundlage, wie er sagt:
"Dass sich die jetzt wiederum so aktualisiert hat, durch die brennenden Migrationslager in Griechenland und durch die Brände und Verneinung des Klimawandels von Herrn Trump, ist sozusagen Öl ins Feuer gewesen und eigentlich erschreckend, dass es uns so einholt."

Die Weltlage holt die Kunst ein

Marcel Odenbach spricht über eine Ausstellung, die wie so vieles in diesem Jahr schon vergangenes Jahr konzipiert wurde. Angesichts der Weltlage ist "Es brennt" inzwischen von einer fast kitschigen Konkretheit. Und doch lässt sich wohl erst in diesem Jahr so richtig ermessen, wie genau sich der politische Künstler den Wunden seiner Lebensstationen jeweils gewidmet hat.

In den 80ern persifliert Odenbach die Funkstille zwischen Ost und West, im New York der 90er thematisiert er die Gewalt gegen Schwarze, seit Jahrzehnten den Kolonialismus in seiner zweiten Heimat Westafrika – inzwischen ist das alles im Mainstream der Hauptnachrichten angekommen.
Der Künstler Marcel Odenbach.
Der Künstler Marcel Odenbach.© imago images / Manfred Siebinger

Camouflage als politische Kunst

Dieses Grundwissen macht es nun leichter, den Blick auf die künstlerischen Prinzipien Odenbachs zu richten. Denn "Es brennt" ist ein so genanntes Metabild: Die Collage setzt Odenbach aus verschiedensten, farbigen Papierschichten zusammen, jede mit historischen Motiven bedruckt, die feinst ausgeschnitten und aufgeklebt ein buntes, filigranes Flammenmeer ergeben.
Die Drucke zeigen die Gesichter von Dichtern und Denkern der Aufklärung, aber auch die des katholischen Klerus, Nazis und KZ-Szenen, so dass hier von Nahem betrachtet ein umfassendes Fegefeuer der westlichen Zivilisation und ihrer Sackgasse Nationalsozialismus entsteht. Verpackt in eine Camouflage-Ästhetik, die Odenbach in der Mode des Hip-Hop entdeckte und zum Grundprinzip seiner Kunst erklärt:

"Es gibt quasi einen schönen Schein. Das Gute, das schöne Äußere, was aber eine andere Realität in sich verbirgt. Man kann es ja auch ein bisschen als Suchbilder bezeichnen: Der Inhalt versteckt sich erstmal in den Bildern."

Adidas - die belastete Uniform der Black Power

Ähnlich funktioniert die Serie von 1997 "Auf drei Streifen reduziert", die die Geschichte und Gegenwart schwarzer Menschen in Sportmuster integriert:
"Es ist eine Arbeit, die ich in New York gemacht habe. Ich fand das interessant, dass sich eine afroamerikanische Community ganz stark mit Adidas geschmückt hat. Und ich als Deutscher natürlich wusste, was Adidas für uns als Westdeutsche bedeutet: dass Adidas natürlich eine sehr zwiespältige Rolle im Zweiten Weltkrieg gespielt hat, mit Zwangsarbeitern, die nicht entschädigt wurden, mit Uniformenherstellen, und ich das natürlich absurd fand."
Die Uniform der Black Power im Sportzwirn deutscher Tradition.

Porträt der ehemals deutschen Kolonie Togo

Mit dem Deutschsein in der Welt beschäftigt sich Odenbach auch in der Filminstallation "Tropenkoller" – einem Porträt der ehemals deutschen Kolonie Togo. Abschätzige Kommentare der Besatzer über die Kolonisierten werden Bildern aus der Kolonialzeit und Filmaufnahmen aus der Gegenwart Togos gegenübergestellt.

"Es wurde immer gesagt: Ja, das, was die Deutschen gebaut haben, das steht noch. Die deutsche Technik, die hat eigentlich eher die negativen Seiten überschattet. Das hat mich auch in den Arbeiten ganz stark interessiert: Wie gehen die Leute damit um. Und inwieweit ist das wirklich in den Ländern selbst thematisiert."
Ausstellungsansicht: Eine zweigeteilte Videoprojektion: Rechts ein Junge neben einem Grab, links ein Satz in Frakturschrift.
Marcel Odenbachs 2-Kanal-Videoinstallation "Tropenkoller".© Simon Vogel / VG Bild-Kunst Bonn, 2020

Spiel mit dem kollektiven Gedächtnis und Bildwelten

Melancholisch rosten herausgerissene Eisenbahngleise vor sich hin. Ein Holzsteg ins Meer. Die Besatzungsmacht nutzte ihn metaphorisch als ihre Brücke der Zivilisation – auch dies fand Odenbach auf uralten Filmrollen dokumentiert. Inzwischen bauen die Einheimischen diese Brücke Brett für Brett ab: Aus Unabhängigkeits- oder Armutsgründen – das lässt der Film offen.
Von seinem Spiel mit dem kollektiven Gedächtnis und Bildwelten ist die Kuratorin Ellen Seifermann fasziniert: "Erinnerung dockt sich an viele Kontexte immer wieder neu an. Das heißt, aus jeder Perspektive sehen Erinnerungen immer wieder anders aus. Und das ist eine ganz große Parallele, wie Bilder funktionieren."
Die Bilder für die wichtigen politischen Fragen unserer Zeit hat Marcel Odenbach gefunden und neu zusammengesetzt, lange bevor diese Gesellschaft nach ihnen gesucht hat.

Die Ausstellung "Es brennt" ist noch bis zum 10.1.2021 in der Kunsthalle Nürnberg zu sehen.

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