Mangelware in den USA

Der Run auf ein Bier

Glas Bier
Symbolbild: Eine Biertrinkerin den USA. © imago/ZUMA Press/Jenna Eason
Von Sonja Beeker  · 06.01.2018
Eine kleine Brauerei in Portland, Maine produziert ein Bier, auf das es Biertrinker im ganzen Land abgesehen haben. Doch von der beliebten Sorte der "Bissell Brothers" ist nicht genug für alle da. Sonja Beeker hat sich in die Warteschlange gestellt.
Knappheit, Schlangestehen, Rationierung, Schwarzmarktpreise. Das klingt schwer nach Einkaufen zu DDR Zeiten, findet aber tatsächlich genau so gerade in den USA statt, im Heimatland des Konsums, in dem die Geschäfte sonst 24 Stunden am Tag geöffnet sind. Der große Unterschied zur DDR: Der Mangel ist hausgemacht und das begehrte Gut ein Genußmittel, das keiner der wartenden Kunden wirklich braucht. Eine kleine Brauerei in Portland, Maine produziert dort ein Bier, auf das es Biertrinker im ganzen Land abgesehen haben. Das Problem: es ist NICHT genug für alle da. Und wer eine Ration ergattern will, der muß anreisen und zwar zur rechten Zeit. Sonja Beeker berichtet für uns über Verknappung und deren Folgen in Zeiten der unbegrenzten Verfügbarkeit.

Road Warriors auf Bierfahrt

Nach neun Stunden Autofahrt von Pennsylvania nach Maine und 6 Stunden Schlange stehen bei minus 18 Grad sind David Flores und seine Kumpels endlich am Ziel angelangt. Ihr Kofferraum ist voll beladen mit Bierdosen. "Wir sind Road Warriors, wir nehmen lange Fahrten für unser Bier gern in Kauf. Es ist wie ein Kurzurlaub für uns, keine Ehefrauen, keine Kinder, dafür hat jeder von uns jetzt 36 Dosen Bier", sagt David. Denn das ist die maximale Ration, die es pro Person für einmal Schlange stehen bei der Bissell Brothers Brauerei gibt.

Gute Qualität

Warum tut sich das jemand an? Einen ganzen Tag seines Lebens zu investieren für ein paar Bierdosen? Die Antwort, egal, wen man in der Warteschlange befragt, klingt immer gleich. "Das Bier ist phantastisch – echte Qualität." Das Bier der Bissell Brothers ist ohne Frage hochwertiges Bier, aber im Wholefoods, keine 10 Minuten von der Brauerei entfernt, sind die Regale voll mit hochwertigen Bieren, importiert aus der ganzen Welt. Aber nein, es muss das Bier der Bissell Brothers sein, auch wenn die Warteschlange einmal um das Gebäude herum reicht.

Rasanter Aufstieg der Brauerei

"Es ist Minus 18 Grad, natürlich wollen wir nicht, dass die Leute bei solchen Temperaturen warten müssen, aber das Bier reicht nicht. Wir würden uns wünschen, dass unsere Kunden zu normalen Zeiten einfach kurz vorbeikommen könnten, um ihr Bier zu holen", sagt Hester Bissel Sie ist die Geschäftsführerin und hat den rasanten Aufstieg der Brauerei von Anfang an mitbegleitet, den Umzug aus der Küche in eine Garage, in eine größere Garage und schließlich in ein altes Fabrikgebäude. Der Umzug ist zwei Jahre her und schon jetzt reicht die Braukapazität nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Doch wachsen um jeden Preis wollen sie und ihr Mann Noah nicht, genug Bier für ihre Heimatstadt Portland, aber nicht.

Die Attraktivität der Warteschlange

"Das ist nicht ungefährlich, wenn Du Dich und Dein Produkt auf einmal für unschlagbar hältst", sagt Noah. Bei der Expansion in die Nachbarstaaten kann die Kontrolle schon mal entgleiten, meint er. "Wenn Du klein bleibst, bist Du anpassungsfähiger", so Noah "Du weißt ja nie, was kommt." Die Engpässe, das Rationieren und Schlange stehen hat dem Unternehmen bislang nicht geschadet. Im Gegenteil, die Bissell Brothers scheinen einen Nerv getroffen zu haben bei ihren Kunden. In Zeiten der unbegrenzten Verfügbarkeit, von Internet-Shopping rund um die Uhr mit kostenloser Lieferung verzichten diese freiwillig auf Bequemlichkeit und erhalten dafür etwas Seltenes, Begehrenswertes, Angesagtes und ein Gemeinschaftserlebnis, sagt Hester Bissell. In der Kälte Schlange stehen, das schweißt zusammen.

Gesalzene Schwarzmarktpreise

"Du hast das Gefühl einer Gruppe anzugehören. Die Leute in der Warteschlange tauschen Telefonnummern aus oder verbinden sich über Social Media. Das beobachten wir immer wieder", sagt Hester. Doch die hausgemachte Verknappung hat auch weniger erfreuliche Nebenwirkungen. Die Schwarzmarktpreise sind gesalzen: Umgerechnet fast 50 Euro für vier Dosen Bier zahlt man bei Ebay. Und immer wieder versuchen Kunden das Rationierungssystem auszutricksen. Solche Kundengespräche sind deshalb nicht ungewöhnlich: "Kann ich vielleicht die Ration von irgendwem hier abkaufen?", fragt ein Mann. "Das geht leider nicht"; antwortet ihnm der Verkäufer. "Wir werden alles verkaufen. Drum müssen wir uns an die Regeln halten." Einen Versuch war's wert. Josh aus Maine geht an diesem Tag ohne Bier nach Hause. Ein bisschen enttäuscht ist er schon, macht aber einzig und allein sich selbst verantwortlich.
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