Marathon zu Gott

Von Kirsten Westhuis · 29.09.2012
Wenn an diesem Wochenende 40.000 Teilnehmer beim Berlin Marathon an den Start gehen, dann können sie dabei auch eine spirituelle Erfahrung machen. Das sagen nicht nur selbst ernannte Laufgurus, das sagen auch Theologen, die selbst regelmäßig laufen.
"Jeder, der läuft, wird die Erfahrung machen, dass sich da ganz besondere meditative Kräfte entfalten."

Durch die gleichmäßige Bewegung werden Glückshormone ausgeschüttet und Stresshormone abgebaut, sagt Frank Hofmann, der Chefredakteur der Laufzeitschrift "Runner's World". Gehirn und Körper werden mit Sauerstoff versorgt und der Läufer macht eine besondere Erfahrung:

"Ich denke, die meisten Läufer nutzen diese Kraft des Laufens eigentlich für eine Immanenzbewegung, das heißt, sie gehen noch mehr in sich hinein. Man kann diese Kraft aber auch tatsächlich anders nutzen, indem man aus sich herausgeht und das Gespräch mit Gott sucht."

Und das kann man genauso üben, wie das Laufen selbst, sagt Frank Hofmann, der seinen Weg zum christlichen Glauben im Buch "Marathon zu Gott- Ein spiritueller Trainingsplan" beschrieben hat. In Hamburg bietet Hofmann spirituelle Laufkurse an der Hauptkirche Sankt Petri an.

Martina Heuer hat bei so einem Kurs mitgemacht - dabei war die 56-Jährige vorher noch nie in ihrem Leben gelaufen:

"Laufen kann wirklich jeder, man muss nur die ersten 10 Minuten, wo man immer noch mit dem Atem kämpft, überstanden haben und dann geht das Laufen auch von alleine. Und ich hab dann auch gemerkt, weil wir die Läufe immer mit einem Bibelwort eingeleitet haben, das war aus Jesaja, das heißt 'Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug den Unvermögenden'. Und das hab ich die ganze Zeit wie ein Mantra vor mich hingesagt und versucht, so in dem Takt der Worte zu laufen, und das hat mich dann irgendwie über die Entfernung getragen. Das war ne ganz tolle Erfahrung."

Beten bedeutet nicht nur, still zu sitzen, sagt Pastor Rolf-Dieter Seemann, der die Laufkurse begleitet. An sieben Abenden läuft der 60-jährige Pastor mit dem marathonerprobten Frank Hofmann und mit den ganz normalen Freizeitläufern oder Laufanfängern los – auf einem Deich an der Elbe:

"Wenn es mir schwerfällt, zu laufen, dann ist mein erstes Gebet: 'Oh Gott lass mich durchhalten!'. Dann hab ich mehr mit mir zu kämpfen. Und je mehr Übung, entsteht auch die Fähigkeit, sich nicht nach den anderen zu richten und mein eigenes Tempo zu finden, also nicht zu überpacen, was am Anfang ganz schnell passiert. Wenn ich also fit bin und vielleicht durch das spirituelle Laufen fitter geworden bin, dann hab ich auch eine größere Freiheit, diese spirituelle Dimension zu erfahren."

Körpereinsatz für den Glauben - das ist für sie eine perfekte Kombination, sagt die 36jährige Läuferin Regina Misejka:

"Es ist wirklich wie eine Art Gottesdienst in Aktion, weil ich erweise dem Leben die Ehre, indem ich meinen Körper genieße, meine Muskelkraft einsetze, mich entwickele, mich dabei wohlfühle, mit anderen dabei zusammen bin und dabei wahnsinnig viel für meine Gesundheit tue."

Spirituelles Laufen soll keine theologische Reflexion sein, sondern ein ganz alltäglicher Zugang zu Gott. Das ist es auch, was Regina Misejka besonders am spirituellen Laufen gefällt. Das Laufen gelingt ihr viel leichter als das Glauben, sagt sie:

"Ich hab schon gemerkt, dass das Laufen, wenn gerade große Zweifel sind, dass wenn ich dann laufen gehe, dass das durchaus dem Glauben förderlich ist. Eben wegen der Erfahrung der Kraft, die ich nicht gemacht habe, ich entscheide mich zwar, es zu tun, aber das, was mich durchträgt, ist dann doch ne andere Kraft."

Tobias Breer hat vor fünf Jahren mit dem Laufen begonnen. Der katholische Pfarrer ist Mönch des Prämonstratenserordens in der Abtei Duisburg Hamborn. Auf dem Trainingsplan des 49-Jährigen stehen in diesem Jahr sechs Marathonläufe. Jerusalem, Düsseldorf, Duisburg und Stockholm hat der Geistliche bereits erfolgreich absolviert – und jetzt folgen noch jeweils 42,195 Kilometer in Berlin und in Amsterdam.

Der "Marathonpater" lässt sich jeden seiner gelaufenen Kilometer sponsern und unterstützt mit dem Erlös lokale Kinder- und Jugendprojekte. Aber auch für ihn hat das Laufen eine spirituelle Dimension:

"Ich nutze diese Zeit wirklich, um aufzutanken, denn der Alltag, wenn man sehr viele Termine hat, wenn man anderen Menschen, ich mach ja auch noch Coaching für Führungskräfte, dann noch Mut zusprechen möchte, dann nutze ich wirklich diese freie Zeit des Laufens, um der Seele etwas Gutes zu tun, um einfach spirituell aufzutanken."

In Berlin ist Breer in diesem Jahr mit der Startnummer 6200 unterwegs. "Pater Tobias" steht auf seinem Laufshirt. Wenn er in seiner Heimatstadt Duisburg beim Marathon mitmacht, dann feuern ihn die Messdiener und Kommunionkinder an. Das gibt Kraft, auch wenn es mal nicht so gut läuft:

"Der letzte Marathon, da ging's bei 28 Kilometer los, weil ich vorher ne kleine Verletzung hatte: 'Lauf ich jetzt weiter?' Wenn ich nicht ins Ziel komme, bekomme ich das Geld nicht, das ist die eine Seite, bei den 28 km hat mir das wieder Kraft gegeben die strahlenden Kinderaugen zu sehen und hab allen Mut wieder zusammengerissen und bin natürlich noch die letzten 14 Kilometer weitergelaufen und bin letztlich noch mit einer guten Zeit ins Ziel gekommen."

Durststrecken und Tiefpunkte treffen jeden nicht- beruflichen Marathonläufer, sagt Frank Hofmann. Läufer sprechen von dem "Hammermann", der bei vielen rund um Kilometer 35 zuschlägt. Wenn die Kohlenhydratspeicher des Körpers leer sind und der Läufer seine Energie aus den Fettreserven ziehen muss, braucht der Körper dafür ein bisschen Zeit.

Hofmann sieht für den Marathon-Läufer in diesem Energietief die Chance für eine geistliche Übung:

"In diesem Moment einfach zu sagen ich vertraue, dass mir neue Energie zufließt, das ist halt das besondere, was den Marathon auszeichnet, denn nach wenigen Kilometern hat der Körper umgestellt und kann besser die Fettreserven nutzen und dann geht es mit neuer Energie weiter."

Inzwischen sehe er diesen "Hammermann" sogar als zutiefst spirituelle Erfahrung, sagt Hofmann:

"Geradezu so ein mini-österliches Erlebnis, wie man nach einer gewissen Passionszeit mit neuen Kräften aufersteht."

Der Mensch sei von Natur aus dazu gemacht, sich zu bewegen, sagt Frank Hofmann. 20 Kilometer am Tag – darauf sei der Körper ausgerichtet. Jeder kann laufen. Und um aus dem Laufen eine spirituelle Erfahrung zu machen, braucht es die bewusste Entscheidung des Läufers:

"Man wird nicht automatisch zum Christen, wenn man läuft, aber ich glaube, wenn man läuft, kommt man automatisch in Situationen, in denen man über sich selbst anders nachdenkt, weil man einfach in einem ganz besonderen Konzentrationszustand ist. Und wie der Einzelne das jetzt nutzt, das ist natürlich ihm selber überlassen, aber ich sage es ist eine wunderbare Chance, die uns der Körper gibt, um Kontakt mit Gott aufzunehmen"

Service:
Eine Ökumenische Läufer-Predigt findet am Samstag, den 29.09.2012, ab 20.30 Uhr in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche statt.
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