Mara Aranda: "In the Heart of Turkey"

Sephardische Lieder dem Vergessen entreißen

08:39 Minuten
Die spanische Sängerin Mara Aranda auf der Bühne
"Ihre Botschaft ist klar, schlicht, überzeugend und ewig", sagt Mara Aranda über diese Musik. © Galileo Records
Wolfgang Meyering im Gespräch mit Oliver Schwesig · 25.04.2019
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Die Kultur der sephardischen Juden droht langsam zu verblassen. Auch darum hat die spanische Sängerin Mara Aranda ihre CD „Sefarad - In the Heart of Turkey“ veröffentlicht. Unser Musikkritiker lobt das Album als gelungene Symbiose.
"Sefarad" nannten die sephardischen Juden Spaniens und Portugals die Iberische Halbinsel, die sie ab Ende des 15. Jahrhunderts auf Befehl der Machthaber verlassen mussten. Einige gingen nach Nordafrika oder auch in die Niederlande, doch der größte Teil von ihnen siedelte sich im Osmanischen Reich an, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Denn das Wissen der jüdischen Handwerker und Kaufleute aus Spanien war begehrt in ihrer neuen Heimat. Die Exilanten brachten ihre Kultur und ihre Sprache mit und gaben beides über viele Generationen weiter.
Heute droht diese Kultur langsam zu verblassen. Ein Grund mehr für die spanische Sängerin Mara Aranda, mit der CD "Sefarad - In the Heart of Turkey", die bei Galileo Records erschienen ist, ein zweites Album ihrer Reihe mit sephardischen Liedern zu veröffentlichen. Der Musikjournalist und Weltmusik-Experte Wolfgang Meyering stellt die CD vor und geht zunächst auf die Sprachen ein, in denen Mara Aranda die Lieder interpretiert.

Lieder auf Djudezmo

Wolfgang Meyering: Die Lieder werden in erster Linie auf Djudeo Espanyol oder Djudezmo gesungen, manchmal auch Ladino genannt. In einer Sprache, die auf dem mittelalterlichen Spanisch beruht und eine ähnliche Entwicklung genommen hat, wie das Jiddische in den osteuropäischen jüdischen Gemeinden, das ja auf dem mittelalterlichen Deutsch basiert. Abgeschnitten von der Entwicklung in der Heimatregion der Sprache gingen die jüdischen Varianten des Deutschen und des Spanischen eigene Wege. Sie behielten ihren mittelalterlichen Klang, wurden durch die hebräische Grammatik beeinflusst und nahmen Wörter aus den sie umgebenden Sprachen auf.
Beim Djudezmo zum Beispiel aus dem Griechischen, Türkischen oder auch aus slawischen Sprachen des zum Osmanischen Reich gehörenden Balkans. Aber genau wie beim Jiddischen für deutsche ist auch das Djudezmo für spanische Muttersprachler noch recht gut verständlich. Mara Aranda ist eine Sängerin, die sich sehr ernsthaft sowohl mit den Texten ihrer Lieder als auch mit dem Verhältnis von Text und Musik auseinandersetzt.

Alles begann mit einer Radiosendung

Oliver Schwesig: Wie ist Mara Aranda überhaupt dazu gekommen, sich mit den Liedern und der Kultur der sephardischen Juden zu beschäftigen? Hat sie selbst einen jüdischen familiären Hintergrund?
Meyering: Einen jüdisch-familiären Hintergrund hat sie nicht. Sich mit der sephardischen Kultur zu beschäftigen, entstand rein zufällig. Mara Aranda hörte in den 80er-Jahren eine Radiosendung mit sephardischen Liedern und war begeistert, dass sie die Texte verstand – als Teenager.
Aber sie beschäftigt sich überhaupt schon seit vielen Jahren mit der mittelalterlichen Musik Spaniens und mit den musikalischen Verbindungen der traditionellen Musik rund um das Mittelmeer. Immerhin ist das "Mare Mediterraneum" - wie etwa auch die Alpen, der Karpatenbogen oder auch die Ostsee - ein Kulturraum, in dem sich die Kulturen der Anrainerländer gegenseitig beeinflusst haben. Und die jüdischen Gemeinden, die es überall rund um das Mittelmeer gab, hatten dabei ihren eigenen Anteil daran.
In den Gruppen und Projekten, in denen Mara Aranda arbeitete wie etwa "L'Ham de Foc" oder dem "Al Andaluz Project" spielten auch immer wieder sephardische Lieder eine Rolle, deren Texte ja - wie schon erwähnt - ihren mittelalterlichen spanischen Charakter bewahrt haben. Dadurch tauchte Mara Aranda mit den Jahren immer mehr in die sephardische Musikkultur ein. Sie erzählte mir:
"Was mich am meisten fasziniert, ist, dass sowohl die Musik als auch die Kultur von einem Kind ebenso verstanden werden kann wie von einem alten Menschen. Ihre Botschaft ist klar, schlicht, überzeugend und ewig. Die Lieder erzählen von Emotionen, Gefühlen und Empfindungen die jeder Mensch verstehen kann. Egal in welcher Epoche er oder sie auch immer gelebt hat und unabhängig von sozialer Situation, Religion oder Alter."

Mara Aranda: "Wir sind die Hüter der Erinnerung"

Schwesig: Die neue Veröffentlichung "Sefarad - In the Heart of Turkey" ist ja bereits das zweite Album in einer Reihe mit sephardischen Melodien. Wie ist Mara Aranda auf die Lieder und Texte gestoßen?
Meyering: Das erfordert natürlich in erster Linie viel Recherchearbeit. Sie hat in den Archiven in ihrer spanischen Heimat nach Quellen gesucht, die sich mit der sephardischen Kultur beschäftigen. Aber sie hat auch ausgiebige Reisen unternommen in die Länder im östlichen Mittelmeerraum, in denen die sephardische Kultur besonders verwurzelt ist. Dort hat sie dann Kontakt aufgenommen zu Wissenschaftlern und Organisationen, die sich mit der sephardischen Kultur, Sprache und Musik beschäftigen. Im Booklet der CD kann man denn auch mehrere kurze Artikel von solchen Gewährsleuten lesen, die ihr Verhältnis zur sephardischen Kultur beschreiben. Aber in erster Linie muss man eben bei einem solchen Projekt viel Zeit und Energie aufbringen, um es auf die Beine zu stellen und in gewisser Weise ist die CD auch Teil einer Mission für Mara Aranda:
"Wir sind die Hüter der Erinnerung an die Vergangenheit, wir erinnern uns daran und wiederholen es, bis auch wir vergessen sind. Dabei stellen wir sicher, dass dieses Zeugnis für diejenigen bewahrt wird, die nach uns kommen werden."

Der Klang mittelalterlicher und orientalischer Instrumente

Schwesig: Und hat sich die viele Arbeit und der Einsatz von Mara Aranda bei der neuen CD gelohnt?
Meyering: Absolut! Und dabei finde ich zwei Aspekte besonders interessant: Zum einen kann man durch die Instrumentierung sowohl mit mittelalterlichen als auch mit orientalischen Instrumenten in eine Klangwelt eintauchen, die einem eine Vorstellung davon gibt, wie die Musik in den neuen Heimatländern der sephardischen Juden kurz nach der Flucht von der Iberischen Halbinsel geklungen haben könnte.
Zum anderen ist diese Musik aber, was die Arrangements betrifft, auch durchaus modern und kommt den Hörgewohnheiten eines heutigen Publikums sehr entgegen. Denn die Lieder der sephardischen Juden wurden ohne Instrumentalbegleitung gesungen, und das gibt dieser Liedtradition in der Interpretation von Mara Aranda eine ganz eigene und neue Qualität.
Daneben ist es auch eine wirklich gelungene Symbiose aus fundiertem Hintergrundwissen und künstlerischer Darbietung und die interessanten Informationen im Booklet über die Kultur und die Musik der sephardischen Juden im Osmanischen Reich tun ein Übriges, um diese CD spannend und empfehlenswert zu machen. Auch wenn die Informationen leider nur auf Djudezmo, Spanisch und auf Englisch abgedruckt sind und nicht auf Deutsch.
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