"Man wird fast nur über seine Hautfarbe definiert"

Günter Wallraff im Gespräch mit Jürgen König · 22.10.2009
Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hat Kritik an seinem neuen Film "Schwarz auf weiß" zurückgewiesen. Er habe fast nur Zustimmung von den in Deutschland lebenden Schwarzen erhalten, weil sie Ähnliches erlebt hätten, sagte Wallraff.
Jürgen König: Christian Bernd über den Film "Schwarz auf weiß – Eine Reise durch Deutschland" von Pagonis Pagonakis, Susanne Jäger, Gerhard Schmidt und Günter Wallraff. Guten Tag, Herr Wallraff!

Günter Wallraff: Ja, guten Tag!

König: Wie haben Sie sich auf die Rolle des Somaliers Kwami Ogonno vorbereitet?

Wallraff: Ach, eigentlich war das die einfachste Übung überhaupt, es war nur ’ne millimeterdünne schwarze Farbe, die ja aufgesprüht wurde, dann die Perücke und die dunklen Augen. Ich hab mich sonst nicht anders verhalten als auch sonst im Leben – freundlich, zurückhaltend, zuvorkommend, wie das so meine Art ist –, und dennoch wurde ich fast nur über meine Hautfarbe definiert, bis zu tätlichen Angriffen. Und ich muss sagen, ich hab auch Glück gehabt. Würde ich nicht so deeskalierend auftreten, da wäre ich niedergemacht worden.

König: Was ging in Ihnen vor, zum Beispiel bei der Szene, die wir gerade ganz kurz gehört haben, in der Sie von dem Türsteher mit Bomberjacke angebrüllt werden: Afrika den Affen! – was denkt man da, was denken Sie da?

Wallraff: Da das häufiger passierte, da machen Sie sich das zu eigen, da ist es Ihre eigene Würde, die verletzt wird. Und da war ich in der ganzen Zeit auch in einer ziemlich niedergedrückten Stimmung. Und darum war es eine Wohltat, wenn da mal Normalität passierte. Und das gab’s ja auch, dass Menschen sich freundlich, hilfsbereit verhielten, was eigentlich das Selbstverständliche ist. Und das waren leider, leider die Ausnahmen.

Sicher war es ’ne Mehrheit, die indifferent ist, die weggucken. Wenn Ihnen da jemand so kommt, das ist sicher noch ne Mehrheit, aber ich glaube, es sind keine ausgesprochenen Missstände, es ist schon durchwachsene Zustände. Und gerade auch diejenigen, die noch im Nachhinein die Zustimmung gegeben haben, dass sie auch im Film zu sehen und zu hören sind, die also dazu stehen und in ihren Kreisen keine Probleme kriegen, im Gegenteil, die haben dann Schulterklopfen: Gut, dass du da dich auch bekennst. Zum Beispiel die Vermieterin, der man das nicht ansah, die mir gegenüber erst mal ganz freundlich und ein bisschen distanziert, aber das war auch das Typische, ich hab nie eine Wohnung bekommen als Schwarzer. Ich hab’s immer wieder versucht, und es wurde nie gesagt, wegen der Hautfarbe. Und das war die Ausnahme, dass sie dann später einem vom Team sich dermaßen echauffierte.

König: Noch mal die Frage an den Darsteller Günter Wallraff: Wie gehen Sie mit Angst um in solchen Situationen?

Wallraff: Die ignorier ich, die lass ich nicht an mich ran, und ich bin immer in dem Bewusstsein, dass es echten Schwarzen ja viel, viel schlimmer geht in solchen Situationen, dass sie nicht dann da rauskommen, dass sie nicht es nachher öffentlich bekannt machen. Also dann überwinde ich auch diese Angst.

Und in diesem Fußballzug, der von Cottbus nach Dresden ging, der voll fanatisierter, hasserfüllter Fußballfans besetzt war, die mich also lieber danieder gemacht hätten, wenn es da nicht ein paar Polizeibeamte gegeben hätte, die dem Einhalt geboten hätten, da zitterte ich, und da war ein Punkt, wo ich dachte, also bist du jetzt zu weit gegangen, kommst du da überhaupt heil wieder raus. Aber innerhalb der Rolle riskiere ich auch einiges, ich betreib das ja auch spielerisch, spiele für mein Leben gern.

Und wenn es dann unbedingt sein muss, auch schon mal um mein Leben. Aber immer stellvertretend, weil diejenigen – ich hab ja auch Freunde, die mir davon erzählt haben, wie Bugdabar, dessen Freund in der Zelle gefesselt verbrannt ist und der dafür gesorgt hat, dass überhaupt ein Prozess stattfand, der erzählt mir von solchen Erfahrungen, die er immer wieder erlebt. Und gerade im Osten gibt’s ja auch Gegenden, wo sich abends ein Schwarzer gar nicht alleine mehr auf die Straße traut.

König: Sie beschreiben Aggressionen, offene Gewalt, auch differenziertere Reaktionen, das haben Sie gesagt – wie würden Sie am Ende das Ergebnis Ihrer Recherche beschreiben, wie rassistisch ist dieses Land?

