"Man muss sich immer wieder neu erfinden"

Von Bernhard Neuhoff · 28.03.2009
Mit seiner Musik hat er Einspruch erhoben, sich politisch positioniert. Doch auch wenn Klaus Huber seine Kompositionen zum unmittelbaren politisch-humanistischen Appell nutz, so ist er doch ein feinsinniger Klangpoet geblieben. Für sein Schaffen wird er nun mit dem Musikpreis Salzburg 2009 ausgezeichnet.
Seine Musik werde nie Erfolg haben, doch er hoffe schon, dass sie auch unabhängig von seiner Person eine gewisse Resonanz finden werde, hat Klaus Huber einmal gesagt. Jetzt, mit Mitte 80, stellt sich, verspätet, aber dafür umso massiver, plötzlich doch noch die äußere Anerkennung ein, auf die er es nie abgesehen hatte. Klaus Huber hatte Geduld, und sein Werk hat sie gebraucht. Wie der Pflug die Erde aufbricht, so müsse die Kunst die Zeit der Gegenwart aufbrechen, damit ihre tiefen Schichten ans Tageslicht kommen und fruchtbar werden. Wer so denkt, ist sicher kein Karrierist. Mit seiner Musik hat Klaus Huber Einspruch erhoben, unbequeme, auch politische Fragen gestellt und immer wieder gegen vorgefertigte Muster der Wahrnehmung ankomponiert.

Erniedrigt, geknechtet, verlassen, verachtet – schon der Titel seines großen Oratoriums auf Texte des Befreiungstheologen Ernesto Cardenal aus dem Jahr 1982 macht deutlich, dass Hubers Musik Partei ergreift.

"Das humane Element, also die humanistische Tradition weiterzutragen in meinen Kompositionen ist das eine. Da kann ich nicht anders. Das andere ist, dass ich auch meine, ich muss es tun. Ich fühle mich verpflichtet gegenüber der Gesellschaft, das zu tun. Es ist nicht ein Pro domo, warum ich das treibe im Elfenbeinturm, damit ich kreativ sein kann oder so."

In seiner Kantate "inwenig voller Figur", entstanden 1971 zum Dürer-Jubiläum im Auftrag der Stadt Nürnberg, hat Klaus Huber die authentische Tonbandaufzeichung eines Gesprächs unter amerikanischen Piloten unmittelbar vor Abwurf der Atombombe auf Hiroshima in seine Komposition eingewoben. Ähnlich wie im Werk Luigi Nonos verlässt hier die Avantgarde den ästhetischen Elfeinbeinturm und nutzt ihre musikalischen Mittel zum unmittelbaren politisch-humanistischen Appell.

Doch eigentlich liegen Huber die leisen Töne mehr als die spektakulären Gesten. Sein politisches Engagement, das stark von Ernst Blochs Buch "Geist der Utopie" und dem "Prinzip Hoffnung" inspiriert ist, verbindet sich bruchlos mit seiner christlich-religiösen Überzeugung. Und so stehen neben den politisch engagierten Werken die des feinsinnigen Klangpoeten, der seine lyrisch-intimen Botschaften am liebsten in sorgfältig ausgehörter Kammermusik übermittelt. Etwa in seinem Streichquintett, das in Zitaten und Anklängen immer wieder sein großes Vorbild Mozart heraufbeschwört, oder in seinen Lamentationes, die sich auf die hochexpressiven Renaissance-Madrigale von Carlo Gesualdo beziehen.

In den letzten Jahren hat sich Klaus Huber intensiv mit der arabischen Musik beschäftigt – eine Reaktion auf die einseitige Wahrnehmung der arabischen Kultur, wie sie die Sichtweise des Westens spätestens seit dem ersten Golfkrieg prägt. Dabei lässt er das arabische Tonsystem mit seinen Viertel- und Dritteltönen bruchlos mit dem Idiom der westlichen Avantgarde verschmelzen.

"Ich bin sozusagen über den Fluss an ein fremdes Ufer gelangt, hab da meine Eindrücke gesammelt und bin dann zurückgekehrt an mein eigenes Ufer."

"Vielleicht das Wichtigste für mich und auch das, was ich als etwas Zukunftsweisendes empfinde, ist diese Erfahrung der Aufhebung von Konsonanz und Dissonanz, also dieser europäischen Hypothek, die sich bis in die atonale Musik hinein fortgesetzt hat, sodass ja in der Zwölftonmusik sozusagen die Konsonanz zu einem Tabu wurde, während vorher die Dissonanz ein Tabu war. So was kennt die arabische Musik nicht."

Geboren wurde Klaus Huber 1924 als Sohn eines Kirchenmusik-Komponisten in Bern. Zunächst arbeitete er als Grundschullehrer, bevor er Geige und Schulmusik studierte. Sein kompositorisches Handwerk vermittelten ihm Willy Burkhard und Boris Blacher. Den Durchbruch brachte ihm seine Kammerkantate "Des Engels Anredung an seine Seele", die 1959 in Rom mit dem Preis der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik ausgezeichnet wurde. Schon kurze Zeit später begann seine mittlerweile legendäre Lehrtätigkeit, zunächst in Basel, von 1973 bis 90 in Freiburg im Breisgau. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man Huber als den bedeutendsten Kompositionslehrer seit Schönberg und Messiaen bezeichnet. Zu seinen berühmtesten Schülern zählen die ebenfalls mit dem Siemens-Preis geehrten Komponisten Wolfgang Rihm und Brian Ferneyhough, außerdem die Komponistinnen Kaja Saariaho und Younghi Pagh-Paan, mit der er verheiratet ist. Das Geheimnis des Lehrers Klaus Huber sei die Geduld, sagt Brian Ferneyhough – und die unbeirrte geistige Energie, die er darauf verwendet, in die tieferen, verborgenen Schichten des Klangs vorzudringen.

Brian Ferneyhough: "Man hat immer so eine Art Ausfragepraxis gebildet und es hat ihm nie an Zeit gefehlt. Man hatte immer zwei, drei Stunden mit einem Student. Und ich habe gesehen, wie die Studenten nach der Stunde vollkommen erschöpft herausgekommen sind. Aber das bringt dem eigenen Inneren so viele persönliche Bereicherung, das ist fast unvorstellbar."