Wallraff: Ich würde sagen, nicht immer offen rassistisch, sondern oft verdruckst, verklemmt. Man wird fast nur über seine Hautfarbe definiert, nicht als Individuum wahrgenommen. Und das ist, glaube ich, das, was zu überwinden ist, dass diese Ressentiments, die nicht immer mit Rassismus zu tun haben, oft auch mit Unkenntnis – man kennt zu wenige, es leben wahrscheinlich zu wenige Schwarze in bestimmten Regionen. Wenn man sich kennt, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, dann ändert sich auch die Einstellung. Also es müsste in bestimmten Regionen geradezu Entwicklungshilfe geleistet werden, es müssten die Kontakte ermöglicht werden schon in Kindergärten, in Schulen.

Wo das stattfindet, ist das auch zu überwinden. Und von daher würde ich sagen, es ist auch nicht nur ein deutsches Problem, obwohl – das möchte ich hinzufügen – es hat auch einen Überbau: Wenn ein hoch angesehener Moderator und Talkshowmoderator und Leiter einer Journalistenschule eine ganze Generation von Schülern geprägt hat, der offen seinem Rassismus freien Lauf ließ und Sätze losließ, wörtliches Zitat: Die Neger sind nun mal nicht so intelligent wie wir Weißen, da sie immer nur auf Körperkraft hin gezüchtet wurden. Dann spricht er von der Überlegenheit der weißen Rasse …

König: Wen meinen Sie damit?

Wallraff: Wolf Schneider.

König: Der hat das gesagt?

Wallraff: Der hat das wörtlich losgelassen, ich hab das in meinem Buch "Zeugen der Anklage" hinreichend veröffentlicht, der hat sich auch nie davon distanziert. Oder der Richter Schill in Hamburg, späterer Innensenator, der nachher noch sich rühmte: Die Neger haben bei mir immer einen Zuschlag bekommen bei den Urteilen. Ich finde, solche Urteile müssen überprüft werden.

König: Lassen Sie uns zurückkommen auf den Film. Der hat gute Kritiken bekommen, er hat auch kritische Kritiken bekommen. Im "Tagesspiegel" zum Beispiel schrieb Philipp Lichterbeck von einem Unbehagen, das ihn befallen hätte, Zitat: "Es hat mit der fragwürdigen Methode zu tun. Warum lässt er – also Günter Wallraff – nicht gleich einen echten Afrikaner losziehen? Wallraff selber ist nur die Karikatur eines Schwarzen und reproduziert gängige Vorurteile. Er radebrecht, erzählt beim Schrebergartenverein, dass er ganze Schweine grillen möchte, und läuft mit einer schrägen …"

Wallraff: Ich glaub, da hat er den Film nicht richtig gesehen, der soll sich den Film noch mal genau ansehen. Ich habe überhaupt nicht gesagt, dass ich hier ein Schwein grillen will. Im Übrigen esse ich überhaupt kein Schweinefleisch, aus Gesundheitsgründen. Und ich hätte ja auch ein Muslim sein können. Nein, ich hab nichts von Schweinefleisch gesagt. Das war die Unterstellung der Leiterin dieses Schrebergartenvereins. Der bedient Vorurteile in seiner Kritik.

Und im Übrigen, es gibt nicht den typischen Schwarzen. Sehen Sie, bei den echten Schwarzen, mit denen ich den Kontakt ja auch aufgenommen hatte, die haben mich alle aufgenommen, sie hatten kein Misstrauen, und ich war ja in der Regel der schwarze Deutsche. Und erst wenn ich gefragt wurde, wo kommst du denn her? – meist gingen wir zum Du über –, dann hab ich ja erst gesagt, aus Somalia. Weil Schwarze, die ich gefragt habe: Was meint ihr, wo komm ich her?, die tippten häufig auf Somalia. Also der liegt ziemlich daneben mit seiner Kritik.

König: Katja Lüthge schlägt in der "Berliner Zeitung" in eine ähnliche Kerbe: "Als Beweis für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, deren bisweilen tödliche Existenz in Deutschland nicht in Abrede gestellt werden soll, taugt der Film nur bedingt. Vielleicht war Wallraff manchem einfach nur suspekt." Zitat Ende.

Ist das nicht bedenkenswert, dass durch die Camouflage ein Element mit ins Spiel kommt, dass die behauptete Beweiskraft des Films, also in welchem Ausmaß es Fremdenfeindlichkeit, Rassismus gibt, dass die und damit eben schon die Glaubwürdigkeit des Films infrage gestellt wird?

Wallraff: Ich glaube, hier ist bei den Rezensenten selbst ein Verdrängungsmechanismus zu beobachten, die wollen es einfach nicht wahrhaben, wie tief verwurzelt diese Ressentiments und die rassistischen Reflexe noch vorhanden sind. Die lassen das einfach nur nicht ran. Und das ist ein leicht rassistischer Unterton, da soll es den typischen Schwarzen geben. Die hier lebenden Schwarzen haben das Problem nicht.

Da sind alles verschiedene Mentalitäten, es ist oft wirklich nur die Hautfarbe, die den Unterschied ausmacht. Und die hier integriert sind, schwarze Deutsche, die stimmen mir weitgehend zu, und auch hier lebende Afrikaner. Ich hab fast nur Zustimmung von den hier lebenden Schwarzen, weil die alle Ähnliches erlebt haben. Aber einige Rezensenten tun sich schwer damit – ist ihr Problem.

König: Vielen Dank! Günter Wallraff war das. Sein Film "Schwarz auf weiß – eine Reise durch Deutschland" läuft ab heute im Kino. Die Reportage ist auch nachzulesen im neuen Buch von Günter Wallraff: "Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere".